rezensiert von Thomas Harbach
Seit vielen Jahren ist Michael Iwoleit nicht nur als guter Essay- Autor, sondern vor allem als Verfasser von außergewöhnlichen, emotional ansprechenden Kurzgeschichten und Novellen bekannt. Sein Romanwerk ist dagegen klein, aber nicht unbedingt zu vernachlässigen. So ist sein Erstling „Rubikon“ eine interessante Variation einiger Themen Stanislaw Lems ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben, die Zusammenarbeit mit Ronald M. Hahn in dem flotten Zeitreiseabenteuer „Hinter den Mauern der Zeit“ lässt sich auch heute noch gut lesen, der Ausflug in den Bereich der Space Opera mit einem Roman für die TITAN – ehemals Raumschiff Promet – Serie endete unbefriedigend, da laut Autoren der Verlag sein Manuskript stark bearbeitet und den Kontext verändert hat. Sein aktueller Roman „Psyhack“ ist eine interessante Variation der Ideen Philip K. Dicks, allerdings einschränkend gesagt volkstümlich zugänglich wie John Woos unterschätzter Film „Pay- Check“ Wie bei „Total Recall“ hat dessen auf einer Geschichte Philip K. Dicks basierende Grundidee Michael Iwoleit variiert, ohne eine billige Kopie – menschliche „Kopien“ sind ein Thema seines Romans – zu erstellen und zu vertreiben. Für die ursprüngliche Novelle hat Iwoleit im Jahre 2006 den Deutschen Science Fiction Preis – zum wiederholten Male und zum wiederholten Male verdient – überreicht bekommen. Aufgrund von Anregungen seiner Leser und Hinweisen seiner Freunde hat er begonnen, diese Novelle zu einem Roman zu erweitern und der Fabylon Verlag hat die Geschichte als Taschenbuch mit einem suggestiven Titelbild von Gabriele Behrend veröffentlicht.
Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft, die allerdings aufgrund der Entwicklungen in den Bereichen der Genetik, Biotechnologie und Softwareindustrie zumindest von der humanistischen Perspektive ausgeartet ist. Der Mensch ist nicht mehr das Individuum per se, sondern austauschbar. Mit Hilfe von Kloning, Scanning, Mnemotomien und – transplantaten können Persönlichkeiten hin und her getauscht werden. Das politisch undurchschaubare System, beherrscht von den großen Multinationalen Konzernen, ist zwar eindeutig kapitalistisch orientiert, ist aber was die Grabenkämpfen hinter den Kulissen angeht auf ein archaisches Niveau zurückgefallen. Die dritte und vierte Welt dienen als Ersatzteillager jeglicher Art. Auf einem solch barbarischen, aber lukrativen Auftrag begleitet der Leser den BioTech- Agent Marck Yanner. Seit zehn Jahren erhält er immer wieder eine neue Persönlichkeit für jeden Auftrag, seine ursprüngliche Identität hat er längst verloren. Als er einen neuen Auftrag erhält, geht bei dem Transfer augenscheinlich etwas schief. Yanner behält nicht nur Teile seiner Erinnerungen, sondern Hacker verändern seinen Auftrag und er ermordet eine wichtige Persönlichkeit des Konzerns Neuran. Jetzt sind nicht nur der Sicherheitsdienst von Neuran, die Polizei, sondern vor allem seine Auftraggeber auf seinen Fersen. Seine bisher illegale Existenz beginnt zu zerbröckeln und aus den Fragmenten seines Gedächtnisses entsteht seine Vergangenheit wieder „neu“. Und im Verlaufe dieses Prozesses erkennt er, dass es eine verhängnisvolle Verbindung zwischen Neuran und ihm gegeben hat. Anscheinend hat jemand ihm keine neue Identität für diesen Auftrag gegeben, sondern seine originäre Persönlichkeit reimportiert.
