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Salon Littéraire | Maria Seisenbacher :
Lokalisation
“Rindszunge beißen!”, dachte ich und legte mich noch für eine Sekunde über den Tisch, um den letzten Moment noch ins blinde Loch zu starren. Ihre Füße schlichen über den Parkettboden, vor dem Fenster fuhren die Autos viel zu laut und ich musste mich wieder als großes Ohr erweisen, dass ihre Geschichten über den Fluss setzte. Sie habe ja dieses und jenes zu tun und dann noch … und sie mache einfach keinen Hehl daraus, dass …
ihr Gesicht: neben jeder Geburt eine Falte und was dahinter stecken könnte zementiert mit Werbeprodukten.
Fäulnispilze über den Augen und die Wimpern ließen sich nicht mehr entwirren, schwarzes Brett vor der Linse, wie weißlicher Belag auf der Zunge und ich dachte: ” … ja doch, nur mehr dieses eine Mal, nicht wahr? es geht doch immer ums miteinander.” und dieses gedachte und nie ins Wort genommene, wie auch nicht über die Zunge genommene lähmt die Aktionen jedes Schrittes, die endophytisch und zum scheitern nach außen verurteilt sind. ich bleibe auf der Strecke, hechle der Zeit nach, um nicht an den Rändern aus zu rutschen – Zunge neben dem Grat und dann wieder:
“Rindszunge beißen!”, dachte ich und vergrub mich in den Innereien – zart und mild. kurz legte ich Hand an und entzog ihr den erdachten Irrwitz, damit zumindest sie den bitteren Geschmack aus dem Hintergrund kratzen konnte. irgendwie versuchte ich mich unter dem Tisch zu verstecken, um den Frontalangriff der Wurzel zu entgehen. die Schuld bleibt doch immer zwischen den Stühlen und wird klebrig weiter gereicht. ein Kreuz damit, woher es kommt … ihr Lachen und der plötzliche Energieaufwand ihrerseits verbinden Hand und Fuß – ich stand nur mehr am Rumpf mit starrem Blick.
dann kommen Nachrichten mit Schriftzeichen, die eines um das andere besagen, dass sie sich verteidigen muss und sich nicht eingestehen kann, dass sie ihre Lymphbahnen schon nicht mehr verbergen kann. eine Tollwut überkommt mich, angestauter Ekel vor überquellenden gebrühten Fleischsatz, da einem die anderen ja alles zum Letzten reichen können. es gibt immer welche, die den Dreck der anderen vom Boden schlecken und der Tatverdacht macht sich breit, dass man selbst zu denjenigen gehören könnte, wenn man nicht endlich … Saurer Geschmack auf der Zunge, obwohl so schön mündig und voll zwischen den einzelnen Bissen. das Gefühl nackt zu sein …
“Weißt du, sie kratzen sie sorgfältig ab, waschen sie und überbrühen sie mit heißem Wasser. ” ein schier verzweifelter Blick aus der anderen Richtung und eine Genugtuung ihr den letzten Rest auch nicht erklärt zu haben. ich erkenne die Notwendigkeit nicht mehr, da sich alles nur mehr in den roten Phasen bewegt und meine Zunge verschlingt die Rindszunge mit wutentbranntem Genuss. “gib mir mehr und lass mir die Singvögel auch noch kommen.” Der Krieg hat irgendwo begonnen und die Hand war mir gebunden im Sturzflug gegen den Widerstand. ich habe Blut geschmeckt.
“Rindszungen beißen!”, dachte ich und sprang in den Kreis, direkt in die Machtfuge neben dem Verlust. Es zischte und kochte, als ich den Rand überging und ihr direkt in den Mund das Wort legte, ihr auch noch die Nasenflügel zudrückte, damit der Schluckreflex einsetzte. Ich versuchte meine Zunge im Zaum zu halten: Durchfallquote massiv. Ein glucksen und köcheln ihrerseits auf meine Blindheit, die alle Vorbehalte zum Gegenstand der Züngelei machte. ich würde sagen es wuchs sich zum Karzinom aus, legte sich über Muskelkörper hinweg und erschien in gelben Augen.
“Und dann, ja dann wird sie gepökelt oder geräuchert. Aber zuvor, also ganz am Beginn, muss man das Zungenbändchen durchtrennen – zack! ” ich wollte lachen, ich wollte schreien, wollte mich auf den Bauch legen und mir diesen halten, wie ein altes Schwein – die Stille hielt mich ab. sie kratzte noch die Reste vom weißen Tablett und zerging in diesen. eine Kopfbewegung in meine entgegengesetzte Richtung, die Füße aus meiner Reichweite, die Hand schnell auf einer anderen, um den Stolz nicht zu verlieren. Sie zog die andere Bühne auf, das Licht fiel genau auf sie zu. Meine Vorstellung fiel mit dem Verdacht der unerreichbaren Veränderung von fremd Vertrautem. man stellt sich ja alles so rau vor, aber im Querschnitt rutscht man plötzlich aus, bleibt gerade noch auf den Beinen – stromdurchflutet mit schwerem Klopfen im Ohr.
