© Daniel Josefsohn

Jan Böhmermann Der Alleinunterhalter

ZEITmagazin Nr. 2/2015
Im Februar wechselt Jan Böhmermann mit seiner Sendung ins ZDF. Das ist ein Wagnis und ein Wahnsinn fürs deutsche Fernsehen. Für Böhmermann ist es ein Kampf: Um Zuschauer und um die Frage, wie nahe er ihnen kommen kann. Von

Als er dreizehn ist, entscheidet er sich für Judo. Da kann er alleine kämpfen, da muss er nicht mehr mit zehn Jungs, die er nicht mag und die ihn nicht mögen, hinter einem Ball herlaufen. Wenn er beim Judo verliert, dann ist es seine Schuld, dann liegt es nicht an der Mannschaft, an diesem Haufen von Vollidioten. Jahre später, mit 33, sagt Jan Böhmermann: "Ich habe ja nun wirklich nichts zu verlieren. Außer einer Sendung im ZDF."

Die Sendung, die er verlieren könnte, gibt es noch nicht, jedenfalls nicht in dem Format, in dem sie sein wird, wenn sie am Freitag, dem 6. Februar, zum ersten Mal im ZDF ausgestrahlt wird, irgendwann um Mitternacht, am Programmrand – so nennen sie diesen Sendeplatz beim Fernsehen. Was es bisher gab, war Böhmermanns Sendung Neo Magazin. Die lief bis Ende vergangenen Jahres im Digitalsender ZDFneo, donnerstagabends, eine halbe Stunde. Die Sendung war ein bisschen wie Judo. Böhmermann kämpfte alleine mit einer Mischung aus Humor und Wut gegen alle, die er verachtet: gegen den Sänger Campino, den Rapper Bushido, die Pegida-Anhänger oder den Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Einer gegen alle, Böhmermann gegen den Rest der Welt. Allerdings kennt der Rest der Welt seine Sendung praktisch nicht. Norbert Himmler ist der Meinung, dass das anders werden sollte.

Himmler ist der Programmchef des ZDF. Er holt Böhmermann jetzt aus der Sparte ins Hauptprogramm. Bei Joko und Klaas haben sie diesen Schritt verpasst, deren Sendung lief zunächst auch auf ZDFneo, dann auf ProSieben, und mittlerweile setzt der Privatsender auch am Samstagabend auf die zwei und ist damit erfolgreich. Jetzt will das ZDF nicht noch ein Talent verlieren. Und der Sender braucht Böhmermann, um sich zu verjüngen, nicht von heute auf morgen, sondern behutsam. 2014 war zwar ein erfolgreiches Jahr für den Sender. Aber der durchschnittliche Zuschauer ist 61 Jahre alt. Für ihn gibt es am Sonntagabend das Herz-Kino und an Weihnachten Die Helene Fischer Show. Wenigstens der Freitagabend soll ein "junger Abend" werden, mit der heute show, mit aspekte, und jetzt auch noch mit Böhmermanns Neo Magazin Royale wie die Sendung fortan heißen wird .

Wenn man Böhmermann fragt, warum er eigentlich Fernsehen machen will, dann sagt er: "Ich will nicht einfach Fernsehen machen. Ich will öffentlich-rechtliches Fernsehen machen. Denn ich will für meine 17,50 Euro Rundfunkbeitrag nicht nur folkloristische Lokalberichterstattung für Senioren, ein paar halbherzig frisierte ARD-Hierarchen, die es bis zum Tagesthemen-Kommentar geschafft haben, oder die singende Sagrotan-Flasche Helene Fischer sehen. Und zur Not muss man das Programm, das man sich wünscht, eben selber machen." Für manche beim ZDF klingt das wie eine Drohung, denn Böhmermann sei nicht kontrollierbar, ein Freak, ein Provokateur – eine Zumutung für den ZDF-Zuschauer. Himmler sagt, er sehe bei Böhmermann großes Potenzial.

Deshalb investiert der Sender in ihn und sein Team. Das Neo Magazin Royale zeichnen sie bald in einem neuen Studio auf, größer und komfortabler als das alte. Es gibt mehr Geld. Böhmermann bekommt ein eigenes Büro. Er muss sich auch die Anzüge, die er im Fernsehen trägt, nicht mehr selber kaufen. Im Gegenzug muss er nicht nur beweisen, dass er die Zukunft des Fernsehens ist. Er muss auch beweisen, dass das Fernsehen abseits der Spartenkanäle einen wie ihn erträgt. Und dass er gutes Fernsehen machen kann, dass ihn nicht nur ein paar junge Menschen und einige Fernsehkritiker mögen.

