Lyrisches Preisaustreiben : Ulf Stolterfohts und Alexander Nitzbergs sportliche Kommentare

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DOKUMENTATION : LYRIK ALS SPORTLICHE DISZIPLIN BETRACHTET

Während Teilnehmer mancher literarischer Wettbewerbe ( siehe des hoch gelobt privat sponsorierten Nachwuchstreffens auf Schloss Wartholz , cf. UPDATE ) noch Monate später vergeblich der Auszahlung des zugesicherten Lese- und Anwesenheitshonorars harren ( als Schmerzensgeld für vier vergebliche Tage immerhin legitim ) , scharren die diversen Juroren über künftige Preistragende längst wieder in den Startlöchern : Was sich in den Genres der Prosa mit Pomp und Gloria zwischen Klagenfurt und “deutschem buchpreis” andeutet , findet nahezu wöchentlich an irgendeinem , mehr oder weniger sonst verschwiegenen Ort deutschsprachiger Zunge bei Lyrikwettbewerben und Jungdichter- Auslesen statt .

Dass das zweifellos gut Gemeinte nicht nur dem Guten frommt , weiss jeder , welcher in einer der möglichen Funktionen ( Juror | Autor | Zuhörer w | m ) solchen Veranstaltungen beigewohnt . Die häretischen Gedanken , welche Ulf Stolterfoht jüngst im SWR über “Das deutche Dichterabzeichen” ( 21. 4. 2009 , PDF ) äusserte und Alexander Nitzberg über eine Anthologie “junger” Literatur” ( Björn Kuhligk und Jan Wagner , Hg . : Lyrik von JETZT zwei , Berlin Verlag 2008 ) mögen zwar manchem feuilletonistischen Proponenten der Rückgewinnung eines wild- hungrigen Dichterstandes ( “Hungert sie aus ! “) ohnehin das Wort reden und wohlfeile Argumente liefern .

Allein , “WER SPRICHT” , macht den Unterschied : Mit bess’rem Recht darf sich wohl der teilnehmende Angehörige des poetischen Standes über Perspektiv- Verzerrungen äussern als der wohlbestallte Redakteur . Freilich fällt bei Letzterem die Unterstellung des Futter- und Preisneids a priori fort , doch wird man beiden genannten Autoren getrost attestieren dürfen , hinreichend durch die Literaturpreis- Mangel gedreht worden zu sein , um – im besten Fall nicht ohne Selbstkritik – ein Wörtlein äussern über das chemische Reinigungsunternehmen und die Sweat Shops der Lyrikindustrie mitreden zu dürfen .

Just for the record – eine kleine Dokumentation : 1. Ein etwas streng humorig riechendes Exzerpt aus Ulf Stolterfohts Abhandlung über Dressur- , Spring- und Vielseitigkeitsdichtung mit Anlehnung an Trab- und Galopp- Konkurrenzen ( unter Beachtung von Textkörperbau und Autorengewicht- Handicaps ) , 2. Alexander Nitzberg über metaphorologische Malaisen dessen , was sich als “junge Lyrik” zwischen Buchdeckel gebunden findet : eine angewandte Bildhygiene , welche dem von Stolterfoht vorgeschlagenen sportlichen Aspekt als treffliche Ergänzung zur inneren Stählung künftiger Wett- Bewerber beizugeben ist .

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ULF STOLTERFOHT : DAS DEUTSCHE DICHTERABZEICHEN | SWR2 LITERATUR

© Autor @ SWR

reitsportSprecher 1 Machen wir uns doch bitte nichts vor !
Sprecher 2 Im Zeitalter hoch entwickelter Prosa hat das Gedicht an Bedeutung verloren. In dem Maße aber, in dem es aus seiner natürlichen Umgebung verschwindet, wächst seine Beliebtheit als domestizierter Wettbewerbstext.
Sprecher 3 Hunderte umsäumen heute die Bühnen der Literaturhäuser und fiebern mit ihren Lieblingen um Sieg und Niederlage.
Sprecher 1 Doch machen wir uns nichts vor !
Sprecher 3 All diese Menschen sehen Lyrik nur von fern an sich vorüberziehen. Namen und Titel treffen ihr Ohr, ohne zu erzählen, was Dichter und Texte ureigentlich sind und bedeuten.
Sprecher 2 Wenn im folgenden von “Dichtern“ die Rede ist, sind Dichterinnen immer mitgemeint. Der Begriff “Text“ hingegen bezeichnet ausschließlich den lyrischen Text.

