rezensiert von Thomas Harbach
Das Letzte was der Leser von Greg Bears neuem, auf Deutsch veröffentlichtem Roman erwarten konnte, war eine klassische Geistergeschichte. Im Gegensatz zu seinen opulenten Space Operas der späten achtziger und frühen neunziger Jahren, im Gegensatz zu seinen insbesondere in Bezug auf die Biotechnologie als Segen und Fluch fundierten Wissenschaftsthriller überrascht „Stimmen“ nicht zuletzt in Peter Straubs und zumindest andeutungsweise auch Ray Bradburys phantastischem Niemandsland. Dabei ist sich Greg Bear bewusst, dass er mit diesem Roman kein fundamentales Neuland betritt. Das Buch beginnt in dem Niemandsland Hollywood, in welchem Vermögen gemacht und verspielt worden sind. Gleich zu Beginn zeigt uns der Autor den Glanz einer längst vergangenen Ära, einer Zeit, die sich vor allem im Licht der Öffentlichkeit gesonnt hat. Darum ist es auch keine Überraschung, dass der eigentliche Protagonist der Geschichte kein ehemaliger Filmstar oder herausragender Regisseur ist, sondern eine der „Kreaturen“, die für einen Moment für sich selbst überraschend die Popularität dieser Scheinwelt genießen durften. Und auch nur als Verantwortlicher billiger Softpornostreifen hinter der Kamera und als Fließbandschreiber von Filmbüchern. Peter Russell hat aber eine zweite Chance erhalten. Seit einigen Jahren ist er das gut bezahlte Faktotum eines ehemaligen Hollywoodstars und seiner sehr jungen Frau. Alleine die Exposition dieses Buches gehört zu den besten Szenen, die Bear geschrieben hat. Sie ist eine würdige Hommage an Bradburys unterhaltsame Geschichten. Allerdings kann Peter Russell diese scheinbare Idylle nach seinen wilden Jahren nicht lange genießen. Gleich zu Beginn des Romans öffnet sich für ihn die Tür in seine persönliche Twillight Zone. Er erhält eine traurige Nachricht. Sein bester Freund Phil ist überraschend gestorben. Im Gegensatz zu Peter Russell ist Phil immer ein echter, wahrer Schriftsteller gewesen, der sich in der Scheinwelt von Mumien, Monstren, Mutationen, schönen Frauen und starken Helden wohler gefühlt hat als in der oft düsteren Realität. Wer jetzt allerdings an den klassischen Auftakt einer lebenden Toten Geschichte oder einer Geistererscheinung von Jenseits des Grabes denkt, wird von diesem untypischen Thriller ohne eigentliche Actionszenen überrascht. Die überraschend Tod des Freundes bleibt in der ersten Hälfte des Buches immer präsent, dient Russell an mehr als einer Stelle als glänzende Ausrede, um seine Melancholie zu verstecken, ist aber für die folgende Handlung nicht der erwartete Katalysator. Russell muss für seinen Dienstherren zu einem Medium fahren und es fragen, ob man auch ohne Seele leben kann. Bevor er sich auf diese Reise begibt, drückt ihm einer der vielen Bettlern gleichen Vertreter vor dem Haus des reichen Mannes ein neuartiges Handy in die Hand, Trans genannt. Russell ist nicht zuletzt aufgrund des zusammengebrochenen Telekomsmarktes – eine Anspielung auf die Pleiten von Firmen wie „Worldcom“, die eher kontraproduktiv als der Realität entsprechend wirkt – skeptisch. Er wird schließlich überredet, dieses einzigartige Gerät auszuprobieren, das eine störungsfreie Übertragung von Gesprächen ermöglicht. Anscheinend aber nicht nur von Gesprächen rund um die Erde, sondern vor allem auch mit einer anderen Existenzebene. Die erste Hälfte des Buches wird von einer Reihe einzigartiger Szenen und Szenarien beherrscht, das übernatürliche Element schleicht sich erst in der Mitte des Buches in die Handlung und gewinnt am Ende die Kontrolle. Bear verbindet seinen bodenständigen Stoff immer wieder mit Hinweisen auf die verschiedenen phantastischen Autoren und deren Stoffe, auf populäre Fernsehserien und schließlich auch auf die Irrealität von Hollywoods Scheinwelt. Mit Peter Russell hat er einen sympathischen, aber nicht unbedingt populären Verlierer erschaffen, der zwar weiß, dass sein Leben auch Kampf bedeutet, der aber diese Fertigkeiten noch nicht gänzlich kontrolliert. Er freut sich über das Angebot der Telefongesellschaft, die Werbekampagne für das neue Trans mitzugestalten, ohne deren Interessen oder Hintergründe zu erfragen. Der Hinweis, das Russ Meyer ihn empfohlen hat, reicht ihm. Die Verbindung zwischen erfolglosem desillusionierten B- Klasse Künstler und dem modernen, oberflächlichen High Tech Jet Set wirkt extrem konstruiert. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich Bears Unfähigkeit, eine wirklich überzeugende Geistergeschichte ohne quasiwissenschaftliche Erklärung zu veröffentlichen. Der Leser ist nicht nur dem Protagonisten mindestens eine Handvoll Schritte voraus, sondern leider auch dem Autoren. Spätestens als Weinstein – eine Anspielung auf die erfolgreichen Produzentenbrüder? – die Funktionsweise des Trans zu erläutern beginnt an der Leser, dass aus der Verletzung der klassischen Übertragungswege nichts Gutes kommen kann. Trotz dieser plottechnischen Schwächen, die sich durch die Hinzufügung weiterer Fragmente aus Russells Vergangenheit nicht abmildern lassen, gelingt es Greg Bear aufgrund der einfühlsamen Charakterisierung seines Protagonisten den Leser zu fesseln. Wenn dieser das Haus seines gerade verstorbenen Freundes besucht und dort Schätze von Pulpmagazinen, Zinnfiguren und Büchern vorfindet, dann hat man einen Augenblick den Eindruck, als wenn Greg Bear das Anwesen seines Schwiegervaters – den berühmten Pul Anderson, einem Kind des Golden Age und der Zeit dieser Magazine – besucht. Russells Freund ist im Gegensatz zu ihm ein erfolgreicher Schriftsteller gewesen. Poul Anderson hat sich über Jahrzehnte eine gehobene Position in der Science Fiction und später auch der Fantasy erkämpft. Melancholisch, aber nicht hoffnungslos passiert hier das Leben einer fiktiven Persönlichkeit vor den Augen des Lesers Revue, unwillkürlich beginnt er sich allerdings auch zu fragen, was schließlich von seinem Leben und seinen Leidenschaften übrig bleiben wird. Diese Sequenzen sind verhalten, mit einem ungewöhnlich positiv humorvollen Zug geschrieben worden.
