Jan Jacobs Mulder: "Joseph. Der schwarze Mozart"
Joseph Boulogne, Chevalier de
Saint-George, blickt auf sein bewegtes Leben zurück - keine Schwarz-Weiß-Malerei
Auf dem Sterbebett lässt der berühmte Komponist, Geigenvirtuose, Fechtmeister,
Sklavenbefreier und
Frauenliebling Joseph Boulogne, als Sohn eines weißen französischen
Plantagenbesitzers und einer freigekauften Sklavin aus dem Senegal auf der
paradiesischen Karibikinsel Guadeloupe geboren, teils stolz, teils verbittert
prägende Szenen und Erlebnisse seines ebenso abenteuerlichen wie
ereignisreichen Lebens revuepassieren.
"Ruhmlos bin ich in der Revolution
untergegangen, die so unaufhaltsam über das Land fegte, energisch und brutal.
Tod durch Unsichtbarkeit. Ich brauchte Publikum, Applaus, Beifall, Rufe,
Schreie, Ekstase und Bewunderung, aber das Volk wollte nicht mehr. Das Volk
wollte sich befreien, sich erheben und sich selbst bewundern. Ich tat meine
Bürgerpflicht und wurde dadurch einsam. Aber es war für mich auch eine
Befreiung, denn nun konnte ich mich dem Kampf für eine gute Sache widmen! Als
ich verwundet aus der Karibik zurückkehrte, stellte sich heraus, dass meine
letzte Oper verschwunden war. Mein Schwanengesang! Nun war mein letztes Band zum
Publikum durchschnitten. Nun kann man mich in ein stinkendes Loch schmeißen,
über meine faulige Leiche ungelöschten Kalk schippen, um die Zersetzung zu
beschleunigen und den Gestank zu mindern." (S. 108)
Jan Jacobs Mulder, Jahrgang 1940,
geboren im indonesischen Medan, errichtete der historischen Figur des "schwarzen Mozart",
dessen Leben so gänzlich anders verlief als jenes des
Wolfgang Amadeus, mit seinem
Buch ein literarisches Denkmal, geschmückt mit allerlei kreativen Girlanden, das aufgrund der dramatischen
Situation des Icherzählers, er liegt mit Wundbrand in einer Dachkammer im Sterben,
nur zwei Getreue sind ihm geblieben, äußerst
deprimierend beginnt, allerdings unverzüglich in die Atmosphäre vergangener Jahrzehnte
abtaucht und die Lebenserzählung Joseph Boulognes (1745-1799) festhält.
Das
Ergebnis ist ein fakten- und fantasiegesättigter historischer Roman inklusive zeitgeistig
angehauchter Anklage gegen Sklaverei und Rassismus. Wobei selbstverständlich zu
beachten ist: Joseph Boulogne war offenkundig ein wohlerzogener, athletischer, hochbegabter,
fleißiger Mann, der mit Unterstützung seines französischen Vaters gebührende
Achtung erwarb und keineswegs im permanenten Opfermodus untätig Geld, Mitleid
und bessere Zeiten einforderte oder von Wohltätern einmahnen
ließ. Ein derartiges Ausnahmetalent will, ja muss rege sein, muss sich ausleben,
Stillstand wäre einem Genie wie diesem ebenso unangemessen wie unerträglich, und
gesellschaftliche Anerkennung ist immer auch das Resultat eigener Fähigkeiten, Anstrengungen und
Erfolge innerhalb der jeweiligen Gesellschaft.
Heute zählt Jan Jacobs Mulders Geburtsstadt Medan zu den Metropolen Indonesiens und ist die Hauptstadt der Region
Nord-Sumatra. Tourismus und Palmölindustrie dominieren die ökonomisch bedeutende
Gegend, allerdings gilt Medan in der Tourismusbranche als verschmutzte,
überbevölkerte Verkehrshölle und wird - aufgrund des dortigen internationalen
Flughafens - von vielen Ausländern als reine Transitstation betrachtet. "Medan"
bedeutet übersetzt "Schlachtfeld", was sich aus der Geschichte erklärt,
als Sultane gegeneinander kämpften. Im Jahr 2015 war Indonesien übrigens
Gastland der "Frankfurter Buchmesse", doch Mulders gegenständlich besprochener
Roman erschien im Original erst ein Jahr danach.
Jan Jacobs Mulder, als Maler, bildender
Künstler und Schriftsteller tätig, lebt seit vielen Jahren im niederländischen
Haarlem. Sein erster Roman, "Jacob's wapen" (1991 erschienen, bislang nicht
übersetzt), basiert auf Kindheitserfahrungen des Autors in einem japanischen
Internierungslager. Und vielleicht waren es nicht zuletzt auch gewisse
verbindene biografische Elemente (Fremdsein, Einsamkeit,
Talent, Integrationsbemühungen, innere Zerrissenheit, ...), die Mulders Interesse am "schwarzen
Mozart" weckten und schließlich in dieses einfühlsame Buchprojekt
münden ließen.