Sprecher 1 Manch einer – und gerade diesbezüglich braucht man sich nichts vorzumachen – liebäugelt dennoch damit, solche lyrischen Texte auch selbst zu verfassen!
Sprecher 2 Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, hat der Autor tief in die “Betriebskiste“ gegriffen: er berichtet ganz offen von den Opfern, die es anfangs zu bringen gilt, von den Jahren des Dienens genauso wie von Tagen spannender Kämpfe auf härtestem Stuhl, an niedrigstem Pult; dann stehen noch einmal die Großen der Lyrik im Blickpunkt, das Kräftemessen der Texte in Klassikern oder im Derby – alles, was Rang und Namen hat, ist am Start !

( … )

Sprecher 2 Das deutsche Dichterabzeichen ist derzeit einem Diplomabschluß “Literarisches Schreiben / Hauptfach Lyrik“ gleichgestellt, steht also genau zwischen Bachelor und Master, konzeptionell ist es hingegen noch stark an den alten „Lehrvertrag Dichter“ angelehnt.

[ Kurze Pause - vielleicht O-Ton ]

Sprecher 1 Eignungsanforderungen
Sprecher 2 – körperliche: Guter Kopf, gesunde Lunge, volle Gebrauchsfähigkeit der Hände. Beharrlichkeit und Ausdauer. Kompaktes Nervenkostüm.
Sprecher 3 Zu Beginn der Lehrzeit sollte der Lehrling nicht älter als 16 Jahre sein, das Körpergewicht liegt bei 40 kg. Das zulässige Dichtergewicht im Bewerb – also etwa Lyrikpreis Meran, Christine Lavant-Lyrikpreis, Dresdner Lyrikpreis – beträgt im Moment maximal 55 kg. In vielen Prosabewerben sind 65 kg erlaubt.
Sprecher 2 Liegt der Geselle nach Abschluß der Ausbildung darüber, bleiben ihm qualifizierte Tätigkeiten als Lektor, Zunftmann, Fester Freier oder Pauschalist.
Sprecher 1 Eignungsanforderungen
Sprecher 2 – geistig-seelische: Abgeschlossene Volksschule. Ausgeprägte Textliebe, Zuverlässigkeit ( “deadline-fest“ ! ), schnelle Auffasse, rasche Anpasse, Ehrlichkeit. Neigung zum Skeptizismus; Selbstzucht im Rauchen und besonders im Trinken: Kaffee / Bier-Verhältnis höchstens 5 zu 3.
Sprecher 3 Der Dichterberuf ist ein Mangelberuf, da niedriges Gewicht und tiefes Denken nur selten zusammentreffen. Ein ausgelernter, leistungsfähiger Dichter erhält in der Regel ein monatliches Fixum von € 120 und darüber – je nach Ruf und Können.

