DIE ZEIT: Frau Shankar, Sie haben gerade Ihr neuntes Album veröffentlicht, Land of Gold, fünfmal waren Sie für einen Grammy nominiert – wahrscheinlich sind Sie der glamouröseste Star der sogenannten Weltmusik. So nennt man das ja immer noch, wenn eine Sitar-Spielerin aus Indien im Westen Erfolg hat. Den Begriff mögen Sie aber nicht, oder?
Anoushka Shankar: "Weltmusik"? Was für ein Blödsinn! Was soll das sein? In Londoner Plattenläden sortieren sie ins Weltmusik-Fach schon mal Chansons von Gainsbourg neben bayerische Blaskapellen. Meine Platten stehen da dann auch gerne. Das ist vor allem frustrierend. Weltmusik bedeutet nichts! Ich werde immer gefragt, in welche Kategorie meine Musik denn gehöre. Darauf habe ich keine Antwort.
ZEIT: Dabei wird Ihr Vater, der weltberühmte indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar, oft mit dem Ursprung dieses Begriffs in Verbindung gebracht.
Shankar: Als er in den fünfziger Jahren rund um die Welt Konzerte gab, fehlte ein Begriff für seine Musik. In Amerika kam dann die Bezeichnung "ethnische Musik" auf, was noch viel beleidigender ist. Dagegen ist Weltmusik ja noch toll. Aber auch der Begriff ist mir zu eng. Was ist denn mit dem Song auf meinem neuen Album, den ich mit M.I.A. aufgenommen habe? Ist das Weltmusik? Dance? Techno? Pop?
ZEIT: Jump In (Cross The Line) heißt der Track, auf dem Sie zusammen mit der britisch-tamilischen Sängerin, Rapperin und Beat-Spezialistin M.I.A. zu hören sind. Cross the line, die Linie übertreten, das versuchen Sie auch immer wieder. Schon auf früheren Alben haben Sie traditionelle Sitar-Klänge mit modernen Elementen kombiniert. Wollen Sie dem Instrument ein neues Publikum verschaffen?
Shankar: Es macht Spaß, zu zeigen, wie weit die Möglichkeiten einer Sitar reichen. Die Sitar ist leider ein klischeebeladenes Instrument, dessen Image entstaubt werden muss – also dieser ganze Unsinn, der mit Begriffen wie "exotisch" oder "meditativ" verbunden ist. Da ist man dann auch schnell bei "Fliegenden Teppichen", dem "Tadsch Mahal" oder "Tantra-Sex". Vielleicht stimmt auch einiges davon, aber die Sitar ist so viel mehr.
ZEIT: Sie gelten als eine der besten Sitar-Musikerinnen der Welt. Was trieb Sie dazu, Ihrem Vater nachzueifern und das gleiche Instrument zu lernen? Haben Sie nicht gegen ihn rebelliert?
Shankar: Rebellion fiel mir schwer. Er war ja nicht nur mein Vater, sondern auch mein Guru. Und gegen seinen Guru lehnt man sich nicht auf. Das Sitarspielen lernte ich bei ihm. Vier Stunden am Tag habe ich als Kind geübt, in den Ferien acht Stunden am Tag. Aber ich war trotz allem ein normaler Teenager. Mit sechzehn war ich ein Gothic-Girl, habe schwarzen Lippenstift getragen und laute Bands wie Rage Against The Machine oder Nine Inch Nails gehört. Ich konnte abends in einem Rockclub abhängen und am nächsten Tag in der Carnegie Hall mit meinem Vater auf der Bühne stehen. Das funktionierte.
ZEIT: Bei Ihrer allerersten Plattenproduktion waren sie sogar mit George Harrison im Studio.
Shankar: Das war das Album Chants Of India, das Harrison mit meinem Vater eingespielt hat. Ich war fünfzehn und assistierte und dirigierte bei den Aufnahmen. George war ein guter Freund meines Vaters, der ihm auch das Sitarspielen beibrachte. Und George dachte, er müsse auf Teenager-Mädchen besonders aufpassen. Ständig warf er mir vor, dass ich zu viel Make-up trage.
ZEIT: Was haben Sie musikalisch von Harrison gelernt?
Shankar: Geduld. Wir arbeiteten bei Chants Of India mit einem Chor. Aber die Aufnahmen waren schwierig. Der Chor sang nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Ich war total genervt und zeterte, dass man den ganzen Chor rausschmeißen sollte und überhaupt alles ganz anders angehen müsste. George blieb ruhig. Er passte seine Musik dann einfach dem Chor an, und alles ging auf. George nahm mich danach beiseite und erzählte mir die Geschichte vom Optimisten-Frosch und dem Pessimisten-Frosch. Die sind beide in einen Eimer mit Milch gefallen. Der Pessimisten-Frosch ertrinkt, weil er sofort aufgibt. Der Optimisten-Frosch strampelt so lange, bis er die Milch in Butter verwandelt hat, und ist gerettet. Das hat mich beeindruckt.
ZEIT: Auf Ihrem neuen Album ist unter den beteiligten Musikern auch ein Tänzer aufgeführt. Wie hat man sich dessen Beitrag vorzustellen?
Shankar: Das hat mit meiner Liebe für Flamenco zu tun. Ich habe schon früher mit Flamenco-Tänzern gearbeitet und den Klang ihrer tanzenden Füße aufgenommen. Das ist im Flamenco nichts Ungewöhnliches. Füße sind das perfekte perkussive Instrument. Überhaupt ist Tanzen ein enorm befreiender Vorgang. Ich liebe auch Trance-Techno und bin zehn Jahre meines Lebens regelmäßig zum Tanzen nach Goa gefahren.
