Ilija Trojanow: "Nomade auf vier Kontinenten"
Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton
Wortsammler
auf vier Kontinenten
Sir Richard Francis Burton, Der Weltensammler in
Ilija Trojanows vorjährigem Bestsellerroman, ist auch
Protagonist dieses Sachbuchs. Wer sich aber unter Sachbuch eine wenig
kommentierte und mit Bildern und Landkarten angereicherte Auflistung
der Lebensdaten des Weltreisenden von der Geburt bis zum Tod vorstellt,
kennt nicht Trojanows Begabung zur multiperspektivischen Reportage.
Denn obwohl der Autor nach dem Roman zum zweiten Mal über
dasselbe Leben schrieb, entstand diesmal ein völlig anderes
Buch.
Richard Francis Burton (1821-1890) kam zunächst als Beamter
der East India Company in Kontakt mit dem Orient. Als einer der ersten
Europäer unternahm er in der Verkleidung eines indischen
Muslims die Pilgerfahrt
nach Mekka. Der hervorragende Philologe, Kenner
orientalischer
Sprachen, Übersetzer des Kama
Sutra und
der Erzählungen aus Tausendundeiner
Nacht war später auf der Suche nach den
Quellen des Nils in Zentralafrika. Um 1870 besuchte der bibliophile
Exzentriker und Lebemann den Mormonenpropheten Brigham Young im neu
gegründeten Salt Lake City und arbeitete als britischer Konsul
in Triest ("Tristia"), Damaskus und Fernando Poo vor der Küste
Westafrikas. Insgesamt verfasste er über 60 Bücher,
von denen kaum eines in deutscher Sprache erschien.
Nach sieben Jahren auf den Spuren des englischen Abenteurers, in denen
der deutsche Schriftsteller bulgarischer Herkunft mit wechselnden
Wohnsitzen in Asien und Afrika alle Stationen
im Leben Burtons besuchte, kann Ilija Trojanow für
sich behaupten, Burton fast als Erster im deutschen Sprachraum bekannt
gemacht zu haben. So wenig geradlinig wie das Leben Burtons und seines
Biografen verläuft, so vielschichtig ist auch dieses Buch, das
gekonnt zwischen Lebensbeschreibung, Zitaten und Reportage oszilliert.
Auch Burtons Vorliebe für überbordende
Fußnoten verarbeitet Trojanow im vergnüglichen
Puzzle aus grünen Zitaten von Burtons Werken, aus schwarz
gedruckter Reportage auf der Suche nach Erinnerungen an den
Weltreisenden, aus Marginalien und aus goldenen Einsprengseln in
orientalischen Sprachen und Schriften.
Doch der Leser braucht nicht zu fürchten, die Orientierung zu
verlieren: zahlreiche Schleifen führen zurück zur
Ausgangssituation, dem absurd anmutenden nächtlichen Kauf
einer Originalausgabe der Übersetzung Burtons von Tausendundeiner
Nacht im nordindischen Shimla zu einem noch irrwitzigeren
Preis, dem eine Schnitzelspur durch die halbe Welt folgt.
Führungsschienen wie auch die geschickte Farbwahl in
bibliophiler Ausstattung und umfangreiche Verzeichnisse der Werke,
Übersetzungen und Quellen zu Richard Francis Burtons Leben
führen durch eine delikate Einheit von Inhalt und Form, zu
einer historischen Brücke zwischen den Reisebegebenheiten
zweier sehr unterschiedlicher Menschen im Abstand von
einhundertfünfzig Jahren. Deren Erlebnisse verbinden sich in
feinen Übergängen zu einem Text. Und doch sind die
Veränderungen zwischen gestern und heute oft geringer, als die
Zeitspanne über fünf oder sechs Generationen vermuten
ließe.
(Wolfgang Moser; 06/2007)
Ilija
Trojanow: "Nomade auf vier Kontinenten"
Eichborn Andere Bibliothek, 2007. 444 Seiten.
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Ilija
Trojanow, am 23. August 1965 in Sofia geboren, floh mit seiner Familie
1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie
politisches Asyl erhielten. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Von
1985-89 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie an der
Universität München. In München
gründete er auch 1989 den "Kyrill & Method Verlag" und
1992 den "Marino Verlag". 1999 zog Trojanow nach Bombay, Indien. Seit
2003 lebt er in Kapstadt.
Weiteres Bücher des Autors:
"Der Weltensammler"
Ein spannender Roman über den englischen Abenteurer Richard
Burton (1821-1890). Anstatt in den Kolonien die englischen
Lebensgewohnheiten fortzuführen, lernt er wie besessen die
Sprachen des Landes, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum
Schrecken der Behörden anonym in den Kolonien herum. Trojanows
farbiger Abenteuerroman über diesen Exzentriker zeigt, warum
der Westen bis heute nichts von den Geheimnissen der anderen Welt
begriffen hat. (Hanser) zur Rezension ...
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"EisTau" zur Rezension ...
"Macht und Widerstand" zur Rezension ...
Leseprobe aus dem Roman "Der
Weltensammler":
6. Beseitigen von Hindernissen
Mit weniger als zwölf Dienern kann ich den Haushalt nicht
organisieren, hatte Naukaram beteuert. Burton hatte ihm daraufhin
erlaubt, zwölf Diener auszusuchen und vorzuführen.