Sprecher 1 Pflichten des Lehrherrn
Sprecher 2 … insbesondere hat der Lehrherr folgende Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln : 1) Pflege von Schreibzeug und Text; grundlegende Layout-Kenntnis ( “stabile Seitenlage bis zum Eintreffen des Setzers” ); Einführung in die Lyrischen Typen; Bewerbungsstrategie; Urheberrecht; Vertreterkonferenz usw.
Sprecher 3 Es ist dem Lehrherrn untersagt, die Schreibkraft des Lehrlings für persönliche Zwecke zu nutzen. Wird vom Lehrherrn Arbeitskleidung gestellt, kann diese angemessen in Ansatz gebracht werden.
Sprecher 2 2) VG Wort; Künstlersozialkasse, Uschtrin. Bekanntschaft mit dem Großen Conrady ( GC ), dem Ewigen Brunnen ( EB ) und dem Dürftigen Vorrat – Lyrik zum Anfassen ( DV ).
Sprecher 3 3) Den Lehrling, vom zweiten oder dritten Lyrikjahr an, entsprechend seinen Fähigkeiten und dem Fortschreiten seiner Bemühungen, bei Lesungen oder kleineren Slams einzusetzen.
Sprecher 2 4) Dem Lehrling eine Beihilfe zu zahlen und Urlaub zu gewähren. 5) Dem Lehrling nach Beendigung des Lehrverhältnisses ein Zeugnis auszustellen. Eine beglaubigte Abschrift geht an die Knappschaft.

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Sprecher 3 Kleines Lesungs- oder Wettbewerbsglossar. Wir verstehen unter:
Sprecher 1 Abgedrehter Form
Sprecher 2 Eine runde, geschlossene, im besten Sinne lyrische Textform.
Sprecher 1 Aktion
Sprecher 2 Ganz allgemein: Jegliches Verhalten im Rhythmus. Bei durchgehaltenen Metren spricht man von “guter Aktion“.
Sprecher 1 Axthieb
Sprecher 2 Vertiefung zwischen erstem und zweitem Quartett. Kann Qualität anzeigen, muß aber nicht.
Sprecher 1 Blessen
Sprecher 2 Die weißen Streifen links und rechts eines Gedichts auf dem Papier.
Sprecher 1 Brusttiefe
Sprecher 2 Gibt die “Empfundenheit“ eines Textes an – gemessen zwischen Widerrist und Titel.
Sprecher 1 Bügeln
Sprecher 2 Schaukelnde Seitwärtsbewegung der betonten Silben im Alltags- oder Parlandogedicht.
Sprecher 1 Edel
Sprecher 2 Volltexte sind die edelsten Texte.

( … )

Sprecher 1 Jurybeschaffenheit
Sprecher 3 Die Jurybeschaffenheit ist von größter Bedeutung für die Chancen eines Dichters. Es gibt Spezialisten für “tiefe“, also empfindsame, eher traditionell orientierte Jurys und solche, die sich bei “glasharten“, also theoriegesättigten, akademischen Jurys besonders wohlfühlen. Schwere Dichter und solche mit wenig Ausstrahlung haben es bei harten Jurys leichter, während sich kleine, drahtige Kraftstrotzer bei einer tiefen Jury so recht in ihrem Element befinden.

( … )