Der eigentliche Plot setzt sich dagegen aus faszinierenden, in ihrer Gesamtheit aber nicht überzeugenden Fragmenten zusammen. Russell besucht ein charismatisches Medium – sie wird ihm später auch den Hinweis auf die Bedeutung der Trans und deren Auswirkungen geben-, reist zum Begräbnis seines Freundes nach San Franzisko und verstreut dessen Asche im Meer, begegnet den Frauen seines Lebens und der Mutter seiner beiden Kinder wieder, telefoniert via Trans mit einem Freund in Prag, der dort einen billigen Actionthriller drehen soll und wird schließlich von der Ermordung seiner einen Tochter wieder eingeholt. Im Vorbeigehen löst er schließlich sehr unüberzeugend das Verbrechen – das Motiv wirkt derartig an den Haaren herbeigeholt, das man es zuerst nicht glauben will und die Idee nur in einem Horror-/ Gruselroman wirklich funktionieren kann – an ihr und findet seinen Frieden. Alle Passagen, welche sich mit einem natürlichen Tod beschäftigen, wirken friedlich, sehr bestimmt und doch hoffnungsfroh. Alle phantastischen Elemente dagegen wie Hollywood selbst hektisch und zum Teil konstruiert. Wenn er das Büro der neuen Telekomfirma im Gefängnis an der Bay ansiedelt und der Serverraum in der alten Gaskammer steht, dient dieser Einfall von Beginn an als direkter Hinweis auf die späteren gruseligen, brutalen Ereignisse. Natürlich bleibt am Ende des Buches nur das Feuer als reinigende Kraft über und diese positive Kraft heilt zweimal die Sünden der Menschen. Das die Wirkung der Trans inzwischen über Peter Russells beschränkten Bekannten- und Freundeskreis hinaus um sich gegriffen hat, ist eine der guten Ideen, die Greg Bear eher fahrlässig zur Seite legt. Anstelle – im Gegensatz zu Stephen Kings profan einfachen, aber effektiven „Cell“ – dem Pfad zu folgen, den George Romero spätestens mit „Land of the Dead“ geebnet hat, bleibt Greg Bear auf einer persönlichen, aber nicht immer restlos stimmigen Ebene hängen. Auf der anderen Seite ist „Stimmen“ einiger der wenigen Gruselromane, der an die Intelligenz seiner Leser appelliert. Es wird nicht alles vor ihm ausgebreitet, insbesondere am Ende seines konzentrierten und stringent erzählten Plots weigert sich der Autor standhaft, auf alle Fragen Ansätze von Antworten zu geben. Seine Ideen sind an einigen Stellen unauffällig ihm sich sehr ruhig und atmosphärisch dicht entfaltenden Plot integriert, dass der Leser gezwungen wird, diese Passagen ein weiteres Mal zu lesen.
Im Vergleich zu den modernen Geistergeschichten, welche Dan Simmons in den letzten Jahren entworfen und geschrieben hat, fehlt Greg Bear noch der typische Zynismus einer Mittelstandsgeneration, die ihre Ziele im Leben früh erreicht hat und sich jetzt bis zum Tod in ihrem Wohlstand zu langweilen beginnt. Insbesondere die erste Hälfte des Buches ist originell, sehr packend und emotional befriedigend, aber nicht überladen geschrieben worden. Dabei stellt der eigentliche Plot ein notwendiges Übel dar. Der Leser möchte viel mehr über diese in Hollywood gescheiterte Existenz und den frühen Tod seines besten Freundes erfahren als der Autor bereit ist, Preiszugeben. Die zweite Hälfte des Buches mit seiner technologisch gut erläuterten, aber absurden Idee verfügt aber die notwendigen Elemente aus Blut, Gewalt und Zynismus. Nachhaltig im Gedächtnis bleiben aber dem Leser die wenigen subtilen Szenen, in den sich Peter Russell und der außen stehende Betrachter, ob er nicht langsam den Verstand verliert. „Stimmen“ ist ein solide geschriebener Roman mit sehr guten Szenen, einem überzeugenden Protagonisten, der seinen jugendlichen Leichtsinn in einem nicht einfachen Leben verloren hat und einer Grundidee, die aus der Twilight Zone stammen könnte.
Greg Bear: "Stimmen"
Roman, Hardcover, 381 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4535-2283-4
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