Manfred Mittermayer: "Thomas Bernhard"
(Hörbuchrezension)
Literarischer Amokläufer
In der noch jungen Reihe der Hörbuch-Biografien 'Leben Werk
Wirkung' liegt nun diese ebenso aufschlussreiche wie spannende Edition
zu Thomas Bernhard (1931-1989) vor, mit Aussagen über und von
diesem Autor, der sich immer gern als Störenfried verstanden hat
und meinte, man müsse über die inneren Vorgänge
schreiben, denn die äußeren kenne ja ohnehin jeder. In
Bernhards Texten sind viele persönliche Erfahrungen verarbeitet,
er ist dabei unverschämt offen sich selbst und Anderen
gegenüber, wie es sein Verleger einmal sinngemäß
ausdrückte. Und so wurde er als Skandalschriftsteller gehandelt,
ebenso als Nihilist - was er aber zurückweist, er sieht sich im
Grunde als komischen Autor, der zwischendurch auch ernste Dinge
schreiben müsse. Er wollte ganz einfach "schreiben, was sonst
niemand schreibt."
Und so wird hier penibel sein Lebensweg nachgezeichnet, schön
überschaubar in Schaffensperioden eingeteilt: Bernhard als
gescheiterter Möchtegernsänger, als Gerichtsreporter, als
Schauspieler - und schließlich als Erfolgsautor mit fast 30
Jahren. Legendär seine Zusammenarbeit mit Peymann und Minetti,
ebenso seine Konflikte mit den Salzburger Festspielen, die Irritationen
um 'Holzfällen' und 'Heldenplatz' - und eben über die Jahre
hin immer wieder die Beschäftigung mit dem
Nationalsozialismus
und seine öffentliche Brandmarkung ehemaliger Nazis. Bernhard war
so konsequent, dass er Veröffentlichungen bzw. Aufführungen
seiner Werke in Österreich verbieten wollte.
Die beiden CDs liefern auch knappe Inhaltsangaben und
Interpretationsansätze der wichtigsten Werke. Bernhard wirkt wie
ein literarischer Amokläufer, wenn er seinen Zorn über die
Einsamkeit und die Hoffnungslosigkeit und die Borniertheit in vielen
monologischen Texten den Lesern zumutet. Er kennt keine Illusionen -
wurde beispielsweise von
Marcel Reich-Ranicki
als "heiterer Tragiker" bezeichnet. Eine seiner wohl zentralen Aussagen lautet: "Es ist alles lächerlich, wenn man an den
Tod denkt."
Jedenfalls bieten die vorliegenden CDs eine bequeme Möglichkeit, sich diesem unbequemen Autor zu nähern.
(KS; 10/2006)
Manfred Mittermayer: "Thomas Bernhard"
Hoffmann und Campe, 2006. 2 CDs mit Begleitheft, Laufzeit 170 Minuten.
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Buchausgabe:
Suhrkamp, 2006. 160 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Thomas Bernhard: "Argumente eines Winterspaziergängers"
Zwei Fragmente zu "Frost", Herausgegeben von Raimund Fellinger und Martin Huber
50 Jahre "Frost"
Im Mai 1963 erschien in einer Auflage von 2000 Exemplaren Thomas Bernhards Roman "Frost" im Insel Verlag. Gleich nach Erscheinen erregte der Roman größte Aufmerksamkeit: Noch nie hatten die Rezensenten und Leser derartig aufwühlende Sätze über einen froststarren, finsteren Ort namens Weng im höchsten Österreich gelesen. Der Maler Strauch beschimpfte an dieser Stelle Gott und die Welt, erkannte um sich herum nur Kranke, Kretins und Todgeweihte. (Für den Roman erhielt Bernhard nicht nur den "Bremer Literaturpreis", sondern auch den "Österreichischen Staatspreis für Literatur", was die Gemeinde Weng zu heftigen Protesten beim Bundesminister wegen Verleumdung einer ganzen Gemeinde veranlasste.)
Um das Irritationspotenzial dieses Romans einzugrenzen, verlegten die Interpreten sich schon bald darauf, die sinnlosen, widersinnigen Wortkaskaden des Malers als prototypisch für einen pathologischen Charakter anzusehen, der seinerseits prototypisch den Zerfall unserer Gegenwart vorlebt.
