Salon Littéraire | Ann Cotten : Mittsommernachtstraum eines Klassifikators

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Salon Littéraire | Ann Cotten :

Mittsommernachtstraum eines Klassifikators,

auf Reichtümern eingeschlafen

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“Die Nummernoper ist besser als ihre Nachfolgeform, die verstrickte Oper, wie es besser ist, Dinge zu trennen als sie zu verstricken”, feixt grinsend die karierte Katze, die die Vor- und Nachmittage damit verbringt, die Teppiche anzuschlafen, den Fleck benutzend, wo die Sonne einfällt. In solchen Reden scheint sie mit Sehnsucht den Zustand eines Prosopagnostikers zu bemühen, um endlich einen klaren Kopf zu bekommen.

Endlich die Dinge für sich zu sehen. Gegen die Verstrickung möchte sie ins Feld ziehen. “Dazu bin ich dabei, absonderliche, abscheuliche Waffen zu entwickeln: Mehrfachguillotinen mit tausend Fächern, Lotflagelli, fliegende Startgatter, Eierschneider für Wolken, gekämmte Schrotflinten und dergleichen mehr, was zur liebevollen Intention in keinem Verhältnis steht.

So ähnlich ist es, wenn man Liebesbriefe schreibt. Wo man doch die totale Vereinigung und das Aufgehen ins Amorphe will, schreibt man notgedrungen dies und jenes, Wort um Wort, liebt die Dinge anstelle, reicht wie eine Ein-Mann-Wasserkette dem Geliebten unaufhörlich das Wasser, wo aber alles bis auf den Becher durch die Luftpost verschütt geht. Gut für ihn, wenn er die Becher aus seinem eigenen Fond wieder auffüllen kann. Dann wären wir ein einziges gemeinsames Schlaraffenland.

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Täuschend echte Landschaftsüppigkeiten, konstruiert aus lauter miniskülen Hängebrücken. Umgekehrt wirkt die Verliebtheit selbst, die die Landschaft auffüllt und alles mit allem in eine Verschwörung von Backgroundsängern verkettet. Ob es Feinde sind oder ein begeisterter “Tell-me-more”-Chor spielt kaum mehr eine Rolle. Den Feinden verzeihen wir, den Freunden danken wir gedankenabwesend. “In diesem Frühling werde ich alleine gehen, nachdem die Verliebtheit den Geliebten übertönt, die Liebesbriefe ihn zerschlissen haben.” Öffne die Tür, und die Katze geht, nachdem sie sich in ihrer Rede mit mir in zivilisatorischen Schranken gehalten hat, jaulen.

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So ähnlich verhält es sich mit Karsten Karstens Allgemeiner Systematik der Gefäßformen Mesopotamiens. Deswegen zerschlagen alle Völker bei Hochzeiten und Scheidungen Geschirr. Walking on glass lässt der Verliebte eine nach der anderen die einzelnen Scherben aufleuchten in ihrer Eigenart und denkt sich: “Klasse!”

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Karsten Karstens - Allgemeine Systematik der einfachen Gefässformen ( 1994 )

Hier wachte ich auf. Was machen Helden die ganze Zeit ? Vor einem Jahrhundert wurde die Wissenschaftlichkeit kritisiert, ein Apparat, um sich rauszuhalten. Denn sich reinziehen lassen bedeutet Verwirrung, wo wir doch von jeder daherkommenden Anklage aus der Bahn gehebelt werden. Aus Angst vor Ideologie, die einem auf den Kopf fällt, wenn man nicht darübersteht oder sie von zuverlässigen Heuerposten stützen lässt, mauere ich die Türöffnung mit ein paar weiteren Blöcken Ideologie zu oder ziehe Bilder herbei, denen der Rücken bricht.

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Die Ideologie hockt indessen als Wand mehrfach in der Stube, starrend wie die Katze des Realismus. Such ich mir eine Baustelle, wo keine Einheimischen stören. Das Wissen von vor Jahrtausenden will ich heraustüfteln und ins Leben streicheln, behauchen, in den Akzellerationen vom Finger auf dem Zeitpfeil beginnt Maschine zu leben, wo Maschinist eindämmert. Und der Daumen schwillt an …

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Gift mit Gift bekämpfen, Bejahung bejaht die Bejahung – so kommt keine Liste zustande, sondern ein Augenblick, ein tautologischer, möglicherweise historisch getränkter. Drösle das auf: Ein Archäologe mit ein paar Linealen. Ein Gefäß, das aus dem Sand kam. Ein Befremden des erwachsenen Kinds im Elternhaushalt, familiäres Geklapper im Licht der Messung konstituiert einen neuen Planeten. Rührung, Ratlosigkeit, Litanei. Auslöffeln. Gleich viele Schritte nehmen unterschiedlichen Raum ein oder brauchen mehr Zeit, anzuwachsen (in der Zahl, in der Schwellform), je nachdem, ob sie in die Länge gezogen werden oder sich plustern, sich iterativ vermehren (in der Zeit) oder über Myzelien ihre Masse in der Potentialität lagern. Erkennen Sie im obigen Bild die Atomwaffe, die sie unten in ihrer performativen Natürlichkeit sehen, im Schlaf.

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Ann Cotten

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