“Tabu” und Toteninsel : Peter Rühmkorf und Gerhard Meier sind tot

||| WER WÜSSTE WORTE | PETER RÜHMKORF SPRICHT “TABU” | GERHARD MEIER : DER “TOTENINSEL” WEGE UND WOGEN

WER WÜSSTE WORTE

czz-pikto-blind-fuer-todWo eigene Worte fehlen , retten wir uns ins Zitat :

Schaut nur nicht so bedeppert in diese Grube.
Nur immer rein in die gute Stube.
Paar Schaufeln Erde, und wir haben
ein Jammertal hinter uns zugegraben.

“Das lassen wir uns gesagt sein , “, schrieb Patrick Bahners in der FAZ und

das können wir jetzt gebrauchen , dieses Blatt aus dem letzten Gedichtband von Peter Rühmkorf , wir halten es uns vor die Augen. Wir lassen lieber niemanden sehen, wie wir jetzt daherschauen, nachdem die traurige Nachricht eingetroffen ist, mit der man hat rechnen müssen: Peter Rühmkorf ist gestorben.

Wissen um Krisen , Einsicht in die unentrinnbare Einsamkeit des Schreibenden sowie eine nie nachlassende Neugier auf die Welt in ihrer Gegenwart und Gesellschaft , sei’s im Jetzt , in der Utopie oder im Vergangangenen : Dabei konnten die sprachlichen und thematischen Quellgebiete , aus welchen der “Poéte engagé” Peter Rühmkorf und der stille Dichter Gerhard Meier kaum gegensätzlicher gewesen sein . Innert knapp vierzehn Tagen haben uns der 80jährige Rühmkorf und Gerhard Meier ( zwei Tage nach dem 91. Geburtstag ) zurückgelassen .

Bleibt das Werk uns vor Augen und dessen Stimme( n ) im Dunkel des Innenohrraums : in|ad|ae|qu|at bringt zwei kleine Mémoires aus den zurückliegenden Jahren .

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PETER RÜHMKORF SPRICHT “TABU”

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Es kann zur “Festschrift in eigener Sache” geraten oder zum fortgesetzten “Testament” : Als Peter Rühmkorf sich im April 1971 zur Anlage eines Tagebuchs entschloss , wusste er um die Versuchungen und möglichen unerwünschten Nebenwirkungen des Genres . Was der Augenblick dem intimen Chronisten diktiert , läuft stets Gefahr , zur peinlichen Halde von Hybris und Hypochondrie aufzulaufen .

Als Alleinausbeuter der eigenen Person und deren Empfindlichkeiten blickt sich der Schriftsteller beim diaristischen Unterfangen doppelt über die Schulter : Seine Chronologie der Lebenswellen , sein Logbuch der Flauten muss dem Anspruch der Authentizität im sprachlichen Jetzt nicht minder standhalten als einer literarischen Lektüre durch die Nachwelt . Indes erweisen mittlerweile zwei – unter dem doppeldeutigen Titel “Tabu” publizierte – Tranchen aus Rühmkorfs gross angelegter Lebens- und Zeitmitschrift , dass dem Akrobaten der poetischen Skepsis ein eminenter Beitrag zur Tradition des “europäischen Tagebuchs” ( Gustav René Hocke ) geglückt ist . ( cont’d )

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GERHARD MEIER : DER “TOTENINSEL” WEGE UND WOGEN

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Gehen und Sehen , Sehen und Denken , Denken und Sprechen , Sprechen und Schreiben : Wer – wie der eminente Erzähler Gerhard Meier – die Welt im Schritttempo betritt , der mag im Kleinen das Grosse erkennen , im Wiedererkennen die Veränderung , in den Wandlungen die Schichtung von Geschichten .

Achtzig Jahre kennt und nennt dieser literarische Seher sein Heimatdorf Niederbipp als poetisches Quellgebiet . Im aufmerkenden Umhergehen weitet sich das Lokal zu einem Kosmos von Gedanken und Assoziationen aus Literatur , Musik und Kunstgeschichte . Letzteres gilt insbesondere für den Roman “Toteninsel” , 1979 erschienen als Auftakt zu jener Tetralogie , wo sich der Bewusstseinsstrom des Wahrnehmenden in eine Doppelperspektive auffächert .

Baur spricht , sein Freund Bindschädler berichtet , kommentiert und spinnt das Berichtete weiter , bis ( wie auch in “Borodino” , der “Ballade vom Schneien” und “Land der Winde” ) Baur einen frischen Gedankenkreis zieht . Die Dynamik des Gehens gibt den Rhythmus der Rede , die Dialoge Takt und Melodie . ( cont’d )

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Max_Klinger_nach_Arnold_Böcklin_Die_Toteninsel_Radierung_und_Aquatinta_1890

( Max Klinger nach Arnold Böcklin :Die Toteninsel | Radierung und Aquatinta , 1890 )

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