Clemens Berger: Rothblog 5 | New York, 1. / 2. Februar 2010

| mitSprache unterwegs |

New York, 1./2. Februar 2010

( Abflug Wien )

Zuerst die vier Finger der Rechten, dann den rechten Daumen, dann die vier Finger der Linken, dann den linken Daumen auf den Scanner, nach der Fotografie meines Gesichtes sind nur noch ein paar Fragen zu beantworten: Was ich tue. Worüber ich schreibe. Wie lange ich in den Vereinigten Staaten bleibe. Wohin überall ich reise. Take care, sagt der Beamte zum Abschied.

Vor dem Zoll stehe ich neben einem orthodoxen Juden, der sich beschwert, alles dauere schon wieder so lange, wahrscheinlich seien die auf Kaffeepause. Wir scherzen, vergessen darüber, dass die Schlange links von uns schneller vorankommt, und als mich der Zollbeamte fragt, ob ich zum Spaß oder zum business hier sei, antworte ich (warum?), zum business, obwohl ich ein paar Minuten zuvor business mit Nein beantwortet hatte. Warum dann Nein da stehe? Ich schriebe, das sehe er wahrscheinlich nicht als business, daher hätte ich es auch nicht angekreuzt. (Warum sage ich das wieder?) Er erklärt es mir: Käme ich zum Golfen, ohne damit Geld zu verdienen, sei das kein business, käme ich allerdings zum Schreiben und verdiente damit Geld, sei das business. Mit Rotstift kreuzt er business an, ich schüttle innerlich den Kopf über mich, mir fällt wieder Brecht ein: Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen / Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden. / Hoffnungsvoll / Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.


( Robert Burns im Central Park )

Mittlerweile habe ich zweimal den falschen PIN-Code in mein Mobiltelefon getippt, das ich lieber ausschalte, bevor es gesperrt wird. Es ist neu, auch der Code ist neu, ich habe ihn nicht aufgeschrieben. Das bereitet mir Kopfzerbrechen, allerdings sitzt zufällig eine Wiener Familie mit mir im Taxi, der ich von meinem Unglück erzähle. Eine der beiden Töchter verrät zum Leidwesen ihrer Eltern, der große Bruder arbeite bei meinem Telefonanbieter. Bravo! Papa schreibt mir die Nummer auf, ist aber nicht bereit, ihn kurz anzurufen oder eine Nachricht zu schicken.

Während der Fahrt über die Queenboro Bridge, der Himmel ist blau, die Sonne scheint, die Skyline taucht auf, fällt mir ein Bekannter ein (südburgenländische Mafia), der auch bei der Firma arbeitet. Ich werde ihm eine E-Mail schicken. Überhaupt die Technik: Das Mädchen links von mir und ich waren wahrscheinlich die einzigen im Flugzeug, deren Fernbedienungen aus welchem Grund auch immer vertauscht waren. Vertauscht ist nicht das richtige Wort, eher über Kreuz programmiert: Ich saß am Gang, sie in der Mitte, ich konnte links auf ihrer Fernbedienung meinen Bildschirm und die Musikkanäle bedienen, sie musste mich bitten, ein paar Kanäle weiterzuschalten, lauter oder leiser zu stellen.

( Jetlaggrüsse )

Als ich aus dem Hotel in der östlichen Fünfzigsten Straße trete, ist es schon dunkel. Andere Optiken, andere Aussichten, Genicksstarrengefahr. Auf dem Times Square weiß ich, wo ich bin.

Am nächsten Morgen bin ich noch immer sehr müde, aber ich habe eine E-Mail mit meinen PIN-Codes bekommen, ich bin nicht mehr allein auf der Welt. Nach Central Park und Museum of Modern Art nachmittags ein Besuch im Tenement Museum: die Sozialgeschichte eines Hauses, 97 Orchard Street, Lower Eastside, rekonstruiert anhand aller auffindbaren Daten, Dokumente und Matrikel. Hier lebte ab Mitte der 1860er-Jahre die Familie Moore, irische Einwanderer unter lauter deutschen Einwanderern, von acht Kindern starben vier, die Mutter konnte sie wegen Unterernährung nicht stillen, die Milch, die gekauft werden musste, war kontaminiert; um das auszugleichen, gab man den Kindern eine Mischung aus Alkohol und Opium. Vier Plumpsklos im Hof, ein Hydrant, für 20 Familien, im Erdgeschoß ein Biergarten.

Das Haus war 1863 von einem Deutschen erbaut worden, 1933 musste es aufgrund baupolizeilicher Anforderungen geschlossen werden. Unter den letzten Bewohnern die Familie Katz, Benjamin aus Russland, Annie aus Wien, beide jiddischsprachig. In dem Zimmer, das noch so aussieht, wie es Mitte der 1990er gefunden wurde, hat die Tochter ihren Namen auf die Tapete gekritzelt: Judith Katz steht da. Als ich später durch Chinatown spaziere, ist der Jetlag vergessen, ich fühle mich angekommen.

Am Abend des 2. Februar telefoniere ich mit Frank Paukowits, der mir verbietet, ihn Mr. Paukowits zu nennen, er sei Frank. Frank ist sehr freundlich, wir plaudern, er will wissen, was mich interessiert, an welche Geschichten ich dächte, dann schlägt er vor, freitags nach Manhatten zu kommen. Wir vereinbaren einen Treffpunkt: Mittags, 42th Street, Ecke Madison Avenue, northeastern corner.

Ob er ein Schild mit meinem Namen mitnehmen solle? Ich beschreibe Frank, was ich anhaben werde, außerdem würde ich noch ein aktuelles Foto schicken. Er sei im Burgenland gewesen, meint er, im Süden, in Glasing, a little Dorf, to say the least. Die Eltern seiner Frau seien auch aus dem Südburgenland, sie werde mitkommen.

Ich erzähle ihm von der Antwort, die ich von der Brotherhood of the Burgenländer nach meiner zweiten Anfrage bekommen habe, ohne Anrede, ohne Unterschrift: We do not have a central office but rather we are connected by mail/tel & meet periodically at a Fest/Dance. Regarding your research, we have had several so called researchers speak with our members & 2 things happened 1) never heard from them again so not sure what they wrote & 2) information written was wrong & in some cases embarassing taken quotes out of context & actually changing statements to prove the writer’s point. Therefore, we wish you luck but we are not willing to take any chances with any “misquotes” intentional or not through any interview. Ich gebe Frank mein Hoteltelefonnummer, ich werde aber bestimmt freitags dort sein. Then we’re all set up, meint er. Wir haben also vereinbart, einander freitags um Mittag bei der Central Station zu treffen. Als wär’s der Hauptplatz von Güssing – Bahnhof gibt es dort ja keinen, der südlichste steht in Oberwart.

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2 Responses to Clemens Berger: Rothblog 5 | New York, 1. / 2. Februar 2010
  1. Scholem Alejchem
    February 15, 2010 | 09h56

    Ich hätte da einen Vorschlag für ein neues Theaterstück des Meisters:
    Die profunden heimatlichen Geographiekenntnisse
    oder
    Oberwart liegt ab heute südlich von Jennersdorf

  2. Clemens Berger
    February 15, 2010 | 16h36

    Ja, so ist das mit der künstlerischen Freiheit – vor 2011 werde ich das Stück allerdings nicht schreiben können. Wahrscheinlich bin ich auch gar kein echter Burgenläner. Das wäre der zweite Untertitel.

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