Lodewijk van Oord: "Das letzte Nashorn"


Afrika an der Amstel

"Das letzte Nashorn" ist der erste Roman von Lodewijk van Oord. Als Holländer 1977 in Madrid geboren, hat er bereits in Wales und Afrika gelebt und gearbeitet. Derzeit lebt und arbeitet er an einer internationalen Schule in Triest. Sein Romandebüt nimmt offenbar eigene Erfahrung als Ausgangspunkt und ergibt ein gut lesbares, unterhaltendes, farbenreiches, aber auch nachdenklich stimmendes Resultat.

Sein Hauptprotagonist ist Edo Morell, ein genialischer, etwas verrückter Zoodirektor, der für Amsterdam ein neues Zookonzept entwickelt hat. Das Motto dieses Konzepts ist "Afrika an der Amstel". Mitten in Amsterdam sollen die Besucher dieses Zoos etwas Unvergessliches erleben, nicht mehr und nicht weniger.

Der größte Unterschied zu einem herkömmlichen Zoo ist der, dass die Tiere quasi in freier Wildbahn leben sollen. Miteinander und nicht in Gehegen voneinander getrennt. Dazu muss das ganze Gelände umgestaltet werden, Flora und Fauna müssen dem natürlichen Habitat der Tiere Afrikas angepasst werden, damit diese sich auch wohl fühlen und man das Naturspektakel im Land der Tulpen bestaunen kann, ohne Malariaimpfungen und einen zwölf Stunden dauernden Flug auf sich nehmen zu müssen.
"Wildes Europa. Der Ozean. Afrika. Die Polarwelt. Amerika. Themen mit Wiedererkennungswert. Der Kunde weiß, was ihn dort erwartet, wird aber von dem, was er zu sehen bekommt, dennoch überrascht. Ich stelle mir vor, dass wir das auf eine zwanglose, persönliche Art umsetzen, Afrika zum Beispiel wird kein mysteriöser, dunkler, undurchdringlicher Kontinent sein, sondern eine sympathische Figur, die man persönlich kennenlernen kann."

Allerdings würde die Verwirklichung dieses Konzepts an die 120 Millionen Euro kosten, was dazu führt, dass er viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um die Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Edo schafft es, und die Pläne werden genehmigt.
Angeschafft werden auch drei Nashörner, Gesamtkosten 9 Millionen Euro, die vor laufenden Kameras betäubt aus einem Helikopter abgeseilt werden. Albrecht, das erste Nashorn, wird so zu einer um die Welt gehenden Nachricht. Ihm werden später zwei Nashorn-Weibchen zur Seite gesellt, was dazu führt, dass sich das Rad des Schicksals in Bewegung setzt.

Auch Edo erhält ein weibliches Pendant. Sariah, eine bekannte Nashornexpertin aus Afrika mit niederländischen Wurzeln. Sie ist enttäuscht, dass sie in Afrika selbst keine Chance hat, die über alles geliebten und vom Aussterben bedrohten Riesenviecher zu schützen, weil der Glaube, dass das Pulver, das man aus ihren Hörnern gewinnen kann, die Potenz des Mannes stärkt, einfach zu stark ist. Die Profitgier der Wilderer ist viel größer als der Respekt vor Tieren und die Bereitschaft, eine bedrohte Tierart zu retten.
"Sie sind sehr professionell an die Sache herangegangen, die Hörner wurden mit Handsägen zur Gänze von der Haut getrennt. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das gar nicht so schwer, wie man denkt: An der Unterseite der Hornsubstanz befindet sich eine Art Schale, die auf einem Schädelhöcker sitzt. Es ist die dicke, stabile Oberhaut, die das Horn an Ort und Stelle hält. Aber mit einer guten Holzsäge und etwas Erfahrung ist das im Nu erledigt."

Natürlich funkt es auch zwischen Edo und Sariah. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die gleichzeitig getrübt und erhellt von all dem tierischen Drumherum ist.

"Das letzte Nashorn" ist ein sehr interessanter Roman, der zeigt, wie rückgratlos der Mensch ist, wenn es um Gewinn und, vor allem, Gewinnvermehrung geht. Er zeigt, wie wir mit Tieren umgehen und hält uns somit den Spiegel vor. Denn wo beginnt dieser Akt? Erst beim Wildern in Afrika oder doch im täglichen Leben?

Teilweise sehr dicht geschrieben, stilistisch abwechslungsreich, folgt man diesem Roman gerne und leicht. Man lernt außerdem noch ziemlich viel über Nashörner, wenn man, wie der Rezensent, vorher noch kein Spezialist auf dem Gebiet war. Die Übersetzung von Christiane Burkhardt ist ausgezeichnet gelungen.

