rezensiert von Thomas Harbach
Natürlich hat – so tragisch es ist – der 11. September ein weiteres Subgenre des Thrillers populärer denn je gemacht. Den Paranoia- Thriller, die terroristische Bedrohung der freien Welt meistens in Person der Vereinigten Staaten. Eine Entwicklung, vor der erzkonservative Autoren wie Tom Clancy – siehe „The Sum of all fears“, in dem die kleine schmutzige Atombombe über die Golanhöhen und zwanzig Jahre Verspätung wieder direkt in das Herz der Vereinigten Staaten zurück und zur Explosion gebracht worden ist – im Vorwege gewarnt haben und die inzwischen eine Reihe von Epigonen unterschiedlichster Qualität auf den Plan ruft. Greg Bear hat sich in den letzten Jahren mit seinen nur noch am Rande utopischen in einer nahen, aber realistischen Zukunft spielenden Romanen in diesen Reigen eingegliedert. Spätestens mit dem vorliegenden Buch „Quantico“ werden die Grenzen der beiden Genres – Science Fiction und Thriller – fließend. Bears Zukunft liegt aufgrund der nackten Zahlen vielleicht noch einige Jahre in der Zukunft, die Wurzeln der Entwicklung – hier besonders die Anschläge mit den Anthrax- Briefen vor, während und nach den Chaostagen im September 2001 – sind schon gelegt. Das Erstaunlich an seinem Buch ist die provokante These, das der größte Feind der Amerikaner noch der Amerikaner selbst ist und die vielen Konflikte auf der Welt nicht nur als Bekräftigung des amerikanischen Sendungsbewusstseins und damit einhergehend der Wirtschaftsinteressen dienen, sondern insbesondere auch von den radikalen inneramerikanischen Spannungen unabhängig von der Rassenzugehörigkeit ablenken sollen. Das weiße erzkonservative, faschistische Gewaltpotential, insbesondere gesteuert von der hohen Intelligenz der Köpfe dieser Gruppen, steht für Bear im Mittelpunkt der nächsten Konflikte.
Zu Beginn seines Buches führt er scheinbar wahllos eine Handvoll von sehr unterschiedlichen Protagonisten ein. Knotenpunkt ist die Ergreifung des Patriarchen, eines seit langem gesuchten Führers einer inzwischen zur militanten Sekte mutierten Religionsgemeinschaft mit entsprechend Harem für den Führer und Gottesfürchtigkeit und Demut für die Anhänger. Bei der Verhaftung wird der Patriarch durch einen FBI Agenten getötet, die Untersuchungen auf seiner Farm beginnen die Untersuchungen, die schließlich die Wurzel einer größeren, inzwischen auch die immer noch undurchschaubare politische Situation im Nahen Osten erfassenden Verschwörung mit neuartigen biologischen Waffen umfassen. Bears größte Schwierigkeit ist weniger der wissenschaftlich- technisch sehr fundiert recherchierte Hintergrund seines Buches, sondern wie in seinen Darwin- Thrillern die Charakterisierung der einzelnen Figuren. Das ihm mit dem sehr gefährlichen Patriarchen – auch wenn er nur einen kurzen Auftritt hat – ein charismatischer Antagonist gelungen ist, gehört zu den Höhepunkten des Buches. Eher klischeehaft wirkt die obligatorische Beziehung zwischen Vater und Sohn und einer Agentin und ihrem Partner. Während also der Vater als Held der Akademie gilt und sein Sohn mittels Videoübertragung in das Schulungszentrum des FBIs – wo er mehr schlecht als recht und nur aufgrund des legendären Rufs seines Vaters seine Ausbildung beenden kann – dessen Handlungen verfolgen kann, beschreibt Bear den Filius eher als zumindest während der Ausbildung falscher Mann am falschen Ort. Als sein Vater bei dem Einsatz schwer verletzt wird, als einer der Sprengkörper eine Explosion auslöst, kommt er natürlich auf diese Art aufgrund der Beziehung zu seinem Vater zu seinem ersten wichtigen Einsatz. Gemeinsam mit der hübschen Agentin Rebecca Rose soll er die Untersuchungen fortführen. Warum eine persönliche Bindung zu einem beim Einsatz verletzten Agenten einen unerfahrenen Rekruten – allerdings leidet das FBI unter einem Mangel an qualifizierten Personal – für eine gefährliche Mission qualifiziert, dürfte das Geheimnis des Autoren sein. Eben so farblos wirkt die Beziehung zu Rebecca Rose, beide finden sich augenscheinlich attraktiv, aber zumindest das Dienstethos oder langjähriges Anschauen von „X- Files“ verhindert, dass es über weite Strecken zu mehr als scheuen Blicken kommt. Da sich Bear auch in der Beschreibung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Abteilungen der Behörden erschöpft und eine amerikanische Präsidentin beschreibt, die eher bewusst von ihren sehr einflussreichen Beratern manipuliert als informiert wird, schleppt sich in Bezug auf die leblosen und nicht selten langweiligen Charaktere insbesondere die erste Hälfte des Buches mehr dahin als das der Leser wirklich über die Protagonisten in die Handlung einbezogen wird. Diese literarische Oberflächlichkeit – mehr und mehr der Ausdruck von Bears auch nach dreißig Büchern eingeschränkten Fähigkeiten als Autor, die er im Bereich der Science Fiction immer mit außerordentlichen Ideen kompensiert hatte – steht in einem starken Kontrast zum zugrunde liegenden Plot.
