Franz Kafka (1883-1924) |
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Auf
den Spuren von Franz Kafka in Prag
"Er war ein schüchterner, ängstlich besorgter, sanfter und guter Mensch,
aber die Bücher, die er schrieb, waren grausam und schmerzhaft (...). Er kannte
die Menschen, wie das nur Leute von äußerster Feinnervigkeit können, die einsam
sind, und denen eine Nuance des Mienenspiels genügt, um einen Menschen geradezu
seherisch zu erschauen." (Milena Jesenska, Nekrolog auf Franz Kafka)
"Prag
und abermals Prag. Es ist die surrealistische
Realität sämtlicher Bücher Kafkas und der potenzierte Grundriss seines Werkes."
(Hugo Siebenschein)
Ein großer Verehrer von Franz Kafka ist Paul
Auster, dessen Sprache sich an die Gründlichkeit des Vorbildes anlehnt. Knapp
und mit keinem Wort zu viel sollen Lebensabgründe geschildert sein. Der Roman
des New Yorker Autors namens "Das Buch der Illusionen" beschäftigt sich mit einer
Grundfrage, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tod von Franz Kafka steht:
Ein lange vergessener Stummfilmkomiker beauftragt seine Frau, unmittelbar nach
seinem Tode sämtliche von ihm produzierten Filme der letzten Jahrzehnte zu vernichten.
Es sollen nur die bereits veröffentlichten Arbeiten aus der Jugendzeit übrig bleiben.
Die Frau tut, was ihr geheißen.
Max
Brod, der langjährige Freund des wunderbaren Franz Kafka, erfüllte den "Wunsch"
seines Bruders im Geiste nicht, sodass das Gesamtwerk des Autors aus Prag erhalten
blieb und nunmehr seit Jahrzehnten von Tausenden Literaturwissenschaftern in seine
Bestandteile zerlegt werden möchte. Es gibt wohl kaum einen Autor, dessen Werke
so intensiv auseinander genommen werden, als wäre es für den Leser nicht genug,
die unvollendeten Romane, Erzählungen, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen zu lesen,
um selbst zu einem "Urteil" zu kommen. Hätte Max Brod den Nachlass verbrannt,
wäre dann weniger Substanz da gewesen, an dem sich Kritiker aller Couleurs die
Zähne ausbeißen sollten? Ich wage dies zu bezweifeln. Zu seinen Lebzeiten wurden
nur wenige Erzählungen von Kafka veröffentlicht. Es ist des Weiteren bekannt,
dass er selten aus seinen Werken vorlas und bei einer dieser Gelegenheiten Menschen
in Ohnmacht gefallen sein sollen, da "In der Strafkolonie" zartbesaitete Seelen
erschüttern konnte und kann.
Um
die besondere Stellung von Kafka in der Literaturgeschichte festzustellen, wäre
es schon genug, sich mit der Strafkolonie, der "Verwandlung" und dem "Brief an
den Vater" auseinanderzusetzen. Es handelt sich um eigenwillige Strukturen,
die einen Lichtschein auf die möglichen Grausamkeiten des Lebens projizieren.
Die kritische Betrachtung der Fortschritte der Technik ist in "In der Strafkolonie"
fantastischer dargestellt, als dies je einem anderen Autor gelingen könnte. Es
handelt sich um keine reine Utopie, wie sie George Orwell,
Jules Verne und H.
G. Wells in ihren Romanen konstruierten. Eine Utopie, deren Realisierung schlechterdings
den Wahnsinn auf der Welt potenzieren kann. Nein, "In der Strafkolonie" ist bereits
die realisierte Utopie, die an sich selbst zerbricht. Die Technik schlägt gnadenlos
gegen ihre Protagonisten zurück. Eine Todesmaschine martert ihren Erbauer zu Tode
und geht daran zu Grunde. Da es aber Prototypen gibt, die weiterentwickelt werden
können, hat sich die schaurige Botschaft längst auf der Welt etabliert, und der
rasende Fortschritt fordert Tag für Tag unzählige Opfer, deren Todesschreie niemand
hören will.