reitsportSprecher 3 Höhepunkt der Lyriksaison ist in allen Ländern das Derby. Es gilt als DAS klassische Wettlesen und die Hauptprüfung für Dichter der mittleren Generation. Seinen Namen
verdankt es dem englischen Lord Derby, der diese Form des Lesens zum ersten Mal im Jahre 1780 in Epsom veranstaltete. Meistens nimmt auch ein Vertreter des Königshauses ( der “Lorbeerpoet“ ) an dieser Prüfung teil, wobei die königliche Familie das Geschehen vor Ort mit dem gleichen Interesse verfolgt wie der kleine Mann zuhause am Rundfunkgerät.
Sprecher 2 Seit 1867 wird das Derby auch in Deutschland gelesen, zuerst als “Deutsches“, später als “Deutschsprachiges Derby“. Schauplatz ist seit vielen Jahren das Literarische Colloquium am Wannsee. Die Lesezeit beträgt 25 Minuten, was ziemlich genau zehn Normgedichten entspricht. Dichter müssen Sakko tragen, Dichterinnen Rock. Dotiert ist das Deutschsprachige Derby derzeit mit 35 000 Euro und zwanzig Flaschen Gutedel aus dem Kreuzberger Viktoriapark.
Sprecher 1 Als obligatorische Vorprüfungen fürs Derby gelten: der “Preis der Diana“ ( Mitte Juni in Mülheim – nur für Amazonen ), das Darmstädter “Schwarzgold“-Lesen, der Berliner “open mike“, sowie das knallharte “St. Hubertus“-Ausscheidungslesen in Dortmund – hier gehen Lyriker die längste Distanz: 29 Texte !
Sprecher 3 Doch machen wir uns nichts vor !
Sprecher 1 Daß auch auf diesem, dem höchsten Niveau der kompetitiven Lyrik ab und zu versucht wird, auf Ergebnisse Einfluß zu nehmen, zeigt der Fall des Dichters Forthmann, der 1964 ein halbes Jahr Lese- und Publikationsverbot erhielt, weil er seine Texte in Dortmund nicht energisch genug auf Sieg gelesen hatte.
Sprecher 2 Nicht-Wahrnehmung einer Gewinnchance.
Sprecher 1 Krötenzopf
Sprecher 2 Häufig ein Resultat zu starker metaphorischer Ladung.
Sprecher 1 Kuhessig
Sprecher 2 Überstrapazierter Kreuzreim, Chiasmusgewitter; auch die unschöne Manier der X-gestellten Coda bei Sestinen.
Sprecher 1 Ramskopf
Sprecher 2 Zu stark nach außen gewölbter, konvexer Strophenbauch.
Sprecher 1 Schweifrübe
Sprecher 2 Konträre Erscheinung zum Krötenzopf.
Sprecher 1 Stulpen
Sprecher 2 Keilförmige Polster, semantische Puffer, wie man sie gerne bei Winterlesungen benutzt. Beim Christine-Lavant-Lyrikpreis sind sie verboten !
Sprecher 3 “Textquälerei ohne Erkenntnisgewinn ?“ – so titelte die Stuttgarter “Lyrikdepesche“ vom 4. 12. 2001 – verhandelt wurde, einmal mehr, der Christine-Lavant-Lyrikpreis :
Sprecher 1 “Es ist ein schreckliches Gefühl, hilflos daliegen zu müssen, während hoch über einem die Texte zusammenschlagen – ganz furchtbar! Aber so ist es eben bei einem Wettbewerb, gegen den der Lyrikpreis Meran nur ein Kindergeburtstag ist …“
Sprecher 3 Jeden zweiten Winter, bei jedem Wetter und immer im Freien wird in Wolfsberg / Kärnten der Christine-Lavant-Lyrikpreis ausgetragen und die Zahl der Legenden, die ihn umranken, ist längst Legion.
Sprecher 2 So siegte im Winter 1901 etwa das Prosagedicht Zaubrisch, dessen lange vergessener Verfasser die Seiten des Manuskripts mit Kernöl eingefettet hatte, damit sich keine Eisstollen ansetzen können. Es herrschte starkes Schneetreiben, die Sicht betrug unter drei Meter.
Sprecher 1 Machen wir uns nichts vor: Es sind nicht immer erstklassige Texte, die in Kärnten gelesen werden – vielleicht mit dem folgenden Hintergedanken: Wolfsberg ist ein guter Ort für Außenseiter; und wenn ein weniger wertvolles Gedicht im Schnee versinkt, ist es kein großer Verlust.