Ganz bewusst lenkt Bear seine Leser mit einem Berg von Fakten – fiktiv und historisch ab. Dabei reicht das Spektrum von religiösen Fanatikern, politische Gruppierungen, einer muslimischen Terrorgruppe, die die Anschläge von 09/11 und 04/10 – einem zweiten Attentat mit ebenfalls weitreichenden Folgen auf dem Gebiet der USA – wiederholen und übertreffen wollen. Im Roman selbst gibt es eine weitere Handlungsebene, die der Leser nicht unbedingt gleich richtig zuordnen kann und wird, in der sich aber zumindest ein Schlüssel für die Lösung befindet. Das erstaunliche an solchen potentiellen Lösungen – vergleichbar auch den Büchern von Fredrik Forsyth und natürlich Tom Clancy – ist die Tatsache, dass hinter den Bedrohungen oft nicht gut organisierte und vor allem mannstarke feindliche „Truppen“ stehen, sondern kleine, im Kern sehr gut für diese Mission ausgebildete Einheiten, die autark operieren und sich durch die Netzwerkstruktur auszeichnen. Diesen Weg geht Greg Bear – wie der Leser im Laufe der manchmal sehr ermüdenden Ermittlungsarbeit feststellen wird – ebenfalls und nimmt insbesondere seinem zu Beginn des Handlungsbogens sehr intelligent aufgebauten Plot die Effektivität. Sobald der Schrecken ein Gesicht erhält, wirkt er trotz aller Gefährlichkeit und Unfassbarkeit der Pläne weniger bedrohlich und Bear gibt ihm zum Leidwesen des Buches ein eher unscheinbares Gesicht. Die Virusbedrohung an sich ist dann allerdings sehr effektiv – nicht das Leben der Opfer wird bedroht, sondern ihre Identität zerstört – und vor allem eindringlich beschrieben. Vielleicht versucht der Autor mit der Reduktion des Terrors auf einen kranken Geist den perfiden und unglaublichen Stand der biologischen Waffenforschung und die Leichtigkeit, mit der gewissenlose Männer ganze Landstriche entvölkern können und leider wahrscheinlich auch irgendwann entvölkern werden, für den Leser auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und die schon vorhandenen Tendenzen nur noch ein wenig zu extrapolieren, auf der anderen Seite reduziert er sein interessantes Szenario schließlich auf das Niveau eines mittelmäßigen Fernsehfilm des Woche. Insbesondere der Showdown zieht sich nicht nur ungewöhnlich in die Länge, er wirkt oberflächlich, fast lustlos geschrieben und ohne innere Spannung inszeniert. Diese Auflösung des Plots steht in einem starken Widerspruch zu der Intention der Verbrecher und lässt insbesondere den Leser frustriert und enttäuscht zurück.
Greg Bear ist kein emotionaler Autor. Die technischen und wissenschaftlichen Hintergründe seiner Bücher sind minutiös recherchiert und werden dem Leser verständlich und nachvollziehbar vermittelt. Insbesondere die aufgezeigten Gefahren sind Stand heutiger Technik im Bereich des Möglichen. Insbesondere die – leider frustrierend angedeutete – radikale politische Komponente innerhalb der USA ist ein Szenario des Schreckens. Bear ist aber nicht zuletzt aufgrund seines zu unterkühlten Schreibstils und seine Unfähigkeit, eine Beziehung zwischen dem Leser und seinen Protagonisten aufzubauen ein Autor, dessen Wille über seiner zumindest im vorliegenden Roman präsentierten Fähigkeit steht, einen Plot wirklich spannend und überzeugend umzusetzen. Vieles bleibt Stückwerk, nicht selten zieht er sich auf handlungstechnische Klischees und leider eindimensionale, fast wie Karikaturen wirkende Pro- und Antagonisten zurück. Unter diesen Schwächen leidet die interessante Grundidee. „Quantico“ gehört leider zu den schwächeren modernen Wissenschaftsthrillern aus der Feder des populären Science Fiction Autoren und das ist umso ärgerlich, als dass der eigentliche Plot zu seinen besseren gehört.
Greg Bear: "Quantico"
Roman, Softcover, 400 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4534-3037-9
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