"Die Verwandlung" ist die Sichtbarmachung einer Qual, die entsteht, wenn die
"psychische Geburt" des Menschen nicht stattfinden kann. Kafka lebte lange Zeit
mit seiner Familie unter einem Dach, und wenn er auch bald das Privileg eines
eigenen Zimmers hatte, war es ihm doch ein Gräuel, nicht ganz für sich allein
sein zu können. Die "psychische Geburt" aber kann erst dann stattfinden, wenn
der Sohn sein Bündel nimmt und zusammenschnürt und eigene Wege geht. Gregor
Samsa verwandelt sich in einen Käfer,
weil er sein Eingesperrtsein nicht mehr länger erträgt und sich als Mensch fühlt,
der nicht mehr wahrgenommen werden will. Er rebelliert auf diese Weise freilich
auch gegen seinen Vater.
Der "Brief
an den Vater", der bekanntermaßen nie
abgeschickt wurde, entstand, als Kafka bereits jenseits der 30 war. Er rechnete
darin nicht mit dem Vater ab sondern bemühte sich, die Beziehung zu ihm aus einer
neuen Perspektive zu sehen. Die Sensibilität hatte er von seinem Vater nicht
geerbt. Ständig fühlte er sich ihm unterlegen und womöglich wie ein Käfer, der
zertreten werden kann. Gott sei Dank fand irgendwann doch die "psychische Geburt"
statt, wenngleich Kafka die Rolle des unterlegenen Vatersohnes nie verlassen
konnte. Ein Schicksal, das ihn wohl mit vielen Männern verbindet.
Wenn
von Prag die Rede ist, kommt sogleich der Bezug zu Franz Kafka.
"Kafka war Prag und Prag war Kafka. Nie war es so vollkommen
und typisch Prag gewesen, und nie mehr sollte es dies sein wie zu Kafkas Lebzeiten."
(Johannes Urzidil) Tatsächlich verließ Kafka Prag nur selten, um etwa nach
Berlin, München oder Helgoland zu reisen. Er bewegte sich meist in einem engen
Radius, und seine Spaziergänge führten ihn bevorzugt in die Gegend um die Karlsbrücke
herum. Wer Kafka ein wenig nahe kommen will, muss sich zwangsläufig mit der Stadt
auseinander setzen. Mehr noch: Der "Mythos" Kafka kann nur enträtselt werden,
wenn die von Kierkegaard in Bezug auf Jesus geforderte "Gleichzeitigkeit" angestrebt
wird. Viel wichtiger als alles Andere ist es nämlich, den Menschen Franz Kafka
nur dann vor sich sehen und halbwegs verstehen zu können, wenn die Aussagen seiner
unmittelbaren Gefährten ernst genommen werden. Max Brod etwa stellte fest, dass
Verehrer von Kafka ein falsches Bild von ihm haben, da sie ihn nur durch seine
Bücher kennen. Es ist ein Unding, einen Autor nur durch dessen Werke allein interpretieren
zu wollen. Die Werke sind ein Teil von ihm, durch den sich Reflexionen zum Ausdruck
bringen, die auf verschiedenste Erlebnisse zurückzuführen sind. Es wäre in dieser
Hinsicht absurd, Kafka als Menschen zu bezeichnen, der nur grausame, surreale
Gedanken hatte. Was sich schriftlich manifestiert ist bloß ein kleiner Teil der
Lebensenergien des Autors. Widersprüchlichkeiten sind nicht ausgeschlossen, sondern
voraussehbar. So wie es unsinnig ist, Jesus im Sinne der "Gleichzeitigkeit" als
reinen Unschuldsengel zu betrachten, dessen Moralvorstellungen
von der heutigen Kirche eingefordert werden sollten, ist es ebenso sinnlos, Kafka
jegliche Lebendigkeit abzustreiten.
Er
beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte seiner Stadt und kannte jede Statue
der Karlsbrücke und deren Geschichte. Sein Wissensdurst war immens, und Max Brod
war immer wieder darüber verwundert, wie viele Geschichten Kafka
ihm erzählen
konnte. Kafka kannte seine Stadt, und Prag kannte ihn; jedoch nur den wenigsten
Bürgern von Prag war er bekannt.
