Ilija Trojanow: "Doppelte Spur"
"Ich kann kategorisch ausschließen, dass ich für einen Geheimdienst gearbeitet habe oder jemals arbeiten werde." (S. 220)
Seltene Unabhängigkeit und ein nicht häufig anzutreffender Mut mögen Gründe gewesen sein, dass der
Ich-Erzähler, Ilija
Trojanow heißt er, in seiner Eigenschaft als Aufdeckungsjournalist zwei
elektronische Dokumente
verwandten Inhalts und ähnlicher Stoßrichtung, anscheinend je eins aus den USA
und aus Russland, zugespielt bekam. "Doppelte Spur" fasst das
gewonnene Material
stark gekürzt und thematisch gegliedert zusammen, hebt einige sich
ergebende Bezüge
hervor und erzählt die sich während Sichtung, Ordnung und Niederschrift,
zwischen Hongkong, Moskau, Wien und verschiedenen Orten in den USA
zutragende Geschichte des Aufdeckers, der bald mit einem
us-amerikanischen Partner russisch-jüdischer Herkunft namens Boris zusammenarbeitet und
schließlich auch von der sich an einem großen Missbrauchsskandal abarbeitenden Emi
unterstützt wird, während er mit seinen beiden Quellen lose in Verbindung bleibt.
"Allen ehrlichen Whistleblowern"
ist der Roman gewidmet, was auch immer das genau heißt, und auf desselben Papierblatts
andrer Seite prangt: "Alles in diesem Roman ist wahr oder wahrscheinlich";
etwas dreist, weniger wegen der für den einfachen Leser teils unverifizierbaren
Informationen, sondern weil so
eine Vorabbehauptung im Rahmen eines Romans mehr und weniger legere Worte
angebracht erscheinen hätte lassen; vorgebliche Wichtigkeit des Materials und
spielerisch-leichtfertige Art der Präsentation passen nicht ganz zusammen.
Mindestens drei der vielen auftauchenden Namen Prominenter werden aus Distanzwahrungsgründen, wie es heißt, modifiziert, die der beiden mächigsten - und Macht ist es, was den Autor, im vorliegendem Buch fokussiert auf "die zersetzende Wirkung der Macht", vorrangig interessiert -, Donald Trump nämlich und Wladimir Putin, werden nach erster Nennung im weiteren Verlauf durch "Schiefer Turm" (D. T.) und "Mikhail Iwanowitsch" (W. P.) ersetzt. Den Höhepunkt dieses Brennpunkts bildet vermutlich die angebliche Mitschrift des Gesprächs zwischen den beiden Präsidenten anlässlich ihres Treffens in Helsinki, genauer dessen erste paar Minuten (das weitere, so I. T., wäre trivial), darin sie über die Zukunft ihrer Kinder und die Schönheit tschechischer Frauen plaudern und dabei nicht immer einer Meinung sind. Überdies bringt der Russe die Idee zu einem gefälschten Film auf und gibt seinem Amtskollegen einen Rat, dessen, würde man auf den ersten Blick meinen, es bei einem us-amerikanischen Präsidenten nicht bedarf.
Akribisch werden die Beziehungsstationen von D. T. zu Russland zurückverfolgt und datiert, beginnend mit seiner Ehelichung der gebürtigen Tschechin Ivana Z. im Jahre 1977. Dies erregt die Aufmerksamkeit eines vorbildlichen tschechoslowakischen Bürokraten, der angelegte Akt wird vom sowjetischen Geheimdienst während der Umbruchjahre der Perestrojka studiert (in diesem Zusammenhang baut Trojanow eine von Kim Philby höchstpersönlich gegebene Agenten-Lehrstunde mit etwas Verführungspsychologie und dem neuen Schwerpunkt großzügigerer materieller Anreize ein - die ideologischen haben in dieser Zeit weitestgehend ausgedient), eine sowjetische Wirtschaftsdelegation lernt bei einem USA-Besuch den reichen Bauherrn kennen und lädt ihn ein, D. T. kommt Ende der Achtzigerjahre nach Moskau, um eventuell nahe dem Kreml seinen eigenen Turm ..., in den Neunzigern wird der Akt vom FSB wieder ausgegraben, der von Konkurs bedrohte D. T. profitiert auf die eine oder andere Weise erheblich von russischen Geldern und so weiter.
Wer möchte, kann die angeführten
Daten, so weit es ihm möglich, überprüfen, der Nichtwollende mag für
wahr, wahrscheinlich halten oder nicht, er erhält jedenfalls mittelbar einen lebhaften,
dem Anschein nach plausiblen Eindruck von dem äußerst komplexen Geflecht mannigfaltiger Verbindungen, die
sich heutzutage zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter
Großkriminalität, insbesondere in Bezug auf verschiedenste Methoden der Geldwäsche, etabliert haben. Desgleichen wird laufend auf die Involvierung
konkreter
Personen der Öffentlichkeit hingewiesen, von Jared Kushner bis zurück zum
sowjetischen General Krjutschkow (um wirklich nur zwei zu nennen), das erweiterte Betätigungsfeld einiger honorabler
Berufe wird dabei mehr oder weniger stark beleuchtet: das von Politikern, Botschaftern,
Geheimagenten, Oligarchen, Immobilienhaien, Investoren, Bankiers, Kunstsammlern,
Unternehmensgründern, Casinobetreibern, Spitzenanwälten, Industriellen, Filanthropen und so fort.