Aus einer Novelle einen Roman zu machen, ist keine leichte Aufgabe. Nicht umsonst ist das Schreiben von Novellen eine Kunst, die nur wenige Autoren wirklich beherrschen. Der Stoff ist zu umfangreich für eine Kurzgeschichte, trägt aber keinen Roman. Viele Autoren machen den Fehler, den Handlungsrahmen einfach zu strecken, Variationen der vorhandenen Szenen zu integrieren und die Auflösung des Plots hinauszuzögern. Dadurch wird aus einer kompakten Geschichte oft eine langweilige Pflichtübung. Michael Iwoleit versucht diese Problematik geschickt zu umgehen, in dem er im Mittelteil seinem Protagonisten nicht nur eine Historie schenkt, sondern vor allem versucht, dessen Motive herauszuarbeiten. Im ersten Teil des Romans und im Grunde über weite Strecken der Novelle bleibt Marck Yanner ein Opportunist, der mit oberflächlichen Skrupeln für die Konzerne bzw. deren Mittelmann in der dritten und vierten schmutzige Arbeit leistet. Dabei scheut sich Iwoleit, einen gänzlich egoistischen Mann zu beschreiben, lässt ihn seine Taten zumindest reflektieren und beim letzten Auftrag zwischen dem ganzen Leid zumindest einer jungen Frau etwas Gutes zukommen. Zusammen mit Yanner macht sich der Leser schließlich auf die Suche nach dem ursprünglichen Charakter. Diese Art der Reise endet meistens mit zu hohen Erwartungen und einer spürbaren Enttäuschung, mehr auf der Seite des Betrachters als des Charakters. So umfasst der Mittelteil – eben diese Entblätterung der originären Persönlichkeit – die Klischees vom jungen, intelligenten, aber Lebensunerfahrenen Mann, der sich unsterblich in eine entschlossene, willensstarke Frau verliebt, eine Kommune gründet, zum politisch richtigen Zeitpunkt Vater wird, schließlich diese Idylle nicht unbedingt aus Bosheit, sondern einer falschen Idee heraus verrät und quasi die nächsten zehn Jahre als Ziffer für die Bösen leiden und büßen muss. Das wirkt alles sehr glatt und ist leider im Grunde uninteressant inszeniert. Das Michael Iwoleit quasi seinen Handlungsbogen für mehr als sechzig Seiten aufgibt, um Yanner im Mittelteil seines Romans dem Leser vorzustellen, ist schriftstellerisch sehr mutig. Er geht nicht so weit, die zukünftigen Ereignisse anzudeuten, aber unterläuft die klassische Struktur eines Romans mit dieser eloquenten Rückblende und beginnt seine Leser ansatzweise zu langweilen. Im Grunde erwartet der außen stehende Betrachter mehr Überraschendes als eine eher klischeehafte, als wirklich klassische Entwicklungsgeschichte. Während er Yanner zumindest ansatzweise zu Beginn des Buches charakterisiert hat, gehen seine Personenbeschreibungen in der Rückblende nicht über eindimensionale Vorzeigefiguren hinaus. Insbesondere Yanners Ex- Frau Delia ist in ihrer Beschreibung eine Enttäuschung. So sehr sich Iwoleit auch bemüht, ihr eine Identität zu verleihen – in einem Roman um falsche Identitäten ein Muss – so sehr werden ihm hier schriftstellerische Grenzen aufgezeigt. Delia wirkt als Person nicht eigenständig, nicht überzeugend, sondern wie aus vielen Fragmenten zusammengesetzt. Eine gute Idee für ein solches Buch wäre es vielleicht, eine so zusammengebaute Persönlichkeit als falsch zu entlarven, diesen Schritt wagt Iwoleit aber nicht, sondern bleibt konsequent bei der Linie der intellektuell starken Frau mit ihren emotionalen Schwächen. Keine Überraschungen in diesem Bereich. Für Yanner sind Schuld und Liebe gleich starke Antriebsfedern, um sich seiner Vergangenheit und seinen Fehlern zu stellen. Die reinigende Katharsis erfolgt schließlich im letzten Abschnitt des Buches wie erwartet. Vielleicht liegt die Schwäche dieses Romans auch darin, dass Michael Iwoleit sehr konsequent und sklavisch seine Novelle erweitert, aber sie handlungstechnisch nicht weiter überraschend oder herasufordernd ausbaut. Der Leser der ursprünglichen Geschichte wird wenige Überraschungen in Bezug auf den Plot in diesem Buch finden und kann somit spannungstechnisch sehr weit in die Zukunft schauen. Michael Iwoleit ist in Bezug auf die Konzeption des Buches den sicheren Weg gegangen und bietet seinen Lesern etwas Vertrautes an, das er entsprechend erweitert hat.
