rezensiert von Thomas Harbach
Nessun Sapra ist das Pseudonym für Klaus Geus, der das Vorwort zu dieser handlichen und äußerlich schlicht gestalteten Hardcoverausgabe beisteuerte. Ursprünglich wollten sich mehr Leute an der Zusammenstellung des Bandes beteiligen, aber wie so oft im Leben, bleibt man alleine mit der Arbeit zurück.
In seinem kurzen Vorwort definiert er die Grundlage der Begriffe SF und Fantasy für die Zusammenstellung der Autoren dieses Buches als Schriftsteller der fiktionalen Literatur. Dabei legt er bei der einen auf wissenschaftliche Grundlagen wert, bei der anderen auf erdachte Welten. Aber auch die Zwischentöne - gruselige unerklärliche Geschichten – werden angesprochen. Erst kurze Zeit später in den zwanziger Jahren sollte diese als Weimarer Phantastik kurzzeitig literarische Berühmtheit erlangen. Trotzdem wirkt das Vorwort zu betont wissenschaftlich und Klaus Geus wendet sich unabsichtlich an Literaturstudenten oder Literaturwissenschaftler, aber weniger an die Leser und Sammler dieser heute fast vergessenen Autoren. Ein kleines Manko dieser Sammlung, denn unumwunden gibt Klaus Geus auch zu, dass diese Literaturgattung nicht von den Universitäten und Bibliotheken – die Ausnahme ist hier Wetzlar – erforscht wird, sondern von den interessierten Sammlern und Lesern.
Das jeder sekundärliterarische Text eine gewisse zeitliche Eingrenzung braucht ist keine Frage, sondern eine notwendige Tatsache. Darum definiert der Herausgeber den für ihn relevanten Zeitraum anschließend. Das Jahr 1870 stellt für Klaus Geus den Beginn der so genannten Massenliteratur dar und das Jahr 1918 mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg, der Zerschlagung des Kaiserreiches, dem unglücklichen ersten Versuch einer Demokratie und dem vorläufigen Ende einer strengen Zensur einen tief reifenden Einschnitt in die Gesellschaft und damit verbunden auch die Verlage und Magazine. Doch er kappt nicht jegliche Verbindungen zur Weimarer Republik. So findet sich selbstverständlich ein Portrait Hans Dominiks, dessen Werke eher in den zwanziger Jahren geschrieben worden sind. Verbal wird in diesem Zusammenhang auf literarische Weltraumpioniere wie Otto Willi Gail hingewiesen, aber weder Autor noch Werk vertiefend betrachtet. So arbeitet dieses Nachschlagewerk nicht gegen eine Reihe von sekundärliterarischen Büchern und Artikeln, die die deutsche Science Fiction mit Hans Dominik oder Fritzs Langs Filmen gleichsetzten und nur selten aus den dreißiger Jahren in die Vergangenheit geschaut haben.
Zu Beginn des eigentlichen Autorenteils listet der Herausgeber alle anonym geschriebenen Werke auf. Dabei sind seine Einträge zu verschiedenen Groschenheftromanserien inklusiv der Auflistung aller bekannten und nachweislich publizierten Hefte am interessantesten. Beim inzwischen im Klein- Verlag „Dieter von Reeken“ nachgedruckten „Luftpiraten und sein lenkbares Luftschiff“ überrascht die Einleitung. Ohne nähere Argumente widerspricht Geuss zum Beispiel Heinz J. Galle im Vorwort des Sammelbandes auf die Frage, wer die Romane geschrieben haben könnte. Während sich Galle an Hand verschiedener Beispiele bemüht, seine Thesen mit Fakten zu unterlegen, wirkt die hier integrierte Abfuhr unüberzeugend und für ein Lexikon unwürdig. Dann hätte der Autor zumindest Argumente ins Feld führen müssen, warum diese Thesen nicht in Frage kommen. Diese negierende Argumentation ist weder opportun noch effektiv. Trotzdem erleichtern die kurzen Zusammenfassungen eine Einordnung der einzelnen Serien in ihren geschichtlichen Rahmen.
Die alphabetische Auflistung der Autoren lässt das Auge des Betrachters gleich beim Schöpfer von „Peterchens Mondfahrt“ verharren. Das Buch lädt nicht zum studieren ein. Die informativen Autorenportrait, das Aufführen aller relevanten Veröffentlichungen und dann kurze Inhaltsangaben der wichtigsten Werke mit oft sehr sehr kurzen kritischen Anmerkungen dienen als Nachschlagewerk. Der Stil ist sachlich und kompetent. Geus hat die Schwierigkeit, die richtige Balance zwischen obligatorischer Kritik und neutraler Darstellung zu finden. Der Leser spürt, wie gerne er mehr und ausführlicher einzelne Autoren und Romane betrachten würde.
Beim ersten Durchblättern achtet man unwillkürlich auf die eher bekannten Autoren: Hans Dominik, Hans H. Ewers, Paul Scheerbart oder Kurd Lasswitz. Der Autor macht bei allen nicht den Fehler, ihre zum Teil umfangreichen Werke in die Vordergrund zu stellen, sondern konzentriert sich im Kontext des Gesamtwerkes auf die eher unbekannten Autoren. So stellt er nach einer Auflistung seiner Werke nur zwei unbekannte Kurzgeschichtensammlungen von Hans Dominik vor. Ewers ist nur mit einer kurzen Betrachtung seines Buches „Alraunes“ vertreten.