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Sprecher 3 Die Vielseitigkeitsdichtung
Sprecher 1 Etwas ganz besonderes verbirgt sich hinter der Bezeichnung “Vielseitigkeitsdichtung“: Der Dreikampf nämlich aus Lyrik, lyrischer Übersetzung und Poetologie – das alles an drei aufeinander folgenden Tagen.
Sprecher 2 Am gefürchtesten ist dabei die Übersezung – sie setzt sich ihrerseits aus drei Teilprüfungen zusammen: der Übersetzung eines Gedichts aus dem Englischen und dem Lateinischen mit jeweils mindestens 80 Anschlägen pro Minute, sowie, und hier trennt sich in aller Regel die Spreu vom Weizen, einer Übersetzung aus dem Rumänischen bei einer Mindestzahl von 50 Zeichen.
Sprecher 3 Noch härter waren die Anforderungen 1983 im märkischen Döberitz. Die bundesdeutsche Mannschaft hat in der Besetzung Stubbendorf, Dr. Lippert und Freiherr von Wangenheim die besten Chancen auf Gold. Da strauchelt von Wangenheim bei der anspruchsvollen Übersetzung aus dem Rumänischen und bricht sich das linke Schlüsselbein. Wachsbleich schwingt er sich zurück auf den Stuhl und bringt die Sache zu Ende.
Sprecher 2 Die deutsche Mannschaft führt – jetzt muß von Wangenheim nur noch sicher durch die Poetologie kommen. Alles hält den Atem an, als der Freiherr loslegt mit “Die Aporien der Avantgarde“.
Sprecher 3 Die “Aporien“ sind schieres Dynamit – doch dann, bei einer scharfen logischen Volte, rutscht der Essay einfach zur Seite weg und scheint auch nicht zu retten. Ein Schrei aus tausend Kehlen. Von Wangenheim jedoch klopft sich nur kurz die Joppe ab und schreibt den Aufsatz gegen alle Wahrscheinlichkeit ins Ziel.
Sprecher 2 Die deutschen Vielseitigkeitsdichter gewinnen vor Polen und den überraschend starken Jugoslawen.
Sprecher 1 Unser Theorietraining gestaltet sich deshalb so: Dreimal am Tag die volle Dröhnung! Nur so verhindern wir das “Stürmen“.
Sprecher 2 “Stürmen“ in der Poetologie, das sich gerade bei älteren Dichtern so unangenehm bemerkbar macht, ist ein untrügliches Zeichen für mangelnde geistige Elastizität. Wir sollten alles dafür tun, diese schon beim jungen Dichter zu verbessern.
Sprecher 1 Die Entwicklung von Mut und Risikobereitschaft – allein darum geht es im fünften Lyrikjahr ! Und um die Gewöhnung an schwierige Typen !

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reitsportSprecher 3 Auf ein Wort:
Sprecher 1 An dieser Stelle sei kurz die Frage beantwortet, die manchem Lyrik-Fan wohl auf der Zunge liegen mag: Warum eigentlich nimmt einer unserer Besten, Manfred Schultheis, nicht auch an olympischen Lesungen teil ?
Sprecher 2 Die Antwort lautet: Er kann es nicht, er darf es nicht, da er als Lyrikprofessor in Leipzig kein Amateur mehr ist.

[ Kurze Pause - vielleicht O-Ton ]

Sprecher 3 Drei weitere Tipps fürs fünfte Lyrikjahr: 1) Der junge Dichter ist jetzt an der Vorderseite mit einer Fettschicht versehen. Die gilt es zu erhalten. 2) Durch das Verziehen der Matte zum Entenschwanz bekommt der Lyriker ein etwas ansprechenderes Äußeres, was den Gesamteindruck deutlich verbessert. 3) Um Fülle vorzutäuschen, empfiehlt sich bei Dichterinnen der Dutt. Nun kann das erste Lesen kommen !
Sprecher 1 Das erste öffentliche Lesen ist eine ausgezeichnete Schule für unseren Schützling, denn er lernt dort, sich auch in Gesellschaft anderer Lyriker ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Sprecher 3 Soll der junge Dichter aber zum ersten Mal an einem Wettlesen teilnehmen, dann sieht die Sache anders aus !
Sprecher 2 Grundsätzlich muß darauf geachtet werden, daß die Gegner nicht zu klotzig geraten. Man wählt am besten einen Schauwettbewerb der Kategorie C, zum Beispiel Familienklasse ( LPO § 130 ) oder eine Textprüfung für Lyriker ohne Mindestleistung. Als Lesetext empfehlen wir wärmstens einen “Furioso“ oder einen “Anglo-Parlando“.
Sprecher 3 Am Ende der Lesung sollte der Dichter bereits über so viel Souveränität verfügen, der Jury mit einem Lächeln zu danken.

