ZEIT: Was war Ihr Lieblingsbuch als Kind?
Haas: Klingt wie eine Erfindung, aber ich habe Lesen gehasst als Kind.
ZEIT: Sie haben also in Ihrer Jugend nur ferngesehen und nichts gelesen. Später haben Sie Linguistik studiert und über Konkrete Poesie promoviert. Wie kommt man dazu?
Haas: Der Hauptgrund ist, dass ich mit zehn Jahren in dieses katholische Internat gekommen und dort aufgewachsen bin, bis ich 18 war. Und Bibelexegese ist eine sehr sprachaffine Tätigkeit, das fesselt mich bis heute. Im Laufe meines Studiums war für mich der faszinierendste Moment der, wo ich über die Luther-Übersetzung eine Seminararbeit schreiben musste. Und gleichzeitig gab es meine Kellnerfamilie – Sprachverliebtheit gibt es nicht nur auf akademischem Niveau. Meine Eltern waren auch sprachverliebt. Der Vater war einer, der gern absurde Witze gemacht hat.
ZEIT: Sind Ihre Eltern schicksalsbedingt unter ihren Möglichkeiten geblieben?
Haas: Ich glaube schon.
ZEIT: Sie haben also einen Familienauftrag erhalten: Kind, du musst es schaffen?
Haas: Schon, ja.
ZEIT: Weil Sie begabt waren, mussten Sie von zu Hause weg?
Haas: Da wird mir fast kalt bei der Frage, weil ich von mir überhaupt nicht sagen würde, dass ich begabt bin. Ich kenne Leute, die können gut Klavier spielen und zeichnen und schreiben, die sind das Gegenteil von mir. Meine Hauptbegabung bestand darin, zu erkennen, dass ich nur ein Talent habe, nämlich Schreiben. Das wollte ich immer.
ZEIT: Sie haben mal gesagt, Sie seien mit Komplexen beladen.
Haas: Hier ist der Beweis. (Er hebt seine Hände, in denen er seit Minuten ein Stück Papier zu einer Spindel dreht.)
ZEIT: Sie haben einmal gesagt, Sie hätten sich schon als junger Mensch gewünscht, niemals in eine hierarchische Situation zu kommen, sei es als Untergebener oder als Chef. Hängt das damit zusammen, dass Sie der Peinlichkeit ausweichen wollen, anderen Befehle zu erteilen?
Haas: Bestimmt. Ich hab ja in Wien ein paar Jahre lang in einer Werbeagentur gearbeitet ...
ZEIT: ... von Ihnen stammt ein legendärer Werbespruch für den Rundfunk: Ö 1 gehört gehört.
Haas: Genau. Und ich kann mich erinnern, dass mein erster Chef in der Werbeagentur uns Zuträger zu mehr Konfliktbereitschaft aufgefordert hat. Er hat gesagt: Ich schreie doch auch über den Gang und kriege einen roten Schädel, ich blamiere mich vor euch! Das hat mir total imponiert, dass er das Cholerische als Hingabe und Leidenschaft sieht, als eine Großzügigkeit zu seinem Schaden. Ich würde mich nicht gern so ausliefern.
ZEIT: Wie kommt es eigentlich, dass Peinlichkeit auf der Skala der Höllenqualen die beinahe schlimmste ist?
Haas: Für mich hat Schreiben extrem viel mit Scham zu tun. Ich kann mich erinnern, dass es für mich als Zwanzigjährigen der Hauptreiz war am Schreiben, dass ich das Manuskript kopieren, in ein Kuvert stecken und an einen Verlag schicken konnte. Ich musste keinen persönlichen Kontakt aufnehmen. Nur so war es mir möglich. Ich wäre nicht fähig gewesen, zu einem Freund zu sagen: Lies das mal.
ZEIT: Warum nicht?
Haas: Da hätte ich das Gefühl gehabt, dass ich ihn in die Zwangslage bringe, dass er das entweder gut finden oder mich verletzen muss. Und es wäre mir unangenehm gewesen, dass er weiß, dass ich gern hätte, dass er das gut findet – das fand ich beschämend. Ich werde oft gefragt, ob ich bei Lesungen kein Lampenfieber habe. Schwierig fand ich es immer nur, vor wenigen Leuten vorzulesen, wo es noch persönlich ist.