© Daniel Josefsohn

Böhmermann wollte eigentlich Schauspieler werden, als kleiner Junge spielte er Schultheater. Er ist 17, als sein Vater an Leukämie stirbt. Böhmermann sagt: "Von da an ging es nicht mehr um Selbstverwirklichung, sondern ums Existenzsichern." Er schreibt für eine Lokalzeitung, mit 18 Jahren wird er Reporter bei Radio Bremen, dann geht er nach Köln, beginnt ein Studium, bricht es ab, arbeitet für den Hörfunksender 1Live. 2005, Böhmermann ist 24, erfindet er die Radiorubrik Lukas’ Tagebuch, in der er den Fußballer Lukas Podolski parodiert. Daraus stammt der Satz: "Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel", von dem einige bis heute glauben, dass er tatsächlich von Podolski stammt. Der verklagt den WDR und verweigert der ARD während der Weltmeisterschaft 2006 Interviews. "Das war das erste Mal", sagt Böhmermann, "dass ich ahnte, was ich anrichten kann." Das Fernsehen wird auf ihn aufmerksam, er macht kleinere Comedy-Geschichten und taucht 2009 im Ensemble von Harald Schmidt auf. Von da an gehört er zum Schattenkabinett des deutschen Fernsehens, zu den jungen Wilden, die so viel Talent und so wenig Massentauglichkeit besitzen. Und Böhmermanns Kampf ist jetzt auch ein Kampf raus aus dem Schatten.

Jan Böhmermann muss jetzt beweisen, dass das Fernsehen abseits der Spartenkanäle einen wie ihn erträgt

Ein Mittwoch im Dezember in Köln-Ehrenfeld. Die viertletzte Sendung des Neo Magazins wird am Abend aufgezeichnet, am Nachmittag geht Jan Böhmermann zu Fuß vom alten Studio dahin, wo gerade das neue Studio entsteht, und sagt: "Ach, das wird schon alles." Er sagt in diesen Tagen sehr oft "Ach, das wird schon alles", es ist eine Art Beschwörungsformel. Das alte Studio liegt neben einer Teppichreinigung, das neue Studio war mal ein Teppichgroßhandel. In Köln-Ehrenfeld haben viele Geschäfte mit Teppichen zu tun. Die großen Fernsehproduktionsfirmen, Endemol und Brainpool, haben ihren Sitz zwar auch in Köln, aber sie sind weit weg – und man hat auch nicht das Gefühl, dass sich Böhmermann nach mehr Nähe sehnen würde. Nähe bedeutet für ihn Zugriff. Zugriff mag er nicht. Er mag es, die Dinge alleine zu entscheiden. Im Moment muss er sich entscheiden, ob er in der neuen Show hinter einem Vorhang hervorkommen oder durch eine Tür gehen wird. Vorhang wäre einfacher, Tür sähe besser aus. Böhmermann sagt, gestern hätten sie beschlossen, dass das Studio einen shiny floor bekommen soll.

Shiny floor. So nennt man beim Fernsehen die große Bühne, die Samstagabendunterhaltung. Einige Wochen zuvor sagt Norbert Himmler, einem wie Böhmermann könne man eigentlich gar kein Shiny-floor-Format geben, weil der sich dann nur über den glänzenden Boden beugen und sich selbst betrachten würde. Himmler sagte auch, dass man den ZDF-Zuschauer an Böhmermann gewöhnen müsse, was keine leichte Aufgabe sei. Doch der Programmchef wirkt im Gespräch wie einer, der Lust hat auf diese Aufgabe. Himmler ist 44, für seine Position ist das sehr jung. Er spricht von unterschiedlichen Blickwinkeln, von Widersprüchen, die man aushalten müsse, und davon, dass er Haltung von jeder Sendung und von jedem Moderator fordere. Wenn er über Böhmermann redet, dann klingt das ein bisschen so, als würde ein Lehrer über ein talentiertes Problemkind sprechen, das zu oft den Unterricht stört: "Es ist einfach, sich in einer sarkastischen Nische zu vergraben. Schwieriger ist es, wenn man sich öffnen muss, um für ein breites Publikum zugänglicher zu werden. Das schafft nicht jeder. Aber Böhmermann ist dabei – es darf nur nicht zu schnell gehen, dann wird er unglaubwürdig. Aber er hat für seine Entwicklung alle Freiheiten, die er braucht." Muss Böhmermann eine Quote erfüllen? "Nö, muss er nicht. Was ich mir von ihm erhoffe, erfüllt er aus dem Stand. Er bekommt von uns keine Quotenvorgabe. Was er jetzt von uns bekommt, ist ein bisschen mehr Glanz für seine Bühne."

Dem alten Studio fehlt jeder Glanz. Dass die Sendung dennoch von Anfang an gut aussah, lag an den Ideen der Produktionsfirma Bild- und Tonfabrik (btf), hervorgegangen aus einer Handvoll Kölner Kunststudenten, die das Fernsehen neu erfinden wollten. Auch wenn es am Anfang das reine Chaos war, spürt man als Besucher an einem Aufzeichnungstag mittlerweile die Routine, die Struktur – wahrscheinlich, weil sich dreißigminütiger Wahnsinn nur in einem Korsett herstellen lässt: Um 12 Uhr findet eine technische Probe statt, um halb drei die Generalprobe, um 17 Uhr werden die Zuschauer hereingelassen, um 18 Uhr beginnt die Aufzeichnung.