Der späte Auftritt eines
ehrgeizigen Exemplars der letzteren Kategorie bietet außerdem einen
beunruhigenden Vorgeschmack auf Entwicklungen, die uns in den nächsten
Jahrzehnten blühen könnten.
Ob, weil er gegen D. T. weniger
Belastendes als gehofft gefunden (das Amtsenthebungsverfahren wird wohl nicht
neu aufgerollt werden), oder weil ihn das Thema, ohne ihm ein ganzes
Buch widmen zu wollen, so aufgewühlt hat, geht es in dem Roman auch recht ausführlich,
zum Glück nicht bis ins letzte Detail, um einen
Freund von D. T. aus weiter zurückliegender Vergangenheit, den Investmentbanker
Geoffrey Wasserstein, berüchtigt für seine Vorliebe für brutale Sexpraktiken mit
minderjährigen Mädchen in großem Stil.
Trojanow nutzt den bekannten Fall, um
die spezielle moralische Großzügigkeit, derer sich die Reichen und Mächtigen, ob
stärker involviert oder vom Rand aus Augenzeugen, zu befleißigen pflegen,
hervorzuheben, der 42. ebenso wie der
45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und so mancher andere aus
anderen Weltgegenden:
"Ein degenerierter Adliger, das ist ein sozialer
Blinddarm, der sich regelmäßig entzündet. Interessiert uns nicht." (S.164)
Ein paar treffende, für sich allein stehen könnende Sätze (neben nicht ganz so gelungenen), ein paar kleinere hübsche Zwischengeschichten, das Kennenlernen seiner Großeltern etwa, des Partisans und der Wahrsagerin, Neunzigerjahreanekdoten, als I. T. häufig in Russland weilte, den Ausverkauf des Staatseigentums (dessen Startschuss nur sehr wenige vernommen haben) aus nächster Nähe beobachten und auf Moskauer Partys alkoholreich politisieren konnte, eine Einladung bei Boris' Eltern in New York, bei welcher der Schriftsteller das allmählich zu einer entspannteren Atmosfäre führende Gespräch mit Zitaten aus der berühmten Stelle im Buche Kohelet, wonach ein jedes Ding seine Zeit habe, strukturiert, oder eine kleine, wohl nicht zuletzt als Ausgleich zu den Wasserstein-Anormalitäten dienende Liebesgeschichte bezeugen, dass der Autor auch literarisch etwas zu bieten hat.
Am
gelungensten zeigt sich der Roman in seiner Darstellung der mannigfaltigen
Vernetzungen moderner Macht, die praktisch schon eine Welt für sich geschaffen
hat, lobenswert ist natürlich auch das minutiöse Zusammentragen von Fakten
(soweit es welche sind, versteht sich), und auch die Rahmenhandlung liest sich nicht
unspannend, wenn auch eher unspektakulär (warum nicht einmal gänzlich
Mantel-und-Degen?).
Allerdings trübt die eine oder andere Stelle, in welcher I. T. mehr von der
Versuchung zur Polemik als der Suche nach
Wahrheit
geleitet scheint, den Gesamteindruck - beispielsweise die uncharmante Unterstellung der
Geistesarmut gegenüber einer ehemaligen österreichischen Außenministerin. Hat
diese nur die falsche Partei ("eine Partei der
Krämer, die sich als Krieger aufmandeln"; S. 41) vertreten oder hat
sie mit den falschen Leuten getanzt oder ist sie kraft ihres schwachen Geistes bei
diversen Sachthemen zu dem Schriftsteller missliebigen Einschätzungen gelangt?
Der Roman wirft auch solche Fragen auf.
Ebenfalls unklar bleibt, warum Trojanow der Ansicht ist, die Wahl von D. T. habe die Weltgeschichte (über das übliche Maß von Präsidentschaftswahlen in dem einflussreichen Land hinaus) verändert. Überhaupt nicht gerührt wird daran, was genau uns bei der Vorstellung, der eine Präsident (W. P.) hätte einen gewissen Einfluss auf den anderen, so erschrecken sollte. Die beiden müssen sich mit einiger Sicherheit mit mächtigeren Gegnern als den im Roman präsentierten auseinandersetzen, und mit einiger Sicherheit sind diese ebenfalls mit der von Ilija Trojanow so anschaulich beschriebenen Superprivilegiertenwelt längst in Berührung gekommen.
Ungeachtet
der manchmal zart aufflackernden einseitigen Polemik (allein die geänderten
Namen beinhalten ja schon eine gewisse Stimmungsmache) handelt es sich bei "Doppelte Spur" um ein interessantes
und kurzweiliges Lesevergnügen.
Das letzte Wort soll aber der
besonders bei uns in Europa vielgeschmähte D. T. alias Schiefer Turm (auch dann
noch, wenn, so witzelt einmal der Roman, er nicht mehr steht) mit einem
seiner würdigen Trinkspruch haben:
"Auf
Geld und
Weltfrieden!" (S. 157)
(fritz; 08/2020)
Ilija Trojanow: "Doppelte Spur"
S. Fischer, 2020. 240 Seiten.
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