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Salon Littéraire | Elfriede Czurda :
Spacenight
Eine Zeitlang war ich süchtig auf die von Bayern 3 ausgestrahlte “Space-Night”, nie kam ich vor halb vier ins Bett: ich flog mit einem Space-Shuttle rund um den Globus, sah aus dem von der Lichtbrechung verschmierten Fenster hinaus auf das Segment einer sanften Krümmung, bewegte mich wie eine sehr ferne Wolke, mehr eine Flocke, gleitend über Landkarten dahin, über Flußläufe, Mündungsdeltas, Hochplateaus, Gebirge, Sandwüsten, über in der Dämmerung funkelnde Cluster von Metropolen – stets begleitet von einnebelnder Trance-Music.
Ich sah riesige Wolkenballen über dem Horn von Afrika, aus denen Blitze zuckten, ich hing bedrohlich weit unterhalb der von antarktischem Eis weißen Erdrundung, so als versänke ich grad wie ein Körnchen Kaffeesatz auf dem tiefen schwarzen Grund dieses Gefäßes Raum. Mir wuchsen Flügel, die nicht in der Sonne schmolzen. Der Schatten der Raumfähre begleitete mich wie ein pixelgroßes Insekt über die Landschilde.
Bevor das Fernsehen, unser beständigster Mitbewohner, erwachsen – und das heißt wohl globalisiert – wurde, ging es schlafen wie alle andern Menschen auch. Hier bei uns schlief es unter der Decke des berühmten kreisrunden Bilds der Sendepause.
Als das Kabel erfunden wurde, war es aus mit dem Schlaf. Das Kabel war der frühe Bote der weltweiten Digitalisierung, der uns die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen einbläute, den Tag auf volle 24 Stunden ausdehnte, den Commercial an die Stelle der Pause setzte: Schlafen war ab sofort vergeudete Zeit, also vergeudetes Geld. Im Kampf um die Einschaltquote galt es zu punkten. Fort mit Pausen, diesen teuren ungenutzten Resourcen. Entspannen: ja, aber dem Diktat einer neuen globalen Ökonomie der Recreation gehorchend: joggend. Keinesfalls darf Pause mehr den Stillstand irgendeiner Bewegung meinen, auch nicht den der Bilder.
So bescherte meinen schlaflosen Nächten erst einmal MTV Bilder, die sich in einer Schleife ständig wiederholten, ich wanderte mit dem Kameraauge den Strand von Santa Monica auf und ab, die großen Wellenberge des Pazifik rollten donnernd herein, die Möwen kreischten, ich kehrte mit dem Kameraauge ein Stück südlich des Sunset-Boulevards um, trottete, von Joggern überholt, zurück nach Norden, wo sich früher einmal Chandlers berühmter Detektiv Marlowe herumtrieb.
Als ich genug hatte von Joggern und Sand, aber immer noch schlaf- und ruhelos durch die Programme zappte, fand ich die Space-Night, der ich noch heute sofort verfalle. Ich werde zu Alice in Wonderland, ziehe über pastellfarbene Flächen, die grau, ocker, rötlich, grün sind, nur das Blau oder Türkis der Ozeane und das Weiß der unglaublichsten Wolkenformationen ist kräftig.
Die Flächen zerreißen an fraktal ausfransenden Linien. “Nil-Assuan-Staudamm” steht links unten im Bild und gibt ihm den Anschein einer geografischen Realität, die für meine Wahrnehmung ganz belanglos bleibt. Mein Gedächtnis sucht zwar unaufgefordert nach der gespeicherten Landkarte. Die reale da unten schert sich jedoch nicht im Geringsten um kartografische Standards, ihr ist West und Ost und Süd und Nord einerlei, sodaß ich in einen Schwindel gerate, den Kinder im Drehen um die eigene Achse erzeugen, jenen Kontrollverlust, der den Rausch ermöglicht.
Anstelle der Zunge lallen die Bilder. Im Handumdrehen katapultieren sie mich hinaus aus all den problematischen, unauflösbaren Seinszuständen der wirklichen Welt, halten mich in der Schwebe zwischen dem Wissen, daß sie keine Fiktion sind, und der Fiktion, die sie aus diesem Wissen machen.
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Elfriede Czurda
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Quelle
Aus dem Text “Sendepause” in : Untrüglicher Ortssinn – Verbrecher Verlag , Berlin 2009
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Hinweis
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Elfriede Czurda liest im Rahmen der “Erich Fried Tage 2009 – laut lauter lyrik” in der “Poetinnennacht” – Literaturhaus Wien – Freitag , 27. 11. 2009 , 19 H
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[...] : un inclassable que je choisis pour la superbe vidéo Space Night [...]