Michael Degen: "Blondi"
Wenn Michael
Degen im Fernsehen auftaucht, wirkt er meist recht griesgrämig. Die konservativen
Rollen überwiegen, wenn er in "Siska", "Derrick" oder "Der Alte" irgendwelche
Menschen in gehobenen Positionen mimt. Auffällig oft setzt er sich als "Doktor"
ins Bild und hat dabei ebensolche abstruse Allüren wie die Vorbilder aus der
Wirklichkeit. Seine jüngsten Fernsehauftritte zeigen ihn als Vorgesetzten des
Commissario
Brunetti in den Donna Leon-Verfilmungen. Möglicherweise sind diese Rollen
aber nur eine willkommene Abwechslung zu seiner engagierten Theaterarbeit. Immerhin
arbeitete er mit Regisseuren wie
Bertolt Brecht,
Peter Zadek oder George Tabori zusammen. Sowohl im Theater an der Josefstadt
als auch am Burgtheater
hatte er Engagements. Nunmehr 70 Jahre alt geworden, legt der Schauspieler
Michael Degen seinen ersten Roman vor.
Es ist
ein sehr umfassendes Projekt, das er angegangen ist. Die Themen Nationalsozialismus,
Holocaust und die Geschichte der Juden von deren Anfängen bis jetzt in einem
Buch zu vereinigen, ist nichts Neues. Aus der Perspektive eines Hundes, der
Adolf Hitler so viel Freude machte und auf den Namen
Blondi hörte, an die Sache herranzugehen, erweist sich als einmalige Idee. Der
positive Aspekt des Buches ist, durch "Vermenschlichung" der Hunde das Leben
dieser Vierbeiner in unmittelbarem Kontakt zum Führer als von nationalsozialistischen
Clowns getragene Satire darzustellen. Blondi empfängt Befehle, die sie sofort
ausführen könnte, wenn sie es wollte. Um aber Lernbereitschaft zu zeigen, lässt
sie sich Zeit, und umso mehr Freude hat Hitler mit ihr. Der "Führer" ist von
Blondi begeistert und lässt sie allerlei Kunststückchen vor versammeltem Publikum
vorführen. Die Hunde korrespondieren untereinander durch Gedankenübertragung.
Blondi ist diesbezüglich besonders talentiert, und zu ihren zwei liebsten Freunden
werden die Rüden Wolf und Prinz. Blondi ist also ein Mädchen und soll, von Wolf
bestiegen, schließlich für Nachwuchs sorgen. Sie erfährt in der Nähe des Führers
keine Wärme, aber immerhin tiefe Zuneigung. Ereignisse von den berühmten Tischgesprächen
zum Attentat auf Hitler bis zum Selbstmord des "Führers" prägen das Leben der
Hündin. Wenn Hunde in der Lage wären, die bewusste Machtausübung und die
Minderwertigkeitskompensationsgebärden ihrer menschlichen "Begleiter" zu verstehen,
gäbe es keine Tierquälerei mehr. Das Abschießen und Quälen von Hunden wird von
den Untergebenen Hitlers kompromisslos zelebriert. Und es gibt keine Möglichkeit
für die Hunde, sich dagegen zu wehren. Außer eben Blondi. Dieses Hündchen hat
Fähigkeiten, die an menschliche Züge gemahnen. So lässt der "Führer" sie auch
schon einmal Zarah Leander imitieren.
Dadurch, dass Blondi alles versteht, was es mit den Plänen von Hitler und dessen
willigen Vollstreckern auf sich hat, bekommt die Satire einen tragischen Anstrich,
der nur bedingt zur Vertiefung des Themas führt. Vielmehr werden oft Dinge angeschnitten,
die wie Fremdkörper im Gesamtkontext des Buches wirken. Der schwächste Aspekt
des Romans ist wohl nicht der Versuch, durch eine Reinkarnationskette, die letztlich
zu Blondi hinführt, eine Geschichte der Juden abzubilden. Die Seele einer in
der Gaskammer getöteten Jüdin fuhr vorletztlich in den Hund ein, der
Namensgeber des Buches ist. Reinkarnation ist eine interessante Theorie, die
keineswegs unrealistisch sein mag. Die Frage nach dem Woher und Wohin ist denn
auch eine Grundfrage, die viele Kapitel durchleuchtet.
Nein,
der wahrlich schwächste Aspekt dieses Romans sind die oft pathetisch klingenden
Gespräche zwischen dem Hund Blondi und dem lieben Gott.
Gott bleibt nicht nur
undurchsichtig, sondern erweist sich zudem auch noch als nur Halbwissender. Die
Dialoge wirken gestelzt und fremd. Selbst für Atheisten mögen diese Stellen kaum
Attraktivität aufweisen. Zu sehr dringt hier die moralische Keule des
vermenschlichten Hundes durch, und somit wird die Glaubensfrage verwischt und in
menschliches Ungenügen eingepasst.
Es
war sicher kein leichtes Unterfangen, dieses Thema anzugehen und angemessen zu beschreiben. Zusammenfassend mag
kein Urteil gefällt, sondern nur darauf hingewiesen werden, dass einige Äpfel
des Baumes "Blondi" weit vom Stamm abgefallen sind.
Der Roman fällt insgesamt zu langatmig aus. Auf etwa 300 Seiten zurechtgestutzt
hätte er ein Prädikat "wertvoll" erzielen können. Leider gibt es aber zu viele
spekulative und harmlose Einsprengsel, die insbesondere den Fortgang der
eigentlichen Geschichte stark einbremsen oder aber eine scheinbare
Richtungsänderung ins Nirgendwo begünstigen. Es scheint so, als hätten sich
theatralische Monologe, kurzweilige Anekdoten und tiefsinnige Reflexionen
miteinander vermengt. Auf jeden Fall kann jeder Leser etwas für sich mitnehmen,
was wohl die Hauptsache bei einer Lektüre ist, die als Literatur bezeichnet
werden mag; und dies trifft hier trotz einiger Widrigkeiten eindeutig zu.
(Jürgen Heimlich)
Michael Degen: "Blondi"
List, 2004.
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Ein weiteres Buch des Autors:
"Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung"
Vaduz, 1983: Ein deutscher Schauspieler kommt nach
einem Gastspiel-Auftritt mit einem Mann ins Gespräch. Staunend erkennt er die
unverwechselbare Stimme - und erschrickt über das müde Gesicht: Es ist der
weltberühmte
Oskar Werner, Theatergott und oscarnominierte Leinwandgröße. In dieser Nacht
erzählt Werner sein erstaunliches Leben: ein Wiener Bub aus armen Verhältnissen,
der früh an der "Burg" spielte, der gegen die Nazis opponierte, desertierte und
knapp dem Tod entkam. Später liegt Werner die Welt zu Füßen, er arbeitet mit
Richard Burton, François Truffaut. Dann aber lehnt er Angebote etwa von Stanley
Kubrick ab - aus künstlerischen Zweifeln, die er nur noch trinkend erträgt ...
Den jüngeren Kollegen wird diese Nacht verändern - er blickt in den Abgrund
einer gequälten Seele, erkennt die Tragik des Ruhms. Michael Degen ist Oskar
Werner ("Jules und Jim", "Das Narrenschiff" u.A.) wirklich begegnet. Packend
erzählt er von jener Nacht, schildert Werners Leben, das durch finstere Zeiten,
über Glanz und Triumph in die Selbstzerstörung führte. Und Michael Degen
berichtet von anderen prägenden Erlebnissen, mit Gustaf Gründgens oder Ingmar
Bergman. Fast eine künstlerische Autobiografie. (Rowohlt Berlin)
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