Jetzt darf Bregenz Bibione werden

Was ich mir immer wieder gewünscht habe, ist endlich wahr geworden. Eine Innenstadt fast ohne Autos. Nun sind die großen Kunsträume vom Landesmuseum über das Landestheater zum Kunsthaus mit Kaffeehäusern und Restaurants verbunden. Diese fließen quasi ineinander. Was das Beste daran ist? Ein beiger Belag verbindet das Ganze und wird in der monatelang anhaltenden Regenzeit in Bregenz zweifellos für Abwechslung sorgen. Das allzeit bereite Grau in Grau des Winters wird nun von einem fröhlichen Gelbton, der die Stimmung aufhellen wird, abgelöst. Viele haben schon gerätselt, woraus dieser Belag denn eigentlich besteht.
Ich werde es Ihnen hier und jetzt enthüllen: Verhackte Steine – ich vermute mal, importierter Sand aus Bibione sowie Marmorstaub aus Carrara, vereinzelt ein paar Rohdiamanten aus Südafrika – wurden zu einer ansehnlichen Paste zermahlen und dick auf den Kornmarktplatz aufgetragen, um die Wunden der Vergangenheit endgültig zu schließen. Das alles geschah mithilfe von Tausenden Pferdehufen und wurde wohl auch mit Hunde- und Katzenpfoten festgetreten, denn ökologisch nachhaltig sollte das Ganze schon sein. Manche meinen, auch etwas getrockneter Kuhdung aus dem Bregenzerwald sei verwendet worden, um den Boden widerstandsfähiger zu machen. Aber das ist, wie gesagt, reinste Spekulation.
Die vielen teuren Zutaten sowie die gediegene Machart erklären hinreichend die ansehnlichen Kosten von fast zwei Millionen Euro. Bregenz darf also ruhig Bibione werden: Statt echtem Sand gibt es eben ockerfarbenen Asphalt. Nun, da ja Bregenz mit durchschnittlich 15 Regentagen im Monat mehr als reich gesegnet ist und über nur sehr wenige echte Sonnentage verfügt, mag dieser Belag Teil einer gewollten Mikroklimaveränderung mitten im Herzen von Bregenz sein. Zum Vergleich: In Wien kommen wir statistisch gesehen nur auf 7 bis 9 Regentage im Monat, was sich wiederum negativ auf die Feinstaubbelastung der Luft auswirkt. Wenn schon die Wettergötter hierzulande nicht besänftigt werden können, so wurde wenigstens von der Stadt Bregenz alles Menschenmögliche dazu getan, einen Teil südlicher Sonne unter unsere Schuhsohlen zu planieren. Glücklicherweise ist weiters davon auszugehen, dass in Zeiten von Wirtschaftskrise und Sparpaketen von den Stadtvätern und -müttern in weiser Voraussicht auch einzelne Goldnuggets im Belag verarbeitet wurden, eine Rücklage für schlechte Zeiten gewissermaßen.
Nach der feierlichen Eröffnung sind wir jedenfalls dazu aufgerufen, in den nächsten Monaten, sollte es mit der Eurozone endgültig bergab gehen, diese Goldstücke und Edelsteine auszugraben, oder mittels geduldiger Waschung herauszuholen. Es soll ja Schatzkarten geben, die heute verteilt werden und eine Art Schnitzeljagd. Vielleicht liegt ja in der Nähe des Kunsthauses ein kleiner, antiker Goldschatz aus der Römerzeit vergraben. Wer des Lateinischen mächtig ist, für den wird es ein Leichtes sein, die Übersetzung einer solchen Schatzkarte zu bewerkstelligen. Sind geübte Lateiner hier anwesend? Dann bitte melden. Die Schatzkarten selbst sind übrigens bei mir um einen geradezu lächerlichen Betrag von 60 Euro jederzeit zu erwerben. Darin ist auch das ehemalige Hafengelände unter dem Landestheater bzw. dem Landesmuseum vermerkt. Es handelt sich hierbei um vergrabenes römisches Schiffsgold in Form von Münzen im Wert von 1.000.000 Sesterzen, heute noch immerhin 500.000 Euro. Ein Klacks gewissermaßen.
Übrigens, für die HistorikerInnen unter uns: Die keltische Göttin Brigantia hatte hier unter der Nepomukkapelle in ca. sieben Metern Tiefe ihre Tempelanlage, erbaut vor ca. 2300 Jahren, lange bevor die Römer alles taten, um Bregenz ihren Stempel aufzudrücken. Direkt hier unten befinden sich prähistorische Mauerteile, Gräberstätten und Kultanlagen dieser Hauptgöttin des keltischen Stammes der Brigantiner. Darüber und daneben waren die etwas billiger ausgeführten Hafentempel von Jupiter, Minerva und Hestia errichtet worden.