Böhmermann ist immer schon weiter als der Zuschauer – und er muss aufpassen, dass er ihm nicht enteilt

Philipp Käßbohrer ist einer der zwei Geschäftsführer der btf, er kümmert sich um die Produktion mit einer Gelassenheit, die für einen 31-Jährigen ziemlich erstaunlich ist: Leise, aber bestimmt gibt er letzte Anweisungen, in der technischen Probe spielt er die Rolle von Böhmermann. Noch vor drei Jahren saß Käßbohrer mit einigen anderen, die demnächst das Neo Magazin Royale für das ZDF produzieren, in einem Kölner Keller und werkelte vor sich hin: Lichtinstallationen, Kurzfilme, solche Sachen. In diesem Keller hat Böhmermann ihn gefunden, er kam manchmal vorbei, um Beiträge schneiden zu lassen, die er damals für die Late Night Show von Harald Schmidt beisteuerte. Die beiden sprachen über ein Fernsehformat, über eine Talkshow, darüber, wie die im Jahr 2012 eigentlich sein müsste. Daraus wurde dann Roche & Böhmermann – Böhmermanns erste eigene Sendung, die er zusammen mit Charlotte Roche moderierte. Zunächst hielt Käßbohrer das nur für ein weiteres Projekt, dann lief es tatsächlich im Digitalsender ZDFkultur, dann sprachen die Leute darüber, es gab Lob, und Käßbohrer und sein Co-Geschäftsführer bekamen dafür den Förderpreis des Deutschen Fernsehpreises. Nach dem plötzlichen Ende von Roche & Böhmermann vor zwei Jahren, über dessen Gründe alle Beteiligten schweigen, entwickelten Böhmermann und Käßbohrer das Konzept für das Neo Magazin, ein Nischenformat in einem Nischensender, das es innerhalb eines Jahres ins Hauptprogramm geschafft hat.

Böhmermann verlässt sich blind auf Käßbohrer, vielleicht liegt das daran, dass der eine den anderen ergänzt. An Böhmermann ist nichts Leises, nichts Gelassenes. Und obwohl er sich geschworen hat, nie wieder eine Doppelmoderation zu machen, nie wieder abhängig zu sein, weiß er, dass er zwei, drei Menschen braucht, die ihm genau dabei helfen: beim Alleinsein. Die ihn lassen. Und trotzdem da sind. Während Käßbohrer und das Team die letzten Vorbereitungen für die Aufzeichnung treffen, zieht sich Böhmermann zurück, geht die Sendung noch einmal durch, prägt sich den Ablauf ein, feilt an den Gags, die ihm Autoren zuliefern. Er kann sich in dieser Arbeit verlieren, und er schaut sich bei der Arbeit zu, er merkt während der Sendung, ob etwas funktioniert oder nicht. Er sagt, am Tag danach gebe es, ähnlich wie Harald Schmidt, keine Sendungskritik, das Team sitzt nicht zusammen, um über das zu sprechen, was gut und was falsch gelaufen ist.

Es steckt einiges von Harald Schmidt in Jan Böhmermann, das hat Vor- und Nachteile. Beiden gemeinsam ist eine Unzufriedenheit, eine kluge, lustige Wut auf die Verhältnisse. Beide sind schnell und damit den Zuschauern immer ein bisschen voraus. Schmidt will mit den Zuschauern schon lange nichts mehr zu tun haben – Böhmermann muss aufpassen, dass er ihnen nicht enteilt, denn er ist in seinem Bereich ein Hochbegabter. Hochbegabte neigen zur Arroganz, aber Arroganz kommt im Fernsehen nicht gut an. Harald Schmidt galt als hochbegabt, und in der ARD hielt man es Anfang der neunziger Jahre für eine gute Idee, ihm die Show Verstehen Sie Spaß? zu geben. Aus der Idee wurde ein Desaster, die Zuschauer, die jahrelang an das Moderationspaar Kurt Felix und Paola gewöhnt waren, wandten sich ab; sie spürten, dass Schmidt weder etwas mit der Show noch mit ihnen anfangen konnte. Böhmermann muss, um die Massen zu begeistern, ein paar Gänge runterschalten – wenn er denn die Massen begeistern will und nicht nur seine Grenzen austesten möchte.

Kommentare

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Positive Resonanz von meiner

Positive Resonanz von meiner Seite. Irgendein irgendwie objektiv gearteter Teil von mir, von dem ich nicht weiß, ob ich stolz auf ihn sein soll, findet es ja durchaus legitim, wenn man die schon im Halbkoma liegenden deutschen Rentner mit einer Runde Helene Fischer ins Elysium sediert . Sie zahlen ja auch Gebühren. Aber andererseits wäre es halt schön, wenn auch mal der junge und vielleicht sogar intelligente Teil der Bevölkerung bei der Programmgestaltung berücksichtigt würde.