ZEIT: Wird es vielleicht irgendwann eine richtige Techno-Platte mit Sitar-Einlagen von Ihnen geben?
Shankar: Ich habe einigen befreundeten Techno-Produzenten bereits mit Sitar-Gastspielen ausgeholfen. Aber eine richtige Techno-Platte wäre mir auch wieder zu konservativ. Da gibt es auch so viele Regeln, an die man sich halten muss, um von der Szene akzeptiert zu werden, das kann ganz schön anstrengend werden. Da kann ich auch bei der sogenannten Weltmusik bleiben.
Kommentare
aber ganz sicher ist diese Musik meditativ
ein live Konzert ihres Vaters zu Beginn der 80er Jahre schwingt heute noch in mir nach
das die Sitar auch noch andere Musikrichtungen beeinflussen kann,steht ausser Frage und die Tochter darf auch gerne damit experimentieren
auch wenn dabei ein fliegender Teppich rauskommt :)
Das ist sicher nett gemeint, was sie schreiben, aber defacto ist es alles andere als nett. Daran ändert auch der Smiley am Ende nichts. Sie bagatellisieren stark, worum es Frau Shankar hier geht. In Deutschland sind Begriffe wie cultural appropriation, cultural labeling, white supremacy etc. leider nicht so präsent. Sie wehrt sich schlicht gegen die weiße-westliche Arroganz, bei der alles, was man selber ist und tut, die "Norm" ist und alles andere dagegen "exotisch". Das kann man auf allen Ebenen beobachten: Jeans vs. Sari, "normale" Haare vs. Afrohaare, "normale" Augen vs. asiatische Augen, Tattoos vs. Heena und eben Geige vs. Sitar,
einfach nur saug..le Musik :)
Und das Schubladendenken, nicht nur in der Musikindustrie, ist sowieso für den A....
Talent wird doch wohl vererbt, siehe ihre (Halb) Schwester Nora Jones
Anoushka Shankar ist eine ordentliche, keineswegs aber eine (an professionellen Standards gemessen) überdurchschnittliche oder gar herausragende Sitar-Spielerin. Ihre Bekanntheit im Westen verdankt sich vor allem der Tatsache, dass sie die Tochter von Ravi Shankar, fotogen und eine Frau ist.
Das ist insofern bedauerlich, als die wirklich guten zeitgenössisschen Sitar-Spieler (Kushal Das, Shahid Parvez, Nayan Ghosh, Hindol Deb ...) außerhalb Indiens kaum aus dem Schatten solcher Promotion-Promis heraustreten können und den Publika hierzulande die Kunst des Sitar-Spiels in ihren höchsten Formen verschlossen bleibt.
Der Interviewer vermag denn auch keine einzige Frage zu stellen, die künstlerische Konzepte auf den Prüfstand stellt und Frau Shankar zu einer echten Reflexion veranlassen würde. Statt dessen beschränkt er sich auf name-dropping und Stichworte, die ihr die weitere Bedienung ihres Image-Konstruktes ermöglichen.
Prof. Dr. Hans Neuhoff, Hochschule für Musik und Tanz Köln
Lieber Herr Professor, Sie begeben sich leider auf das Level von bekifften Bluesfans, die sich nächteweise in Debatten ergehen, ob jetzt Hendrix oder Clapton der "Beste" war oder ist. (Nebenbei, es war Gallagher).
Das ist aber nicht zielführend bei Musik, denn das Schöne dran ist ist auch die subjektive Empfindung, die Saite im Hörer, die vom Interpreten eben besonders angespielt wird oder nicht.
Ich spiele auch ein bisschen Sitar. Aber ich merke, dass die wenigsten Westler einen Zugang zum Klang der Sitar und vor allem zur indischen Raga-Musik bekommen. Da sind einfach Welten dazwischen.
Anoushka Shankara schafft es immerhin bis in die Zeit-Online, das empfinde ich für einen Sitar-Spieler eine beachtliche Leistung. Das ist sicherlich auch Ihrem Namen und Ihrem Aussehen geschuldetet, aber es gehört dann eben doch wesentlich mehr dazu. Sie hat die Persönlichkeit, das Talent, den Ehrgeiz, die Ausdauer, die Vision, die Kreativität, nicht zuletzt die Bühnenpräsenz. Ob ein Künstler ein Publikum berühren kann, ist ja nicht nur (oder gar: am aller wenigsten) seiner Virtuosität geschuldet, sondern ein Gesamtpaket all seiner musikalischen Ausdrucks-Fähigkeiten und seiner Person, hinzu kommt dann noch das Quäntchen Glück. David Gilmour sagt nicht umsonst, dass die meisten Gitarristen, die (technsich) besser sind als er, in der Londoner U-Bahn spielen.
Warum sind die anderen Sitar-Spieler nicht so bekannt: weil sie es Ihnen derzeit nicht gelingt, das westliche Publikum so zu berühren, wie es Anoushka gelingt.
Ich gestehe, ich finde auch keinen Zugang zur indischen Musik (kein Werteurteil). Ich denke, es wird auch vielen Indern schwerfallen, den Zugang z.B. zu Opern (oder Musikdramen) wie "La Boheme" oder "Tristan" zu finden, zu Schubertliedern, Bachs "Wohltemperierten Klavier" oder Orgelmusik. Allerdings ist die westliche "klassische" Musik in Indien auch nicht so populär und verbreitet wie z.B. in Japan. Wir haben eben unterschiedliche Hörgewohnheiten.