“Rindszunge beißen!”, dachte ich und zog mich am Faden zurück zum Eingang des schwerelosen Steins auf Gelenk und an den Füßen – meine Geschmacksnerven waren umzogen von weißen Bläschen, die ich zwischen meine Zähne nahm. Beim Beißen ronn salzsüßliches Mundwasser auf meine Lippen – ich schloss die Partie mit Magenkrampf und Blähung. ihre wiederkehrende Freundlichkeit erleichterte die Beendigung, ich besänftigte mich, schwor mir, mich nicht auskochen zu lassen. gar und saftig sollte ich dem entsteigen, was ich losgetretten hatte. im Blickfeld ihr Kopf: jede Strähne ein Leben der Verborgenheit und kaschiert mit einem Lächeln, das zur falschen Seite fiel. ich hielt meinen Körper gerade noch zurück um nicht über die Grenze zu fallen: “Mäßige dich!”
“Und nach dem Zungenbändchen, wird sie zwei, drei Stunden in einer Wurzelbrühe gekocht und anschließend die hintere Schlundpartie entfernt.” meine Finger waren angesengt, ich zog sie zurück, legte sie auf meinen Oberschenkel fühlte das Pochen das noch vom Adrenalin zurückgegeben wurde. irgendwann ist ausgespielt, irgendwann muss man seine Grenzen wieder einziehen, irgendwann sollte man seine Beine wieder bewegen können und den Mund nicht mehr voll haben müssen. irgendwann … und gerade dann beginnt es einen Bruch zu bekommen, schlägt sich in die Zahnzwischenräume und hinterlässt süßlichen Stärkegeschmack. der Kopf hebt sich einen Himmel weiter in die andere Richtung, die Augen legen sich den Schleier der Genugtuung an und man hat das Gefühl keinen Meter gegangen zu sein, dass man stehen geblieben -, dass man ergriffen wurde. die Haut wurde rutschig, die Augen weiß, die Zunge hielt sich am Gaumen fest und rutschte mit den Resten der Rindszunge in den Rachenraum. voller Fettgehalt, vortreffliche Geschmacksverbreitung und eine ungesunde Ausgewogenheit legte sich dazwischen. ich sagte: “Endstand!”, und meinte Ausgleich. Für ein Ganzes sind Zungen viel zu lang.
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geboren 1978 in Wien , Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft in Wien , Mitglied der intermedialen Literaturgruppe “Wortwerft” , Mitarbeiterin im “Ingeborg Bachmann Verein” , Mitherausgeberin und Redaktionsmitglied der Zeitschrift “Keine Delikatessen ” .
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Lesungen | Performances
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Lesungen im Literarischen Quartier Alte Schmiede ( Wien ) , Literaturhaus ( Wien )
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Text- Bild- Sound Performances mit der Literaturgruppe “Wortwerft” ( Wienstation , Denkraum , Sammlung Essl , Radiocafé | Kunstradio – Art’s Birthday Party 2007 , NÖ Viertelfestival 2008 )
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Kooperationen
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GOTO ( Graphik )
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Rokko Anal ( Sounds )
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Hano Aaruk ( Sounds )
- Schalldicht ( MySpace )
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Ausstellung
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Co- Kuratorin der Ausstellung: “unSAGbar unsICHtbar – Sprache in Alltag , Literatur und Wissenschaft” im Rahmen des Projekts “UNDER CONSTRUCTION – Vier Positionen zum Studieren zwischen Alltag und Bildungspolitik ” ( Universität Wien 2008 )
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Anthologien | Zeitschriften
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Nicht ohne Konsequenzen , hg. von Sandy Green – Münster : Edition Octopus 2005
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Literatur Karussell Niederösterreich 2006 – Eine Anthologie , hg. vom Peter Wolsdorff – St. Pölten : Residenz Verlag 2006
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Hände voll Lilien : 80 Stimmen zum Werk von Ingeborg Bachmann , hg. von Magdalena Tzaneva – Berlin : LiDi EuropEdition 2006 [ contact ] ( info @ Ingeborg Bachmann Forum )
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poet [mag] – Das Magazin des Poetenladens # 1 , hg. von Andreas Heidtmann – Leipzig : Passage Verlag 2006 ( pdf )
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Referenzen
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Des Landes neue Schreiber : Studentische Autoren und ihre Wege auf den Buchmarkt – Tipps für die Veröffentlichung ( Der Standard )
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“Blätterwirbel ” Literaturfestival 2007
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Verleihung der Hans Weigel- Literaturstipendien 2007 / 2008 ( NÖ Landeskorrespondenz )
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“Gerichte mit Geschichte” ( NÖ Viertelfestival , Mai 2008 )
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Texte im Netz
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Wann ( poedenladen.de )
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und als sie aufstand… ( poedenladen.de )
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Straußeneimond ( poedenladen.de )
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ganz einfach ( Kunstradio )
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Links
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Fundstück zum ZungenReden seitens des Setzers :
“cutting out tongues” @ hor.de