Aus den vielen Vorstufen zu "Frost" präsentiert dieser Band aus Anlass des fünfzigjährigen Erscheinens eine frühe Fassung, in der ein Eisenbahner mit dem Namen Leichtlebig bei einer Kur in Schwarzach (bei Goldegg-St.Veit) einem Lehrer begegnet und mit ihm ausgedehnte Spaziergänge unternimmt. Die zweite der für diesen Band ausgewählten Vorstufen datiert aus der Zeit unmittelbar vor der Fertigstellung des Romans: Die Argumente eines Winterspaziergängers gab Thomas Bernhard seinem Freund Gerhard Fritsch, damit dieser sie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Wort in der Zeit" publizierte: Bernhard hat für diese Vorabveröffentlichung des Romans signifikante Passagen aus diesem zusammengestellt und sie zu einem 19-seitigen Manuskript zusammengefügt - eine Veröffentlichung kam allerdings nicht zustande ... (Suhrkamp)
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"Der Wahrheit auf der Spur. Die öffentlichen
Auftritte"
Herausgegeben von Wolfram Bayer, Raimund Fellinger und Martin Huber.
Wenn Thomas Bernhard sich öffentlich äußert, drängt sich der
Eindruck auf, er verhalte sich genauso wie die Hauptpersonen in seinen Romanen
und Theaterstücken: Da wird die Welt zum Katastrophenroman und zum sinnlosen
Schauspiel, in dem Bornierte und Böswillige, Nichtwisser und Nichtkönner
agieren, die es in gerechtem Zorn und kunstvoller Übertreibung anzuklagen und
zu verurteilen gilt. Vorher werden sie aber, Höchststrafe, der Lächerlichkeit
überführt. Deshalb konnte es nicht ausbleiben, dass Bernhards Interventionen
ständig von Skandalen begleitet sind: Eine frühe Kritik am Spielplan trägt
ihm einen Prozess des Intendanten ein, die Dankesrede bei einer Preisverleihung
mündet in der Absage einer weiteren Preisverleihung, eine Rezension lässt
einen Minister nach dem Sendeverbot eines Bernhard-Porträts rufen, ein
Interview erregt Politiker und Journalisten gleichermaßen. Der vorliegende Band
zeigt den "öffentlichen Bernhard": Er enthält, in chronologischer
Reihenfolge, seine gewichtigen journalistischen Arbeiten, seine Leserbriefe,
seine öffentlichen Erklärungen sowie die folgenreichen Interviews. Er beginnt
mit einem Salzburger Vortrag aus dem Jahr 1954 und endet mit den letzten von ihm
formulierten Zeilen, einem Leserbrief, der drei Tage nach seinem Tod erscheint.
Hier ist nachzuvollziehen, wie Bernhard von der Öffentlichkeit gesehen werden möchte,
wie er mit ihr spielt, wie er sie für seine Zwecke benutzt, Skandale inszeniert
- und er gleichzeitig seine Vorlieben, seine Sympathien, seine Vorbilder preist.
(Suhrkamp)
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"Es ist
eh' alles positiv. Die Welt des Thomas Bernhard"
Herausgegeben von Raimund Fellinger.
In dem Interview zu seinem 50. Geburtstag erklärte Thomas Bernhard: "Negativ
ist alles, gibt nicht Positives." Später konstatierte er lakonisch: "Es
ist eh' alles positiv." Ist also Thomas Bernhard der große Unfassbare,
der im gleichen Atemzug Gegenteiliges behauptet? Ist sein Werk vielleicht
finster und sein Autor ein fröhlicher Clown? Ist er bloß ein opportunistischer
Übertreibungskünstler bei allem und jedem? Oder ist er doch der schärfste
Kritiker der politischen Verhältnisse im Allgemeinen und des "katholisch-nationalsozialistischen
Österreich" im Besonderen?
Der vorliegende Band versammelt kurze und längere Texte von Thomas Bernhard, er
berücksichtigt alle Gattungen - vom Roman bis zum einzeiligen Leserbrief - und
präsentiert das Bernhardsche Werk als einen Kontinent, auf dem es viele überraschende
Entdeckungen zu machen gibt. Er bietet somit Bernhard-Anfängern wie
Fortgeschrittenen, ja sogar den Spezialisten überraschende und ungeahnte neue
Literatur- und Geisteslandschaften. (Suhrkamp)
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