Obwohl sich viele Anspielungen auf Philip K.Dicks Werke im vorliegenden Roman finden
lassen, fehlt ihm im Grunde die fast erdrückende Paranoia, der einfache Mann, der plötzlich aus der Bahn geworfen wird und um seinen Verstand kämpfen muss. Yanner wirkt sowohl als Profi sowie in den späteren Passagen, in denen er seine eigene Vergangenheit kennen lernt, zu abgebrüht, zu unterkühlt, selten wirklich überzeugend am Rande des Nervenzusammenbruchs. Nur selten kann Michael Iwoleit die nur zu Beginn des Buches überzeugende und notwendige Distanz überbrücken, in der zweiten Hälfte wirken die Aktionen fast zu mechanisch, als dass der Leser wirklich mitfiebern kann. Positiv verzichtet der Autor allerdings auch auf unrealistische und eloquent beschriebene Verfolgungsjagden in der Tradition eines „Minority Reports“ oder „Paychecks“ und bleibt in der Beschreibung der Vorgänge realistisch sachlich. Diese Tendenz setzt sich auch in seiner technologisch erstaunlich eloquenten, aber greifbaren Zukunftsvision fort. Seine technischen Beschreibungen sind überzeugend, die Mischung aus Cyberpunkanspielungen und biotechnologischer Extrapolation wird gut erläutert und ist sowohl für Protagonisten als auch Leser verständlich. Iwoleits Szenario in Bezug auf die politische Entwicklung – bestimmt von der Konzernpolitik – zu einem monetären Absolutismus bildet einen interessanten Kontrast zu einer im Kern auf den tragischen Szenarien des Film Noir basierenden Handlung. Ohne den Fluchttendenzen des Cyberpunks zu folgen ist der Hintergrund des Romans auf einer soliden Basis extrapoliert, in erster Linie geht es dem Autoren über die Möglichkeiten der Persönlichkeitsmanipulation. Dabei sucht er keine technische Erklärung, sondern in der Tradition der dick´schen Romane ist der Mensch immer noch der größte Feind des Menschen. So ist zumindest für den Leser keine Überraschung, wer als ausführendes Organ für den Psyhack verantwortlich ist. Einer griechischen Tragödie gleich bleiben Ursache und Auswirkung in der Familie.
„Psyhack“ ist als Erweiterung der sehr guten Novelle nicht hundertprozentig gelungen. Die Erwartungshaltung ist wahrscheinlich zu groß gewesen, der hier beschriebene Hintergrund im Gegensatz zu der düsteren Prämisse zu bodenständig normal. Das Ende des Romans wirkt im Vergleich zur Novelle deutlich entzerrter und fließender. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, den mittleren Teil besser in das Handlungsgerüst zu integrieren – unfreiwillige Flashbacks, nachdem Yanner Fragmente seiner ursprünglichen Persönlichkeit erkannt hat und sich mehr vom skrupellosen Anwalt löst, dessen „Auslöschung“ fast fahrlässig anstelle eines weiteren handlungstechnischen Höhepunkts betrieben wird -, der Spannungsbogen wird zu stark unterbrochen und leider ist der zwielichtige, aber in sich gespaltene Yanner vor dem Rückblick die faszinierendere Persönlichkeit. Trotz dieser Schwächen gehört „Psyhack“ zu Michael Iwoleits besten Arbeiten, ihm werden als Autor bei diesem Roman noch seine Grenzen aufgezeigt, die Charakterisierung erinnert manchmal weniger an die Erschaffung einer eigenständigen Persönlichkeit als die Wiedergabe von Schablonen. Sollte diese Intention Absicht sein, so wird sie nicht für jeden erkennbar. Was „Psyhack“ allerdings empfehlenswert macht, ist Iwoleits Mut, aus einer zumindest in Variationen bekannten Idee – siehe die Kurzgeschichten von Dick bis zu den Filmen wie „Total Recall“ – etwas Eigenständiges zu machen. Die Vertrautheit mit dick´schen Szenarien hilft, Iwoleits Vision zu akzeptieren und seine Extrapolation zu verfolgen. Im Vergleich zu einer Reihe anderer deutscher Autoren, die sich in ihren Romanwerken unnötig mit handlungstechnischem Ballast voll saugen, ist „Psyhack“ ein sehr geradliniger Roman, dessen Intelligenz auf dem Versatzspiel mit „echten“ oder „erfundenen“ Persönlichkeiten basiert. Aber kein deutscher Autor ist bislang eigenständig näher an Dick herangekommen als Michael Iwoleit.
Michael K. Iwoleit: "Psyhack"
Roman, Softcover, 224 Seiten
Fabylon Verlag 2007
ISBN 3-9270-7113-7
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