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DIE GEIERWALLY IN GRENZGANG
Als wagemutiges Mädel wurde sie Legende , noch ehe sie sich als Porträt- und Blumenmalerin einen Namen machte . Zu Weltruhm gelangte die Lechtaler Büchsenmachertochter Anna Stainer-Knittel (1841-1915) allerdings als Titelheldin von Wilhelmine von Hillerns 1875 erschienenen Heimatroman “Die Geier-Wally” , welchem 1880 eine weithin gespielte Bühnenfassung folgte und 1892 die lyrische Oper “La Wally” Alfredo Catalanis .
Legende und Name danken sich jener Anekdote aus der Jugend Anna Stainer-Knittels , die sich – dem damals gängigen Usus zum Schutz der Schafe folgend – als Siebzehnjährige zum Ausnehmen eines Adlerhorstes in einer Felswand abseilen liess . Im Roman werden daraus ein Geiernest und ein Jungvogel , den das Mädchen bewahrt . Und richtig hangt dieser Wally , die zutraulich mit dem Tier der Gebirgswildnis verkehrt , ein gehöriges Mass an Wildheit und Widerstand gegen familiäre und dörfliche Normen an . Statt sich von ihrem Vater in eine standesgemässe Ehe drängen zu lassen , nimmt sie den Verstoss in die Bergeinsamkeit in Kauf , wenig mehr als ihrem Geier “Hansl” im Ranzen . Sie hat es allein auf den als Bärentöter und Stierbändiger heldenhaften Joseph abgesehen , welcher den Wildfang indes zunächst schnöde verschmäht .
Bergmythen , drastische Bilder , eine von dramatischen Wendungen pralle Handlung instrumentieren das Motiv “Der Widerspenstigen Zähmung” . Eine Geschichte wie gemacht zur Interpretation für das schweizerisch- deutsche Kabarett- Ensemble Geschwister Pfister , das in der Vergangen wiederholt alpine Klischees aufs Korn nahm . Ihre CD-Einspielung der “Geierwally” besticht mit fulminanter Stimmdramaturgie und virtuosem Sprachwitz , welche den pathetischen Stoff nicht einfach der Lächerlichkeit preisgeben , sondern geschickt zwischen Ernst und Ironie tarieren . Von musikalischen Interludien der Gruppe Mnozil Brass assistiert , gelingt hier ein dem Thema bestens gemässer ästhetischer Grenzgang . ( more … )
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MICHEL LENTZ : EGO IM EXTREMEN
Dass Michael Lentz , Professor am Leipziger Literaturinstitut , sich in keiner Weise die Hörner heftigen Sprachbegehrens abgestossen hat , erweist eine CD-Edition , die zwei performativ ausgereifte Produktionen für den Bayerischen Rundfunk vorstellt . Beide Male geht es um psychische Extremsituationen , die in weitgehend monologischer Entäusserung vorgeführt werden .
Redet , schreit , lärmt und hämmert Lentz’ in “muttersterben” ( 2002 ) zunächst gegen das Unfassbare des Todes an , bezieht seine zirkuläre Suada immer weiter reichende Umstände des Dahinsiechens mit ein : die Schicksalsergebenheit der Moribunden , die Maschinerie des Spitals .
Wo es Lentz’ rasend zentrifugalen Spiralen nicht gelingt , das Unsägliche “kleinzureden” , akzentuieren Zitate aus Josef Anton Riedls metallisch krachender “Paper Music II” die sprachliche Karambolage mit dem status quo .
Eine wesentlichere Rolle spielen Ernst Horns Kompositionen im rezenteren Sprechstück “klinik” ( 2008 ) . Die irisierenden Schwebungen sind dazu angetan , die Wahrheit des Gesagten zu unterminieren . Subtil sind in der sensiblen Dramatisierung einer Psychose Indizien platziert , die anfängliche Annahmen zunichte machen . Was beim Rasieren vor dem Spiegel als Selbstgespräch beginnt , wird von einer fernmündlich weiblichen Stimme gestört , die – angeblich aus einer psychiatrischen Klinik – dem Sprecher ihre Liebe andient .
Zunehmend gerät dem scheinbar gesunden Protagonisten die Telefonie zum Medium jenes Stimmenhörens , welches die unsichtbare Anonyma auf der anderen Seite quält . Dabei ist Situation des Erzählers längst unmerklich ins Kippen geraten , sodass das Finale des vexierenden Hörstückes uns im Unklaren darüber lässt , wem denn dieses Stimmenhören eigentlich widerfahre .
Sophia Siebert gibt ein treffliches Alter Ego , dessen rheinischer Zungenschlag dem Motiv einer Dissoziation im Echoraum fremder Einflüsterungen frappierende Dringlichkeit gibt . ( more … )
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UPDATE : DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS 2010
Das sie eben hereinkommt , werden wir sie nicht auf die lange Bank schieben , die Meldung der Preisträger des Deutschen Hörbuchpreises 2010 . Zwei von uns in|ad|ae|qu|at besprochene Titel wurden ausgezeichnet :
- Kategorie “BESTE INFORMATION” : Thomas Bernhard , Siegfried Unseld – Briefwechsel (DHV)
- Kategorie “BESTE FIKTION” : Alexander Kluge – Chronik der Gefühle ( Kunstmann )
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KLANGAPPARAT
Welch eigene Ästhetik aus elektronischen Störgeräuschen zu gewinnen und effektreich einzusetzen sei , haben der legendäre BBC Radiophonic Workshop sowie Neue Musik ( musique concrète ) seit den 1960er Jahren auf hohem Niveau erkundet . Den rechten Pop- Appeal erhielten musikalische eingebettetes Zischen , Rauschen und Knacksen allerdings erst mit der breiten Durchsetzung musikbegabter Heimelektonik : Ende der 1990er haben die Compilations “Clicks and Cuts” sowie das Lo- Fi- Label Mego Massstäbe für ein Genre gesetzt , welches heute onomatopoetisch als “glitch” figuriert .
Eine ebenso spannende wie humorvolle Playlist zum Thema hat DJ Soma für Sonic Walker zusammengestellt : “Glitchheart” lädt nicht nur zu einer auditiven Reise durch sonderbare Sound- Substanzen ein , sondern demonstriert eindrücklich die kompositorische Plausibilität mehr oder weniger gezielten Störens .
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