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Literatur Sexismus

Auch in der Literatur ist ein #aufschrei fällig

| Lesedauer: 5 Minuten
Wenn Frauen über Liebe schreiben, platzieren Kritiker sie in die Kitschecke, bei Männern gilt das als besonders einfühlsam Wenn Frauen über Liebe schreiben, platzieren Kritiker sie in die Kitschecke, bei Männern gilt das als besonders einfühlsam
Wenn Frauen über Liebe schreiben, platzieren Kritiker sie in die Kitschecke, bei Männern gilt das als besonders einfühlsam
Quelle: Getty Images/Vetta
Dass auf der Longlist des Deutschen Buchpreises trotz starker Neuerscheinungen kaum Frauen stehen, ist kein Zufall. Im Literaturbetrieb werden Autorinnen benachteiligt. Hilft nur eine Preis-Quote?

Die diesjährige Longlist des Deutschen Buchpreises wartet mit fünfzehn Männern und fünf Frauen auf. Ein Ungleichgewicht, das sich nahtlos in die Statistik einpasst: In zehn Buchpreisjahren waren jeweils zwischen vier und acht Frauen vertreten. Dass die Anzahl der weiblichen und männlichen Longlistautoren kein einziges Mal auch nur annähernd ausgewogen war, wurde in der (meist männlich dominierten) Berichterstattung selten problematisiert. Jüngst behauptete etwa Literaturkritiker Jörg Magenau, es sei gar „nicht schlimm“, dass so wenige Frauen auf der Liste stünden, da ja die letzten beiden Preise an Frauen gegangen seien (an Ursula Krechel und Terézia Mora).

Das rechtfertigt jedoch keinesfalls den geringen Frauenanteil auf den Longlists, die ein wichtiges und von Verlagen und Autoren sehr ernst genommenes Marketinginstrument sind. Valeska Henze vom Verein BücherFrauen, gegründet nach dem Vorbild der englischen „Women in Publishing“, sagt über die Bedeutung der Longlist: „Sie können einem Buch ungemein helfen, im Buchhandel und in der Wahrnehmung der Presse. Insofern ist bereits die Zusammensetzung der Long- und Shortlist wesentlich und diskussionswürdig, nicht erst die Entscheidung für das Preisträgerbuch.“

Der amerikanische Ethnologe Clifford Geertz hat das Konzept der „dichten Beschreibung“ entworfen: Ein Feldforscher muss immer auch seine eigene Perspektive nachvollziehbar machen. Auch bei der diesjährigen Juryentscheidung würde man sich einige selbstreflexive Hintergrundnotizen wünschen, die beleuchten, wie und warum eine Auswahl zustande gekommen ist, die der literarischen Landschaft in keiner Weise gerecht wird. Zu lesen war bislang lediglich ein – eingangs reichlich zynisch gefärbtes – Statement von Jurysprecherin Wiebke Porombka: Manch mittelmäßige Lektüre hätte man sich gern erspart.

Frauen für das Mittelfeld?

Dass tatsächlich alle eingereichten Bücher gelesen wurden – in diesem Jahr immerhin 176 Titel – glauben die wenigsten. Feststeht, dass auch die diesjährige Longlist dazu beiträgt, einen Kanon zu konstruieren, dessen Werke mehrheitlich von weißen, männlichen Autoren stammen.

Sie spiegelt für die Social-Media-Strategin und Autorin Annina Luzie Schmid die Realität dessen wider, was sie „Old Boys Networks“ nennt: Die Juroren des Buchpreises werden von der Akademie Deutscher Buchpreis benannt, die sich aus Verlags- und Mediengrößen zusammensetzt, konkret: mehrheitlich aus männlichen Direktoren, Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern (aktuell sind dort zwei von zehn Mitgliedern weiblich). Eine Fortsetzung des Betriebsalltags, in dem Frauen das Mittelfeld dominieren, in der Chefetage aber kaum Zugang finden.

Junge Autorinnen werden gern bei kleineren Preisen, Lesungen und Podiumsdiskussionen präsentiert; ernst genommen werden sie nur selten. Die Schriftstellerin Annett Gröschner, Jahrgang 1964, erinnert sich, dass sie vor dreißig Jahren in eine Akademiesitzung eingeladen wurde, um ihre Arbeit vorzustellen, und sich stattdessen fragen lassen musste, wann sie denn „Kinderchen bekommen“ wolle.

