Archivseite für Friedrich Schiller

Statt einer Besprechung

Anlässlich meiner ich weiß nicht wievielten Lektüre von »Don Karlos« statt einer Besprechung dies:

»Ich habe jetzt etwas Wundervolles gelesen, etwas Prachtvolles …«, sagte er. Sie gingen und aßen gemeinsam aus einer Tüte Fruchtbonbons, die sie bei Krämer Iwersen in der Mühlenstraße für zehn Pfennig erstanden hatten. »Du mußt es lesen, Hans, es ist nämlich ›Don Carlos‹ von Schiller … Ich leihe es dir, wenn du willst …«
»Ach nein«, sagte Hans Hansen, »daß laß nur, Tonio, das paßt nicht für mich. Ich bleibe bei meinen Pferdebüchern, weißt du. Famose Abbildungen sind darin, sage ich dir. Wenn du mal bei mir bist, zeige ich sie dir. Es sind Augenblicks- photographien, und man sieht die Gäule im Trab und im Galopp und im Sprunge, in allen Stellungen, die man in Wirklichkeit gar nicht zu sehen bekommt, weil es zu schnell geht …«
»In allen Stellungen?« fragte Tonio höflich. »Ja, das ist fein. Was aber ›Don Carlos‹ betrifft, so geht das über alle Begriffe. Es sind Stellen darin, du sollst sehen, die so schön sind, daß es einem einen Ruck gibt, daß es gleichsam knallt …«
»Knallt es?« fragte Hans Hansen … »Wieso?«
»Da ist zum Beispiel die Stelle, wo der König geweint hat, weil er von dem Marquis betrogen ist … aber der Marquis hat ihn nur dem Prinzen zuliebe betrogen, verstehst du, für den er sich opfert. Und nun kommt aus dem Kabinett in das Vorzimmer die Nachricht, daß der König geweint hat. ›Geweint?‹ ›Der König geweint?‹ Alle Hofmänner sind fürchterlich betreten, und es geht einem durch und durch, denn es ist ein schrecklich starrer und strenger König. Aber man begreift es so gut, daß er geweint hat, und mir tut er eigentlich mehr leid als der Prinz und der Marquis zusammengenommen. Er ist immer so ganz allein und ohne Liebe, und nun glaubt er einen Menschen gefunden zu haben, und der verrät ihn …«
Hans Hansen sah von der Seite in Tonio’s Gesicht, und irgend etwas in diesem Gesicht mußte ihn wohl dem Gegenstande gewinnen, denn er schob plötzlich wieder seinen Arm unter den Tonio’s und fragte:
»Auf welche Weise verrät er ihn denn, Tonio?«
Tonio geriet in Bewegung.
»Ja, die Sache ist«, fing er an, »daß alle Briefe nach Brabant und Flandern …«
»Da kommt Erwin Jimmerthal«, sagte Hans.

Thomas Mann
Tonio Kröger

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Zwei Hohlköpfe

Wie sich Schiller und Goethe doch einmal nützlich machen:

Zwei  Hohlköpfe
(Originalhöhe der Büsten ca. 8 cm)

Unter dem Motto »Schiller & Goethe zerstreut« vertreibt inkognito diese beiden Hohlköpfe, die von unten befüllt werden können. Danach liefert Schiller durch drei Löcher in seinem Kopf das erdverbundene Salz, während Goethe durch nur zwei Löcher der ganzen Sache Pfeffer gibt. Welch passende Allegorie auf … ja, auf was eigentlich?

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Nochmals »Tell« im Dritten Reich

Im März 2005 hatte ich auf meiner Pinwand einige Zitate zusammengestellt, in denen es um das Stück »Wilhelm Tell« und die Rolle der Titelfigur als Tyrannenmörder bzw. Terrorist ging. Heute ist mir dazu ergänzend das Folgende in die Hände gefallen; die Stelle ist natürlich oft angeführt worden, aber hier findet sich zusätzlich ein »Begründungszusammenhang«:

[344 a,b]

[a] 3. 6. 1941 Bormann an Lammers

Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel ›Wilhelm Tell‹ nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird.

[b] 3. 6. 1941 Aktenvermerk Bormanns

Die Entscheidung des Führers hat zwei Gründe; einmal die unverschämte Hetze, die seit langen Jahren fast alle schweizer Zeitungen gegen uns betreiben; wir haben wirklich keinen Grund, die Schweizer Fremdenpropaganda zu unterstützen.

Zweitens hat Wilhelm Tell bekanntlich nie gelebt; er ist im Grund auch kein Held, sondern ein hinterlistiger Heckenschütze.

Schon vor einigen Jahren sind die Bezeichnungen »Sächsische Schweiz«, »Holsteinische Schweiz« usw. verboten worden. Leider werden noch eine Unzahl von Holzhäusern als »Schweizer Haus« bezeichnet, obwohl diese Häuser genau so gut »Steyrer Haus« oder dgl. heissen könnten.

Quelle: Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderlichkeiten aus den Akten des »Dritten Reiches«. Hg. v. Beatrice und Helmut Heiber. München: dtv, 1993 / 2001. Hier zitiert nach der Lizenzausgabe Wiebaden: Matrix Verlag, 2005.

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