Gegliedert ist "Joseph. Der schwarze Mozart" in folgende
Kapitel: "Erwartung", "Eitle Hoffnung", "Vorbereitung" und "Apokalypse". Stellenweise liest sich
das Buch wie ein zünftiger
historischer Roman, passagenweise eher wie die langatmige Biografie eines
Komponisten. Man könnte
Mulders Buch daher wohl als "freie Romanbiografie" bezeichnen,
wobei dankenswerterweise nur selten der Anekdotenalarm anschlägt.
Joseph schildert ausführlich und lebensnah seinen Werdegang, seine
Erfolge, seine mitunter übermütigen Aktionen, die speziellen Familienverhältnisse,
er beschreibt seine Freunde, zahlreiche Geliebte und das Paris und London
seiner Zeit. Josephs Vater, ein ehrbarer Höfling
mit geheimer Schwäche für Diderots "Enzyklopädie" und Freimaurer, betrachtet in der Kolonie Sklaven
und danach in Frankreich Bauernknechte vor allem als Menschen und behandelt sie
anständig - damals keineswegs üblich. Weitere Bezugspersonen Josephs sind das Kindermädchen Anna,
das dem in jungen Jahren manisch onanierenden Multitalent hilfreich zur Hand geht und
die Geliebte des Vaters wird, Josephs Mutter Nanon, die verschleppte und
versklavte Tochter eines afrikanischen Stammesältesten, traumatisiert seit
unvorstellbar grauenerregenden Erlebnissen, freilich ihrem Sohn eine liebevolle, aufmerksame und
weise Erzieherin, allerdings lange Jahre Hüterin eines finsteren Geheimnisses
und nicht frei von Rachedurst, den im Übrigen auch Josephs
Vater verspürt, und der aus dem jungen Mann zu gegebener Zeit einen Doppelmörder
macht. Die
aus wohlhabenden Verhältnissen stammende "Frau des Vaters",
Elisabeth Mérican, gewinnt im Roman erst spät, während des Begräbnisses von
Josephs Vater, Konturen, als sie Joseph einige erstaunliche Wahrheiten enthüllt.
Als
Joseph zehn Jahre alt ist, übersiedelt die Familie nach Paris. Der freigeistige Vater sorgt für die
standesgemäße Ausbildung seines geliebten Sohnes: Geigenstunden,
Kompositionslehre, Reit- und Fechtunterricht und vieles mehr stehen auf dem
Programm, anerkannte Meister ihres Fachs (darunter Leclaire und Gossec) erkennen
früh Josephs unterschiedliche Talente und fördern diese nach Kräften.
Um aufzufallen, veranstaltet Joseph als Erwachsener in Paris
das eine oder andere Spektakel, so durchschwimmt er einmal mit einem auf den
Rücken gebundenen Arm ein großes Stück der Seinekloakenbrühe und
unterhält die scharenweise angetretenen schaulustigen Pariser. Auch
Fechtschaukämpfe erfreuten sich damals sowohl in England als auch in Frankreich
großer Beliebtheit, allerdings durften keine Frauen anwesend sein.
Doch es gibt auch
niederschmetternde Erlebnisse, denn mehr als einmal wird Joseph in Paris aufgrund
seiner Hautfarbe beschimpft und angegriffen, und immer wieder bemerkt er das
Erschrecken bzw. Erstaunen in den Gesichtern der Mitmenschen, sobald sie ihm
gegenübertreten. Einmal kommt es
sogar zu einem nächtlichen bewaffneten Überfall, den ein beleidigter Kontrahent in Auftrag
gegeben hat.
Wenig erstaunlich, dass Josephs Erscheinungsbild im damaligen Paris, wo sehr wenige nicht
hellhäutige Menschen lebten und gemischtrassige Ehen verboten waren, anhaltend Aufsehen
und nicht nur Wohlgefallen erregt. Sein Leben lang hadert der
nach besten französischen Traditionen erzogene und darin auch durch und durch heimische Icherzähler
verständlicherweise mit den Reaktionen und Vorurteilen vieler Zeitgenossen, was
sich im Original so liest:
"Ik werd altijd als bijzonder gezien, als iets excentrieks, zoals een
kermisattractie met twee hoofden of met drie armen, in ieder geval als een
buitenstaander, waar ik ook hier in Parijs en daarbuiten verscheen. Hier ben ik
aangevallen, niet omdat ik iets bijzonders had gedaan, niet omdat ik iemand had
geattaqueerd, had bespot of had bedreigd, maar gewoon omdat ik een andere
huidskleur heb. Voor sommigen hoor ik hier niet, ben ik een aap, een aangekleed
dier."
Joseph ist 16 Jahre alt, als der Besuch eines ganz
besonderen Salons, in dem unter anderen Berühmtheiten auch
Denis Diderot
verkehrt, mit seinem Vater auf dem Programm steht. Dort lernt er die anziehende
zwanzigjährige Sängerin Elisabeth, eine "Bastardtochter" Ludwigs XV. kennen, mit der
er später eine turbulente Künstlerbeziehung eingeht. Doch Elisabeth wird von der
Schwindsucht dahingerafft, und Joseph erleidet einen ersten schmerzlichen Verlust.
