Prosa von Frauen Agnieszka Kosinska |
Auszüge aus den Katalogen "Critic's Choice", Villa Decius, Krakau 1998 sowie "Translator's Choice", Villa Decius, Krakau 1999. |
Literaturwissenschafter, Kritiker und Leser bekunden übereinstimmend,
dass die zeitgenössische polnische Prosa von Frauen dominiert wird. Schriftstellerin
im heutigen Polen zu sein ist immer noch etwas ganz anderes, als Schriftsteller
zu sein, aber es heißt auch etwas gänzlich anderes, als vor zwanzig Jahren Schriftstellerin
gewesen zu sein. In seinen Bemerkungen anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats
der Universität von Poznan an Wislawa Szymborska
im Jahr 1995 gestand der bekannte
Sprach- und Literaturwissenschafter Michal Glowinski ein, dass "Sprache auf eine
Weise konstruiert ist, die den maskulinen Formen das Privileg der Mehrzahl einräumt.
Wenn ich sage: 'Eine großartige Dichterin' drücke ich gewollt oder ungewollt aus,
dass sie nur die beste der Verse schreibenden Frauen ist."
Dennoch,
Frau zu sein ist im heutigen Polen keine schlechte Sache; es bedeutet, sich im
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu befinden.
Das Aufkeimen
des Interesses an von Frauen geschriebener Literatur war eine gesellschaftliche
Notwendigkeit. Die ersten Studien über polnische Frauenliteratur erschienen, wie
z.B. Grazyna Borkowskas "Cudzoziemki" ("Fremde") oder Maria Janions "Kobiety i
duch innosci" ("Frauen und der Geist der Andersartigkeit"). Literaturtheoretische
Arbeiten, die auf feministischer Literaturkritik basieren, wurden veröffentlicht,
wie auch Anthologien klassischer feministischer Texte und Enzyklopädien: "Kronika
kobiet" ("Chronik der Frauen") und "Encyklopedia drugiej plci" ("Enzyklopädie
des zweiten Geschlechts"). Etablierte Magazine produzierten Sondernummern über
Frauenliteratur.
Dieser kurze Überblick zeigt, dass die
1990´er Jahre einen Frauenboom in der polnischen Kultur brachten. Frauen fanden
Wege, "Niemandsland" zu besetzen und eine Karriere mit Zukunft zu wählen: Schreiben.
Frauen erzählen davon, was sie umgibt; sie spüren den vorhandenen Unterschieden
nach und untergraben existierende Strukturen und Werte. Hier sind einige dieser
individuellen Stimmen:
Magdalena Tulli, geboren 1955, ist Psychologin und lebt in Warschau. Sie nahm an Expeditionen
in die Arktis teil. Anerkennung auf literarischem Gebiet erlangte sie mit "Sny
i kamienie" ("Träume und Steine"), einem poetischen Kurzroman über Namen, Dinge,
darüber, wie eine Stadt im Bewusstsein eines Zeitgenossen existiert, für den sie
1995 den Preis der Koscielski-Stiftung erhielt.
Olga Tokarczuk ist eine talentierte Geschichtenerzählerin und Verfasserin von Essays. Sie wurde 1962 in
Sulechow geboren, studierte Psychologie an der Universität Warschau und lebt in
Walbrzych. (Band mit Erzählungen "Szafa" -dt. "Der Schrank"; zur
Rezension.)
Teresa Lubkiewicz-Urbanowicz: Ihr Erstlingsroman,
die außergewöhnliche Familiensaga "Boza podszewka", zeigt eine eigenwillige Frau
samt ihrer Familie in der Region von Vilnius und wurde bereits verfilmt.
Die
kristallklare Prosa von Anna Boleckas "Bialry kamien" erzählt eine Geschichte,
die in die Kindheit der Autorin zurückreicht.
Krystina
Kofta ist seit mehr als zwanzig Jahren eine bekannte Verfasserin von Romanen.
Zu ihren Werken zählen u. a. "Wizjer" und "Pawilon Malych Drapiezcow".
Kritiker
haben Jolanta Brach Czainas "Szczeliny istnienia" ("Die Spalten des Daseins")
als "Werk eines Genies" bezeichnet: Eine tiefgründige Studie über die Essenz unserer
Existenz, wie sie in Dingen (einem Putzlappen beispielsweise) und Handlungen (dem
Liebesakt, Kochen,...) fortbesteht
und unsere Bemühungen bei der Gestaltung des täglichen Lebens begleitet. Jolanta
Brach-Czaina studierte Filosofie an der Universität Warschau, ist Universitätsprofessorin,
Autorin und Koautorin vieler Werke zu Ästhetik, Filosofie, Kunst, Kultur und Anthropologie,
u. a. "Zur Theaterwissenschaft des 20. Jahrhunderts" (1975), "Das Ethos der neuen
Kunst" (1984), "Ästhetik der Begierden" (1988), "Von der Frau zum Mann und wieder
zurück-Betrachtungen zum Geschlecht in der Kultur" (1997).
Die vielleicht exotischsten Romane stammen von Zyta Rudzka.
Sie wurde 1964 in Warschau geboren. "Ich fühle, denke und schreibe in Bildern,
Eindrücken, Berührung, Gerüchen. Jene Welt, die mir wahrzunehmen gestattet wurde,
ist nicht sprachlich." Ihr erster Roman "Biale klisze" ("Weiße Negative") 1991,
lieferte Gesprächsstoff und brachte ihr einige Auszeichnungen ein. Ihre nachfolgenden
Romane "Uczty i glody" 1995 und "Parlac Cezarow" 1997 wurden den Erwartungen der
Kritiker und Leser gerecht.
Man müsste an dieser Stelle
noch viele andere Schriftstellerinnen erwähnen um ein vollständiges Bild der zeitgenössischen
polnischen Literatur zu erhalten: Anna Bojarska, Maria Bojarska, Ida Fink, Anna
Burzynska, Anna Nasilowska, Hanna Kowalewska, Malgorzata Saramonowicz, Eva Hoffman,
Malgorzata Holender,...
Der anerkannte Kritiker Jan Blonski hat die triumphale
Rückkehr des Romans nach Jahren der Stille im Kommunismus ausgerufen. Wie wir
gesehen haben, bedeutet das auch die Rückkehr der Frauen in die Literaturszene!
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