Wer weiß schon, wie und wo er sie aufgetrieben hat. Es
interessierte ihn nicht. Er hatte beschlossen, Naukaram bis auf
weiteres gewähren zu lassen. Er akzeptierte sie, die
zwölf unbekannten, dunklen Gestalten, die ins Zimmer glitten,
wortlos ihre Arbeit verrichteten und ansonsten in kaum sichtbarer
Unterwürfigkeit verharrten, die Handflächen
übereinandergelegt, der Blick auf Burton fixiert. Manchmal
vergaß er sie und erschrak, wenn sie ein Geräusch
verursachten. Er teilte die Tage im Bungalow mit ihnen; die hellen
Tage, die heißer und zäher wurden, saß er
am Schreibtisch, hinter Jalousien, die das Draußen
abblendeten. So konnte er lesen und schreiben, einigermaßen
bequem, einigermaßen erträglich. Was sollte er sonst
tun? Er brachte einer beliebig rekrutierten und miserabel motivierten
Truppe das Alphabet des Exerzierens bei, in den Stunden nach dem
Morgengrauen, und es hätte einiges an Verblendung bedurft, in
der Ausbildung dieser imperialen Hosenträger eine bedeutsame
Aufgabe zu sehen. Die Sicherheitslage im Umkreis dieses
Außenpostens gab zu keiner Sorge Anlaß, die
Einheimischen verhielten sich ruhig, die letzten Verluste lagen schon
einige Jahre zurück, als bei einer Parade im Palast des
Maharaja ein Elefant außer Rand und Band geraten war und
einige der Sepoy niedergetrampelt hatte. Ansonsten herrschte eine
solche Stille, er meinte den Pulsschlag der Borniertheit zu
hören. Er ekelte sich vor dem klebrigen Stumpfsinn eines
Lebens, das dem Billard und dem Bridge gewidmet war, er weigerte sich,
seine Dienstdauer zu durchwarten, versunken in Polstern, so tief wie
muffig, einen starren Blick auf Fingernägel gerichtet, in
denen sich Sand und Staub ansammelte. Es gab nur eine
Möglichkeit, sein Leben nicht zu verplempern: Sprachen lernen.
Sprachen waren Waffen. Mit ihnen würde er sich von den Fesseln
der Langeweile befreien, seine Karriere anspornen, anspruchsvolleren
Aufgaben entgegensehen. Auf dem Schiff hatte er genug Hindustani
aufgelesen, um sich grob zu orientieren, um sich vor den Einheimischen
nicht lächerlich zu machen, und das war mehr - wie er zu
seinem Erstaunen festgestellt hatte -, als selbst jene Offiziere
vermochten, die vom Hind seit längerem gezeichnet waren. Einer
von ihnen redete ausschließlich im Imperativ; ein anderer
benutzte stets die weibliche Konjugation - alle wußten, er
plapperte seine einheimische Geliebte nach. Ein Schotte hatte keinen
einzigen seiner Zungenschläge anpassen können, so
daß ihn seine Landsleute nur mühsam und die
Einheimischen überhaupt nicht verstanden. Versuchte er sich am
Hindustani, antworteten sie höflich und bedauernd, sie
verstünden leider kein Englisch, der Saheb möge sich
einen Augenblick gedulden, sie würden jemanden holen, der
übersetzen könne.
Nach den Regimentspflichten setzte sich Burton an seinen Schreibtisch
und versenkte sich bis in den späten Abend hinein in die
Grammatiken, die er in Bombay
erworben hatte. Er wurde selten
gestört. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß
der Griffin ein Sonderling war. Es fiel ihm nicht leicht, ruhig sitzen
zu bleiben. Kein halbes Jahr her, da war er von Greenwich aus
aufgebrochen, in der Erwartung, aus dem Krämeralltag in das
Reich famoser Heldentaten und zügiger Aufstiege
überzusetzen, Ruhm und Ehre anzulaufen. Männer seines
Alters kommandierten dreitausend Sikhs, eroberten Ländereien
für Ihre Majestät, die größer
waren als Irland.
Schweißtropfen rannen über seine Unterarme, seinen
Rücken, Fliegen schwirrten um ihn herum, Afghanistan war
anderswo und bereits befriedet, und ihm blieb nichts anderes
übrig, als Wörter laut auszusprechen, hundertfach
wiederholt. Sobald er schwieg, hörte er das Surren der
Moskitos, die er nicht loswurde, egal wie oft er durch die Luft schlug
und dabei das Wort brüllte, das er sich gerade aneignete. Es
gab nur eine Strategie, diese Plage zu besiegen. Er mußte
regungslos in seinem Stuhl verharren, die Augen auf das aufgeschlagene
Buch vor sich gerichtet, auf das nächste englische Wort, dem
wie so oft zwei Entsprechungen zugeteilt waren - die
Doppelzüngigkeit der Einheimischen offenbart sich in ihrer
Sprache, hatte der weiblich konjugierende Offizier zum besten gegeben.
Er war ein hinterlistiges Opfer, das Gehör geeicht auf die
heransurrende Mücke, pratikshaa karna, die eine Entsprechung,
langsam zu wiederholen, jede Silbe ein Schluck Wasser, der Moskito war
jetzt nahe, intezaar karna, die weitere Entsprechung, die er
wiederholte, mehrfach, er spürte, wie sich die Mücke
auf seinem Arm niederließ, wie sie hineinstach. Dann schlug
er zu.
- Naukaram!
- Ja, Saheb.
- Mit Grammatiken allein komme ich nicht weiter. Ich brauche einen
Lehrer, kannst du einen brauchbaren Lehrer auftreiben?
- Ich kann versuchen.
- In der Stadt?
- Ja, in der Stadt.
- Noch etwas, Naukaram.
- Ja, Saheb!
- Ich verbiete dir, von nun an auch nur ein einziges Wort Englisch in
meiner Gegenwart zu reden. Sprich Hindustani! Oder Gujarati oder
weiß der Teufel was, aber kein Wort Englisch mehr.
- Und wenn Besuch kommt?
- Das Nötigste. Nur das Allernötigste.