ZEIT: Sie haben mal gesagt, Sie sind Schriftsteller geworden, um der Kontrolle Ihres Dorfes zu entkommen. Nun haben Sie das Dorf aber durch ein viel größeres Kontrollsystem ersetzt, nämlich Ihre Leserschaft. Die hat längst die Dimension einer mittelgroßen Stadt – lauter Leute, die mustern, was Sie so herstellen. Peinigt Sie das?
Haas: Das ist mir nicht peinlich, aber es ist eine Einschränkung, die auch wieder etwas auslösen kann. In einem Dorf oder in einer Familie wird man ja immer schnell definiert: Du bist der und der. Auch in einer Firma – jeder hat sofort sein Image weg, was er für einer ist. Und der hat man gefälligst zu bleiben. Und wenn man bekannt wird als Autor, wissen jetzt viele Leute, wer der Wolf Haas ist oder wer er zu sein hat. Eine Frau, die vor zehn Jahren einen Brenner-Roman nicht gut fand, hat mir einen Brief geschrieben mit einem Satz, der mir damals wirklich übel aufgestoßen ist: "Das ist nicht mehr der Wolf Haas." Die Leserin sagte also ganz explizit: Du bist nicht mehr du selbst. Das war irritierend.
ZEIT: Haben Sie mal eine Therapie gemacht?
Haas: Ja.
ZEIT: Liest man Ihre Bücher, denkt man, da hat sich einer sehr mit sich selbst beschäftigt.
Haas: Ich kann Ihnen sogar sagen, wie meine erste Therapiestunde anfing: Ich bin hingegangen und habe gesagt, ich bin 35 Jahre alt und ein erfolgreicher Werbetexter, aber ich werde sinnlos gequält von dem Wunsch, Schriftsteller zu werden, und den möchte ich gern loswerden. Ich möchte mit dem Leben, das ich führe, zufrieden sein und nicht so einer pubertären Chimäre nachlaufen. Und die Therapeutin hat mich angeschaut und gesagt: Wieso sollen Sie nicht Schriftsteller werden?
ZEIT: So wurden Sie Schriftsteller?
Haas: Ja.
ZEIT: Waren Sie länger bei dieser Therapeutin?
Haas: Ja.
ZEIT: Was haben Sie dort über sich gelernt?
Haas: Dass ich nicht besonders begabt bin darin, Leute an mich heranzulassen. Es gibt Leute, die sind gut darin, sich einer Therapiesituation hinzugeben, aber ich war, glaube ich, ein Versager.
ZEIT: Hat Ihre Therapeutin mitgekriegt, was aus Ihnen geworden ist? Hat sie sich gefreut?
Haas: Ich glaube schon.
Kommentare
Krimis sind beschränkt?
Ich finde, es ist genauso schwer, wenn nicht schwerer, einen guten Krimi zu schreiben, wie einen anderen Roman: Man braucht eine gute Geschichte, glaubwürdige Personen, gute Dialoge, Sprachbeherrschung und eine - je nach Genre - gute Kenntnis des Milieus, in der er spielen soll. Soll ja auch einen gewissen Realitätsbezug haben, die Geschichte ... Und in einen Krimi läßt sich natürlich alles reinpacken, inklusive Gesellschaftskritik.
Sicher gibt es schlechte Krimis - aber dafür auch genügend schlechte Romane. Nicht alles, was unter der Gattung "Roman" veröffentlicht wird, ist ein "Jahrhundertroman" oder nobelpreisverdächtig.
Romane brauchen
weder eine 'gute' Geschichte noch 'glaubwürdige' Personen, noch 'gute' Dialoge per se. Sprachbeherrschung für sich reicht völlig.
Danke fürs Osterei!
Echt schönes Interview!
erste Person Plural überall !
Wer ist denn "Wir" ? , alle die, die Krimis gut finden oder wie suggeriert wir alle ?; womöglich noch weltweit ?!?
Ich persönlich kann Krimis auf den Tod nicht ausstehen. ;)
Heroisierung von Kriminal/Polizeibeamten u.ä. finde ich abstoßend.
Also bitte, verkneifen sie sich doch bitte diese mittlerweile permanenten Pauschalisierungen.
Lese fast überall nur noch "Warum WIR blalblabla ... " Überschriften.
Ist das ihre Auffassung von differenzierendem Journalismus ?
Ist das Journalismus 2.0 ,oder wie ?
Gutes Interview
Interessanter Mensch. Hab noch nichts von ihm gelesen, aber das wird heut geändert.