( … )

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ALEXANDER NITZBERG : UND WEITER WEISS MAN NICHT …

© Autor @ poetenladen

Zu : Björn Kuhligk und Jan Wagner , Hg . : Lyrik von JETZT zwei ( Berlin Verlag 2008 ) – In : poetenladen

schiessen( … ) Die Metaphorik ist heute beinahe schon eine Geheimwissenschaft mit Arkan­disziplin. Denn sie verlangt Kenntnisse der lyrischen Tradition und eine besondere Kultur des Denkens und des Sehens. Im Zeitalter des Fragmentierten und Relativistischen höchst rar gesät. So auch beim jungen Dichter, wie er uns in der Lyrik von Jetzt entgegentritt. In seiner Schau ist kaum Wagemut, bestenfalls Vagheit. Er ist ein freundlicher Absolvent, ein schüchterner Stipendiat, ein akademischer Leisetreter. Er will niemandem wehtun, am allerwenigsten der Sprache selbst.

Und doch tun seine Bilder entsetzlich weh. Zu oft sind es nur stümperhafte Fabrikate, die von einer inneren Laxheit, schlechten Vorbildern und mangel­haftem Handwerk zeugen. Wenn ganz metaphernfrei, wären es nur Gedanken ohne Salz, Gefühle ohne Pfeffer: “ich / kann nicht atem holen meine hände zittern so kalt“ oder: “Ja, ich spreche: – und wenn Geist und Körper sich da / zusammentun, kann Sprache entstehen“. Zur Prosa untauglich, also basteln wir uns dort, wo selbst der Laie über die Hohlheit des Gesagten staunen würde, ein nebliges Metapherchen zurecht: Hier etwas “wundgelegenes warten“, da eine Prise “notaufnahmen eiliger gebete, die sich keiner runterlädt“ in die Augen gestreut, schon jauchzt Madame Sibylle Cramer.

Aristoteles spricht von “Regeln der Analogie“. “Regeln ?“ fragt der junge Dichter empört. “Doch nicht für mich!“ Und setzt sich über sie hinweg, ohne sie erst zu kennen.

So fällt bei Herbert Hindringer jemand hin und wird von anderen betreten, während noch andere ( oder sogar dieselben ? ) auf ihm ihre Uhren um eine Stunde zurückstellen. Doch da erscheinen plötzlich Hügelketten und schnüren allen Beteiligten und Unbeteiligten die Hälse zu ! Und hinter diesen Hügelketten “gibt es kein vorwort für frühling / da hält kein aufkleber“. “die ferne kommt von dort und weiter weiß man nicht“, schließt das Gedicht.

( … )

Manchen gelingt ansatzweise ein stimmiges Bild, das dann aber in letzter Sekunde in sich zusammenbricht: So in einem Gedicht von Christoph Wenzel: Da verschmilzt der Doppelmond im Rückspiegel mit den Augen des Betrachters und mutiert zum Licht zweier Scheinwerfer. So weit so gut. Doch plötzlich sind es nur noch “satzzeichen // im intimen inneren des fahrzeugs“. Und die “kommata zwischen den fahrbahnen“ bringen das ganze schließlich auf eine textologische Ebene, die den Bildern sofort ihre Glaubwürdigkeit raubt und sie zu bloßen germanistischen Fiktionen degradiert.