Sehr starke Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 05/2016)


Lodewijk van Oord: "Das letzte Nashorn"
(Originaltitel "Albrecht en wij")
Aus dem Niederländischen übersetzt von Christiane Burkhardt.
Knaus, 2016. 253 Seiten.
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Leseprobe:


(...) Wie sich herausstellte, ist das mit den Elefanten ein echtes Problem. Monatelang habe ich hinter den Kulissen versucht, andere Zoos dazu zu bringen, ihre Afrikanischen Elefanten gegen unsere Asiatischen zu tauschen, aber niemand war interessiert. Nicht nur Arnheim, Rhenen und Amersfoort, sondern auch die Zoodirektionen von Paris, Barcelona und Rom lehnten dankend ab. Obwohl sie zugeben mussten, dass mein Angebot finanziell durchaus attraktiv war, weigerten sie sich standhaft, weil sie die Sache unerhört fanden. Nach diesem Rückschlag hatte ich die Idee, die Asiatischen Elefanten zum Verkauf anzubieten und den Erlös in den Ankauf einiger afrikanischer Artgenossen zu stecken. Auch das stieß auf Widerstand: Nicht nur der Betriebsrat war vehement dagegen, leider musste ich auch feststellen, dass die derzeitigen Elefanten mit die beliebtesten Tierparkbewohner überhaupt sind. Vor allem Bulle Salman hat einen großen Kundenstamm. Ich hatte meinen Plan kaum im kleinen Kreis vorgestellt, als auch schon eine "Petition zum Erhalt unserer Elefanten" die Runde machte, ein sentimentaler Wisch, unter dem bald Tausende Unterschriften prangten. Also Plan B: Salman und seine Kühe dürfen bleiben.
Mein neuester Elefantenplan ist genial einfach - unglaublich, dass ich nicht früher darauf gekommen bin! Auch wenn die Betriebskosten dadurch stark steigen werden, schafft er eine unwiderstehliche Win-win-Situation für alle Beteiligten. Deshalb rechne ich fest damit, dass der Vorstand mir diesen Teil meines Masterplans ohne allzu großes Murren genehmigen wird. In der Hoffnung, bei den Vorstandsmitgliedern eine sentimentale Saite zum Klingen zu bringen, habe ich den Elefantenabschnitt mit einem historischen Augenzwinkern Tembo Returns genannt.
Ich gehe an den stets ausgelassenen Wildhunden vorbei und setze mich kurz auf den noch feuchten Findling bei der Eulenruine. Ich schließe die Augen und hänge meinen Gedanken nach. Das Eulenauge gehört zu den erstaunlichsten Schöpfungen der Natur. Der Eulenpfleger hat mir mal erzählt, dass ein Mensch mit Eulenaugen in der Lage wäre, aus fünf Kilometern Entfernung die Morgenzeitung zu lesen. Ich bin nicht der Einzige, der die Eulen bestaunt, auch so mancher Kunde scheint von diesen stoischen Wesen fasziniert zu sein. Vor allem Erwachsene reagieren auf die Eulen wie auf ein Memento mori: Man sieht, wie sie sie nachdenklich anstarren, nur um dann irgendeine furchtbare Plattitüde von sich zu geben, meist eingeleitet von den Worten "Bei diesem Anblick wird einem erst bewusst, wie ...". Den Impuls, solches Gestammel ins Lächerliche zu ziehen, kann ich leicht unterdrücken: Jeder Kunde, der zwanzig Euro dafür übrig hat, angesichts eines Tieres ein paar pseudophilosophische Gedanken abzusondern, ist mir willkommen. Kein Zoo kann ohne solch unausgegorene Betrachtungen überleben, davon bin ich zunehmend überzeugt. Während ich die Schneeeulen anstarre, erinnere ich mich an das Gespräch, das ich mal zwischen zwei Frauen aufgeschnappt habe - enge Freundinnen, die sich für ihre Verliebtheit kein bisschen zu schämen schienen. Ich sehe noch vor mir, wie die eine versucht hat, die andere mit einem stolzen Uhu zu fotografieren. Es musste auf Anhieb klappen, da sie eine alte Spiegelreflexkamera benutzte und nur noch ein Foto auf dem Film war. Währenddessen philosophierte die Posierende munter drauflos.
(...)
Es wird Zeit, meinen Aufklärungsfeldzug zu beenden, Zeit für einen Becher starken Kaffee. Noch schnell zu den Papageien in der Prins-Maurits-Voliere (sie putzen sich die Schnäbel, egal, wie sauber sie sind), dann mein Garten, die Küchentür, das Frühstück. Am Küchentisch starre ich auf meinen Laptop und öffne die Präsentation, an der ich tagelang gefeilt habe. Mein Masterplan ist bereits seit einem Jahr in Arbeit, aber heute werde ich ihn zum ersten Mal dem kompletten Vorstand präsentieren. Es kommt vor allem darauf an, die Pläne wohldosiert an den Mann zu bringen, den Vorstand nicht mit zu vielen radikalen Ideen auf einmal zu überfordern. Die meisten Mitglieder sind Spießbürger, ältere Männer und Frauen mit konservativen Wertvorstellungen, aber leicht zu beeinflussen. Im Grunde hat nur der Vorsitzende Frank Rida eine progressive Einstellung und Ansichten, die man visionär nennen könnte. (...)

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