(...)
Hin und her wölzte ich
mich auf meinem Lager; ich versuchte alle nur möglichen Stellungen. Bald
streckte ich mich lang aus, bald wickelte ich mich rund zusammen, ließ
den Kopf auf den weichen Pfoten ruhen und ringelte den Schweif zierlich um mich
herum, so daß er die Augen bedeckte, bald warf ich mich auf die Seite,
ließ die Pfoten wegstarren vom Leib, den Schweif in lebloser Gleichgültigkeit
hinabhängen vom Lager. Alles - alles vergebens! - Wirrer und wirrer wurden
Vorstellungen, Gedanken, bis ich schließlich in jenes Delirium fiel, das
kein Schlaf, sondern ein Kampf zwischen Schlafen und Wachen zu nennen, wie Moritz,
Davidson, Nudow, Tiedemann, Wienholt, Reil, Schubert, Kluge und andere physiologische
Schriftsteller, die über Schlaf und Traum geschrieben haben, und die ich
aber nicht gelesen, mit Recht behaupten.
Die helle Sonne schien in des Meisters Zimmer herein, als ich aus diesem Delirium,
aus diesem Kampf zwischen Schlafen und Wachen, wirklich zum klaren Bewußtsein
erwachte. Aber welch ein Bewußtsein, welch ein Erwachen! - O Katerjüngling,
der du dieses liest, spitze die Ohren und lies aufmerksam, daß dir die
Moral nicht entwische! - Nimm dir zu Herzen, was ich über einen Zustand
sage, dessen unnennbare Trostlosigkeit ich dir nur mit schwachen Farben schildern
kann. - Nimm dir diesen Zustand, wiederhole ich, zu Herzen und dich selbst möglichst
in acht, wenn du zum ersten Mal in
einer Katzburschengesellschaft Katzpunsch genießest. Nippe
mäßig und berufe dich, will man das nicht leiden, auf
mich und meine Erfahrung, der Kater Murr sei deine Autorität, die jeder,
hoff ich, anerkennen und gelten lassen wird.
Nun also! - Was zuvörderst mein physisches Befinden betrifft, so fühlte
ich mich nicht allein matt und elend, sondern was mir ganz besondere Qualen
schuf, war ein gewisser kecker, abnormer Anspruch des Magens, der eben seiner
Abnormität halber nicht durchzusetzen war und nur einen unnützen Rumor
im Innern verursachte, an dem sogar die affizierten Ganglien teilnahmen, die
in ewigem physischen Wollen und Nichtvermögen krankhaft zitterten und bebten.
- Es war ein heilloser Zustand! -
Aber beinahe noch empfindlicher war die psychische Affektion. Mit der bittern
Reue und Zerknirschung eines Gestern halber, das ich doch eigentlich gar nicht
für tadelnswert achten konnte, kam eine trostlose Gleichgültigkeit
in meine Seele gegen alles irdische Wohl! - Ich verachtete alle Güter der
Erde, alle Gaben der Natur, Weisheit, Verstand, Witz und so weiter. Die größten
Philosophen, die geistreichsten Dichter
galten mir nicht höher als Lumpenpuppen, sogenannte Hansemänner, und
was das ärgste war, auf mich selbst dehnte sich jene Verachtung aus, und
ich glaubte zu erkennen, daß ich nichts sei als ein ganz gewöhnlicher
miserabler Mausekatz! - Niederschlagenderes gibt es nicht! Der Gedanke, daß
ich in dem größten Jammer befangen, daß die ganze irdische
Erde überhaupt ein Jammertal
sei, verpflichtete mich in namenlosem Schmerz. - Ich kniff die Augen zu und
weinte sehr! -
(...)
(aus "Lebensansichten des Kater Murr" von E.T.A. Hoffmann)