Wie auch immer man es dreht und wendet, Bregenz war schon in antiker Zeit ein religiöses Zentrum sowie ein multikultureller Knotenpunkt des Handels. Doch kommen wir wieder zum Wesentlichen zurück: Die Farbe unserer neuen Piazza ist irgendwo in der Mitte angesiedelt zwischen Ockergelb, Sandgelb, Safrangelb, Beigegelb, Senfgelb, Hirsegelb. Um es in den Worten der Traditionellen Chinesischen Medizin auszudrücken: Gelb stärkt in jedem Fall unsere Mitte.
Vielen mag dieser Belag im Magen liegen oder sie gar ein wenig verstören, da er laut abendländischer Tradition womöglich etwas unangenehme Erinnerungen an Gier und Neid wecken könnte. Doch bedenken wir die positiven Nebenwirkungen: Milz und Magen der BregenzerInnen werden nun sogar besser arbeiten als je zuvor.
Das berühmt-berüchtigte Qi wird ebenfalls durch gelb harmonisiert. Wetterumschwunggepeinigte erstarken, chronische Müdigkeit, bedingt durch die ständigen Wetterwechsel, wird für immer aus Bregenz verschwinden und griesgrämige Lethargie wird ausgelassener Fröhlichkeit weichen.
Manche werden sich sogar nach dem Vorarlberger Phlegma zurücksehnen. Dieser wunderbare Platz wird die Stimmung „nachhaltig“ aufhellen, wie ein sanftes Antidepressivum, wie zermörsertes, betoniertes Johanneskraut, wie Löwenzahnblüten mit Tonerde oder honigfarbene Bienenwaben mit Sandstein vermischt.
Ohne Kameraüberwachung zu benötigen (eine zusätzliche Kostenersparnis!), wird die Stadt Bregenz eine Vorreiterrolle in Verbrechensvermeidung erhalten, denn bei der anhaltend guten Laune werden selbst Diebesbanden lieber das Gold, das auf den Straßen liegt, aufheben, als noble Bürgerhäuser zu überfallen. In kalten Wintermonaten wird die gemütliche Bodenfarbe wie eine Art Fußbodenheizung fungieren und die über den Platz Wandelnden in wohlige Wärme hüllen. Gestresste, alleinerziehende Mütter, sowie schlecht bezahlte Künstlerinnen und Künstler werden ein für alle Mal von ihren Existenzsorgen befreit, denn gefundenes Gold soll und darf, so lautet die Weisung von ganz oben, behalten werden.
Schlurfende Greise werden über den Platz hüpfen wie junge Hunde. Selbst das eingeschlafene Liebesleben der BewohnerInnen wird sich erheblich verbessern.
Ohne Zweifel: Hier wurde ein riebelgelbes Paradies auf Erden für alle Bevölkerungsschichten geschaffen.
Dieser neue Belag wird in den nächsten zehn Jahren ein Vielfaches seiner Kosten hereinspielen. Denken wir nur an die wachsenden Ausgaben im Gesundheitsbereich. Ja während die Menschen früher mit gebeugtem Rücken, trüben Gedanken, mit tiefen Sorgenfalten über ungemütliche Plätze hetzten, so werden sie ab heute fröhlich tänzelnd von einem zum nächsten Geschäft schlendern und auch ab und zu einen Abstecher machen ins Kunsthaus oder ins Landesmuseum, immer ein heiteres Liedchen auf ihren Lippen. Bregenz, bisher wetterbedingt fast nur im kurzen Sommer attraktiv, wird sich bald schon als Wallfahrtsort für Miesepeter sämtlicher Provenienz entpuppen. Glückliche Tage brechen nun an: Im New England Journal of Medicine wird in Bälde ein Artikel veröffentlicht werden über den dramatischen Rückgang beim Medikamentenverbrauch in der Stadt Bregenz. Menschen werden von weither kommen über die sieben Berge von den sieben Zwergen, mit großen Schiffen, aus Ländern der aufgehenden und untergehenden Sonne, um sich in dieser Stadt niederzulassen. Bienen, woanders durch massiven Einsatz von Spritzmitteln bereits längst ausgestorben, werden in Bregenz, da Gelb Bienenschwärme bekanntlich anzieht, eine neue Heimstatt finden.
Selbst der chinesische Kaiser, dem allein die Farbe Gelb vorbehalten blieb, würde sich noch in der Verbotenen Stadt im Grab umdrehen, wenn ihm zu Ohren käme, dass in Bregenz viele Wege mit „Gold“ und „Edelsteinen“ gepflastert sind. Diese Aussichten sind märchenhaft.
Zur Person
Elisabeth Maria (Si.Si.) Klocker
Geboren: 1967 in Bregenz
Ausbildung: Kunststudium in Wien
Tätigkeit: Performerin, Sängerin u. a. als Kunstfigur Kaiserin Si.Si., Malerin, Autorin, Publikation zu Grete Gulbransson etc.
Wohnort: Wien