Die religiöse
Seite von Kafka konnte nie entschlüsselt werden. Es steht allerdings fest, dass
der Jude Kafka sich im Laufe seines Lebens immer intensiver mit dem Judentum
beschäftigte, und schließlich zu einem "Fan" des jiddischen Theaters
avancierte.
Kafka
war nicht der geborene Einsiedler. Er unterhielt sich sehr gerne mit Menschen,
die ihm ein wenig ähnlich waren. Natürlich war er kein "Gesellschaftsmensch".
Als Teil des "Prager Kreises" agierte er sehr bescheiden. Oskar Baum, Felix Weltsch
und Max Brod waren die weiteren Mitglieder des "Kreises" zu Kafkas Lebzeiten.
Was ihn auszeichnete war seine Fähigkeit, zuhören zu können. Er sprach nie sehr
viel, aber wenn, dann hatten seine Worte ein immenses Gewicht. Sein Interesse
an Politik war gering; allerdings besuchte er häufig Vorträge anlässlich politischer
Veranstaltungen. Er ließ sich jedoch nie vereinnahmen.
Wer
auch immer sich bemüßigt fühlt, sein "Urteil" über Franz Kafka abzugeben, der
muss sich verdeutlichen, dass dieses in jedem Fall falsch ausfallen wird. Denn
es ist wahrlich nicht möglich, Kafka bis an dessen Nasenspitze nahe zu kommen.
Die Auseinandersetzung mit seinen Werken ermöglicht es immerhin, einer eigenen
Magie zu erliegen, die darin gründet, unergründlich zu sein. Kafka ist ein Autor,
der nur dann zu einem kleinen Teil verstanden werden kann, wenn sein Leben abseits seines
Schreibens betrachtet wird. Nicht nur im Sinne von Zeitzeugenberichten, sondern
ebenso als Nachdenken darüber, was hinter seinem Schreiben nicht ausgedrückt wurde.
Die surreale Welt seiner Erzählungen und Romane kann keinen Schluss vorweisen,
der endgültig wäre. Ebenso ist Kafka ohne Ende. Es gibt so unsäglich vieles, was
er scheinbar nicht ist und vielleicht gerade deswegen war. Er ruderte mit Vorliebe
auf der Moldau, ging hie und da ins Kino, besuchte Tanzlokale und sogar Bordelle
und lauschte gerne wissenschaftlichen Vorträgen. An seiner Oberfläche reibt sich
jedoch keineswegs die innere Getriebenheit.
Nur
etwa einhundert Menschen nahmen an seinem Begräbnis teil. Zum Großteil Intellektuelle.
In den Zeitungen war nur wenig von seinem Ableben zu lesen. Bekannt ist, dass er noch kurz vor seinem Tod aufgrund
von Lungentuberkulose an seinem "Hungerkünstler" feilte.
Der
am 3. Juli 1883 im Haus zum Turm Nummer 27 in Prag geborene Kafka verstarb
viel zu früh bereits am 3. Juni 1924 in Kierlingen. Er wurde auf dem neuen jüdischen
Friedhof in Prag-Straschnitz beigesetzt. Kafka hatte nie an ein allzu
langes Leben geglaubt. Sein Vater überlebte ihn um sieben Jahre.
"Die
Uhren stimmen nicht überein, die innere jagt in einer teuflischen oder dämonischen
oder jedenfalls unmenschlichen Art, die äußere geht stockend ihren gewöhnlichen
Gang." (Franz Kafka, Tagebücher)
(Jürgen Heimlich)
Gerard-Georges Lemaire: "Auf den Spuren von Franz Kafka in Prag"
Gerstenberg, 2002. 168 Seiten.
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"ÜBER DIE RAUMFORSCHER.
Ein Überzeugungsversuch"
(Über die Zeitlosigkeit in Franz
Kafkas "Das Schloß" von Janko Ferk)