Oder Ruth Wiebusch: Mit kühner Geste erklärt sie den Raum zu einer “schleppe des körpers“, spricht von einer “braut, der das haar entfliegt, / welle, teilchen, licht“, um dann im letzten Moment aufzugeben: “wie er sie über die schwelle trägt, / sieht man nicht“ … Wo “man“ etwas „nicht sieht“, hebt sich das Bild sogleich wieder auf.

schiessenDiese Unfähigkeit zur Schau zeigt sich in der Lyrik von Jetzt allenthalben: “das Niemandsland zwischen Stadtteil & Stadtteil“ ( Reyer ), “Jemand der noch nie / mein Bruder war“ ( Teissl ), “niemand wagt eine / geschichte zu erzählen“ ( Harter ), “keine stadt / und keine bürger / keine details“ ( Brenner ), “nicht klar, ob sie ein paar geschwister oder freunde sind“ ( Wiebusch ), “Wenn es Winter wäre / sähe man von der Gegend / so gut wie nichts“ ( Danz ), “kaum zu erkennen: das war ihr mann“ ( Elze ), “spezielle Cremes für Körperlandschaften, die nicht vorhanden waren“ ( Gabler ). – Um mit André Schinkel zu sprechen: “So viel Entleerung war nie“. Wohlgemerkt: eine Entleerung, der keine Fülle vorausging.

Am unerträglichsten ist vielleicht noch der Grimassen schneidende Christian Schloyer, bei dem die Wörter – auf ach so mehrdeutige Art mit der Nachbarsilbe verbunden – einen Hinter-, Neben- oder Unsinn ergeben: “spieluhren drehn mich / im flug · hafen moskau“, “ein kindheits- / spiel · uhren“, “merle bist perlbesetzt ganz taube / -netzt“. Lauter kleine Rubbel­bildchen mit Himbeergeschmack für interpretierwütige Deutschlehrer.

Gibt es denn Ausnahmen ? Ja, doch wie immer sind sie äußerst selten: Zum Beispiel Nathalie Schmid mit knorrigen Versen, wie: “im traum mich der bock noch immer / gegen den maschendrahtzaun rammt“. Bei Ruth Wiebusch finden sich köstliche Zeilen, die aufhorchen lassen: “sie gehn im gleichschritt und der gleichschritt macht sie schön“ oder: “die bäume leuchtend und vögel / die knisternd verblühn“. Ebenso bei Norbert Lange: “wir lagen einfach da mit nackten Rücken.“ Plastischer Klang bei Katharina Schultens. Komplexe Feinmechanik bei Karin Fellner. Und perfekt stimmige, da schlichte und in sich schlüssige, Metaphorik in Rapunzel von Angela Sanmann. Wegen ihrer Einfachheit würden all diese Dichter im Gros der Anthologie kaum auffallen, sind aber doch die wenigen Perlen unter den vielen bunten Glasscherben. Und fast schon wie ein Wunder wirkt da Judith Zanders „immerhin“: Klug, pfiffig und vor allem: gekonnt.

Im Ganzen aber läßt die Lyrik von Jetzt nichts Gutes für die Lyrik von Morgen ahnen. Zuviel darin erweist sich tatsächlich als jung im Sinne von unreif, schülerhaft und grün. Eine für die meisten in jeder Hinsicht verfrühte Publikation. Da wäre sehr viel weniger erheblich mehr.

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KLANGAPPARAT

Man mag darüber streiten , ob die oben dokumentierten Haltungsanweisungen und -noten eher einem direkten lyrischen Aufbautraining zuzuordnen sind oder ihr Ziel auf dem Wege paradoxer Intervention czz-hoerempfehlunganstreben . In beiden möglichen Fällen gilt die unbedingte Notwendigkeit von regelmässigen Entspannungsübungen nach solch konzentrierter Zucht . – Eas eignete sich da trefflicher als das bei deepindub erschienene Relaxationsprogramm des poetischen Titels “Maschinenspielerei ( Tief Im Nachtfalternebel ) ” ?! -

Autor Nachtigallberlin alias Norman Alexander liefert die tiefen Beats zu den Exerzitien zwischen Spitzentanz und gezielter Bauchatmung : Der Metaphernbildung wird’s mit Sicherheit nicht schaden !

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