Was sich in den letzten dreißig Jahren verändert hat? Wenig. Wenn junge Frauen auf die Frage nach ihrem Beruf mit „Autorin“ antworten, bemerkt Kathrin Weßling, wird ihnen pauschal unterstellt, „seichte Unterhaltungsliteratur über die Liebe zu starken Männern“ zu verfassen. „Frauenliteratur wird mit Anspruchslosigkeit gleichgesetzt“, fasst Zoë Beck zusammen.

Ich bring dich ganz groß raus

Sobald es in Romanen weiblicher Autoren um Beziehungen oder Liebe geht, platzieren Kritiker sie in die Kitschecke, während ein männlicher Kollege mit denselben Themen als einfühlsam gilt. Geht es um menschliche Abgründe, um gesellschaftliche und politische Zusammenhänge, zeigen sich männliche Lesungsbesucher und Moderatoren verwundert, warum „so eine hübsche junge Frau“ sich mit so unschönen Dingen auseinandersetzt.

Es gibt Veranstalter und Kritiker, die nach Lesungsende gern Arme, Knie oder gleich Hintern tätscheln und vertrauliche Kommentare flüstern: „Du könntest doch mal etwas Erotisches für mich schreiben“, „Ich kann dich ganz weit nach vorn bringen“ oder „Du könntest ruhig etwas dankbarer sein.“

Wer nicht freundlich lächelt und stillhält, erntet Herabsetzung. Da heißt es, dass der Verleger nur deswegen junge Frauen unter Vertrag nimmt, um etwas zum Gucken zu haben. Da heißt es, dass man(n) ja schon viele junge Autorinnen im Literaturhaus kommen und verschwinden sah – und dass abzuwarten bleibt, „ob Sie es überhaupt schaffen.“

Da gibt es Drohmails: „Ich mache Sie fertig. Sie bekommen in der Branche keinen Fuß mehr auf den Boden.“ Nicht grundlos will die Mehrzahl der Autorinnen und Verlagsmitarbeiterinnen, die für diesen Artikel über ihre Erfahrungen gesprochen haben, nicht namentlich genannt werden.

Kontakte und Autorenfotos

Im Mikrokosmos der E-Literatur hängt vieles von Wohlwollen ab. Vom privaten Kontakt zu Juroren bei Stipendienvergaben. Von persönlichen Vorlieben der Lektoren. Vielleicht auch vom Autorenfoto, das bei mehr und mehr Wettbewerbsbewerbungen Pflicht ist. Das schafft Abhängigkeiten und öffnet Tür und Tor für Sexismus.

Der postulierte Idealismus der Buchbranche, der angebliche Tunnelblick aufs Geistige, der das Geschlecht des Urhebers ausschließt, wird, wenn überhaupt, nur in der U-Literatur eingelöst. Hier schauen weder Leser noch Kritiker als Erstes aufs Autorenfoto; hier werden weibliche Schriftsteller auch geduldet, wenn sie nicht langhaarig und idealgewichtig sind.

Die Frage nach dem Politischen in der Literatur muss bei den Akademien und Gremien anfangen. Dort, wo mit gezielter Förderung Politik gemacht wird, sollte das Geschlechterverhältnis genauer in den Blick genommen werden: Beim Nobelpreis etwa, beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels oder bei den großen internationalen Preisen.

Eine Quote schon für die Vorauswahl?

Annina Luzie Schmid plädiert für eine Quote, die schon für die Verlage gelten soll, die ihre Bücher vorschlagen. Wie viele der in diesem Jahr eingereichten Romane von weiblichen Autoren stammt, ist unbekannt; Kathrin Weßling will jedenfalls nicht glauben, „dass ein solch unausgewogenes Verhältnis sich aus der vorgelegten Literatur selbst ergibt“.

Marlene Streeruwitz zählt mit ihrem Roman „Nachkommen“ zu den wenigen weiblichen Namen der diesjährigen Longlist. Es bleibt zu hoffen, dass Streeruwitz’ herrlich bissiger Blick auf den Literaturbetrieb es wenigstens auf die Shortlist schafft. Bis dahin könnte man die vielen Autorinnen lesen, die von der Jury ignoriert wurden – Stephanie Bart und Dorothee Elmiger, Swenja Leiber und Monika Maron, Nino Haratischwili und Judith Hermann und viele andere. Die diesjährige Longlist hätte sich nämlich problemlos nur mit Frauen bespielen lassen. Den männlichen #aufschrei, der dann gefolgt wäre, hätten wir gern gehört.

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