Nach der ersten Reihe – auf den Bekanntheitsgrad und nicht die Qualität bezogen – beginnt man automatisch aus Neugierde in dem Band zu blättern. Dabei stößt der Leser auf Autoren wie Albert Daiber oder Carl Grunert. Dieter-von- Reeken hat in seinem Verlag die Werke dieser Schriftsteller in liebevoller Kleinarbeit restauriert sowie in handlichen und vom Preis/Leistungsverhältnis ansprechenden Paperbacks neu veröffentlicht. Darum kann der Leser die Qualität der Betrachtungen an diesen exemplarisch herausgegriffenen Schriftstellern am besten ablesen. Auch hier überzeugt Geus mit einer fundierten Inhaltszusammenfassung, die den Reiz der Lektüre nicht mindert. Interessant ist, dass er im Fall Grunerts einige der Anspielungen auf H.G. Wells richtig herausarbeitet, eine Geschichte, in der Wells Titel abgewandelt worden ist, nur unter ferner liefen aufführt. Trotzdem stimmen die Querverweise und in der sachlichen Betrachtung übt Geus Kritik genauso wie er Lob äußert. Vielleicht hätte er bei manchen Autoren noch weitere Bezüge zum Umfeld des Schriftstellers ziehen können, so wirkt die Analyse von Friedrich Wilhelm Maders Bücher ein bisschen zu sehr der Jugendliteratur zugeneigt, obwohl er viele Bezüge seiner utopischen Texte seinen Abenteuerbüchern entnimmt.
Der wichtigste Aspekt ist allerdings, dass der Leser die Möglichkeit hat, über Bücher zu lesen und Fakten nachzuschlagen, die er sich als Normalsterblicher nicht leisten kann, weil die Preise in den Antiquariaten zu hoch sind, die es vielleicht gar nicht mehr zu kaufen gibt oder um die sich ein Mythos gebildet hat, der in keinem Zusammenhang mehr mit der Qualität des Romans steht. Oskar Hoffmann sei hier beispielhaft herausgestellt. Geus bespricht die Romane und stellt dessen bekanntestes Buch als unterhaltsame, aber hanebüchene Räuberpistole heraus. Auch ein Roman, den Dieter-von-Reeken aus dem Dunkel der Vergangenheit ziehen wollte. Da aber nicht einmal 25 Vorbestellungen für einige seiner Werke eintrudeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der sympathische Verleger das Handtuch in den kaiserlichen Ring wirft. Die Resonanz der Öffentlichkeit ist schlecht, selbst die Heimatstädte wollen sich oft eher als Literaturpreisträger als auch gemeine „Volksautoren“ erinnern. So frustrierend diese Situation auch erscheinen mag, es sind die Initiativen einzelner Sammler – die Namen sind immer die gleichen -, die die Vergangenheit der Zukunftsliteratur untersuchen und viele interessante Facetten ans Tageslicht fördern. Klaus Geus reiht sich mit diesem Buch in die erste Reihe ein.
Aus Kostengründen wurde auf die Reproduktion von Titelbildern oder Fotos der Autoren verzichtet. Das ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite zeigt der Utopica Verlag auf seiner Internetseite, wie schön integrierte Titelbilder ausgesehen hätten. Dort wird als Auszug des Buches – der Schriftsteller Oskar Hoffmann – vorgestellt. Die Wiedergabe der Titelbilder in Farbe ist eine Augenweide. Wie unbefangen und doch optisch ansprechend damals die Cover gestaltet worden sind, wäre einen separaten Beitrag wert. So muss sich der Leser durch ein Gewühl von nützlichen Fakten schlagen und dann nach Lust und Laune im Internet zu forschen beginnen.
Aber ansonsten weist das Lexikon ein ungewöhnlich sauberes Lay-Out bei einem normalen Druckbild auf. Der Leser findet eine Unzahl von nützlichen Querverweisen und selbst Laien in der Materie utopisch- phantastischer Literatur können schnell die konzentriert dargereichten Informationen finden. Das Buch sollte als Ergänzung zu den bestehenden Lexika des Heyne- Verlages oder der Corian Losebuchsammlung verstanden werden. Nachdrucke unbekannter Klassiker sind immer noch ein Liebhabermarkt. Selbst bekannte Autoren wie Robert Kraft oder Paul Scheerbart haben sich inzwischen wieder in ihre Nische zurückgezogen. Bei Kraft hat es der Karl May Verlag zu Beginn der neunziger Jahre ein weiteres Mal versucht, einige seiner utopischen Stoffe als kostengünstige Taschenbücher zu veröffentlichen, bei Scheerbart begann die Edition Phantasia und wurde im Anschlus in Person Franz Rottensteiners aus dem Hause Suhrkamp unterstützt. Auch heute versuchen Kleinverlage die Großväter Perry Rhodans am Leben zu erhalten. Während das Interesse an Nachdrucken diverser Heftromane der sechziger Jahre unverändert besteht, bleiben die Käufer für Vorkriegsphantastik bis auf eine Handvoll Unverzagter aus. Die Auflagen sind selten über 100 Bänden. Trotzdem bemüht sich der Utopica Verlag mit diesem empfehlenswerten Lexikon die Brücke zwischen den wenigen Sammler und der bibliothekarischen Öffentlichkeit zu schließen. Dieser Band spricht beide doch so unterschiedlichen Gruppen an. Für eine Bibliothek bietet das Buch fundierte Informationen, möglichst wenig Polemik oder individuelle Kritik, für die Sammler oder Interessierten einen Überblick, ein erstes Kennenlernen mit den oft als verstaubt und unlesbar geltenden klassischen Autoren.
Nessun Sapra: "Lexikon der deutschen Science Fiction& Fantasy"
Sachbuch, Hardcover
Utopica 2005
ISBN 3-9380-8301-8
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