Die Zeit verfliegt mit Komponieren, Musizieren, Fechten, Reisen und Liebschaften.
Nach dem plötzlichen Tod des Vaters kehren Nanon und Anna zurück auf die
karibische Insel, Joseph vertieft sich weiter ins Komponieren und setzt sich in
wachsendem Ausmaß für die Abschaffung der Sklaverei ein. Der ererbte Landbesitz
bringt auch Sorgen mit sich, doch Joseph kann, wie einst sein Vater, mit
wohlüberlegten menschenfreundlichen Maßnahmen jegliche Rebellion unter seinen
Bauernknechten verhindern.
Im Zuge seiner Reisen nach England kommt Joseph in
Kontakt mit dortigen Abolitionisten und gründet in Paris eine
Gesellschaft zur Aufhebung der Sklaverei.
Josephs Erinnerungen
umkreisen auch Begegnungen mit Berühmtheiten der Zeit (z.B. Gluck und
Marie-Antoinette), ein Fechtduell mit einem als Frau verkleideten Mann zählt zu
den heiteren Episoden.
Als Ludwig XV. stirbt, gerät das gewohnte
Gesellschaftsgefüge ins Wanken. Joseph wird aufgrund seiner Hautfarbe Opfer
einer Intrige, als es um die Besetzung des Intendantenpostens der Oper geht,
weil drei Sängerinnen aus dubiosen Gründen keine "Anweisungen von einem
Mulatten" entgegennehmen wollen.
Naheliegend, dass
die Umbrüche der Französischen Revolution und deren Auswirkungen im
Roman immer wieder thematisiert werden. So hatte beispielsweise
Napoleon die 1794 von den Revolutionären abgeschaffte Sklaverei anno 1802 wieder
eingeführt.
Doch Joseph, inzwischen auch Freimaurer, bekommt nichts von der
Erstürmung der Bastille mit und wird meist von aktuellen Ereignissen überrascht.
Zu sehr ist er mit eigenen Ideen und Projekten beschäftigt.
Weitere Stationen der Erinnerung sind Josephs Aufbruch in die Karibik, um
den Sklavenaufstand zu unterstützen, sein Wiedersehen mit Nanon und Anna auf der
Insel Marie-Galante, seine besondere Beziehung zu Junot Bataille, einem
sozusagen geläuterten Mulatten, die Rückkehr nach Frankreich, der Militäreinsatz
gegen Österreich und Preußen, die Schlacht in den Österreichischen Niederlanden,
die Hinrichtung des ehemaligen französischen Herrscherpaares, der Untergang
zahlreicher Revolutionäre, seine im Kampf erlittene Verwundung in der einstigen
französischen Kolonie Saint-Domingue (heute Haiti), ...
Joseph liest ein letztes Mal Nanons viele Jahre alten Brief, der u.A. schreckliche Enthüllungen
über schwarze Sklavenhändler ("Verrat von Schwarzen an anderen Schwarzen")
und erstmals die wahre Geschichte von Nanons Versklavung beinhaltet; ein Mulatte
namens Junot Bataille war an den Quälereien an Bord des Sklavenschiffs beteiligt
...
"Irgendwie hatte ich immer schon das unbestimmte Gefühl gehabt, dass
die Weißen allein, ohne Hilfe, niemals in der Lage gewesen wären,
Schiffsladungen voller Sklaven aus dem Urwald zu holen. Und nun stand in diesem
Brief, dass die Weißen niemals im Urwald gewesen waren. Sie bekamen die Sklaven
angeliefert. (...) Auch Farbige handelten wie Weiße. Verächtlich, böse, ohne
Mitleid. Sklaverei, das ultimativ Böse, hatte es in Afrika schon lange vor
Ankunft der Weißen gegeben." (S. 209)
Im Beisein seiner beiden
Freunde Duhamel und Lamothe trinkt Joseph zum letzten Mal Wein, bevor er, seine Geige
haltend, stirbt.
Abgesehen von der als Rahmenhandlung
unglaubwürdigen Sterbesituation (Josephs Gedanken sind geordnet und überwiegend
chronologisch - wobei Jahreszahlen völlig fehlen -, nur selten taucht der
Todgeweihte aus seinen Erinnerungen auf und kehrt in die peinigende Gegenwart
zurück), ist "Joseph. Der schwarze Mozart" ein interessanter Roman, der sich
sowohl geschichtlich als auch emotional aufklärerisch gibt und viele historische
Leerstellen mit zeitgenössischen Farben übermalt.
(Franka Reineke; 08/2018)
Jan Jacobs Mulder: "Joseph. Der schwarze Mozart"
(Originaltitel "Joseph, de zwarte Mozart")
Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure.
Unionsverlag, 2018. 313 Seiten.
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Zur Netzpräsenz des Autors: http://www.janjacobsmulder.nl/