Krakow 1. , 2. und 3. April 2010
Wie gerädert im Nachtzug aus Wien in Krakow angekommen und durch den Kern der schmucken Stadt zum Apartment gewandert. Den Trolley hinter sich herziehend. Erster Eindruck auf dem Rynek: Menschen knien vor der Kirche. Sie finden im Bauch der Marienkirche keinen Platz. Vor dem Beichtstuhl stehen die Leute Schlange.
Ostern setzt sich auch im Unterhaltungsprogramm der Unesco-Welterbe-Stadt durch. Museen,Theater und Kinos haben geschlossen. Selbst der Wawel ist zu. Der Schlossberg und Bestattungsort der polnischen Könige. In die Kirchen wird man eingelassen um zu beten und an den Feierlichkeiten teilzunehmen, nicht aber um sie zu besichtigen.
Zu Hause in Krakow leben wir im 2-Zimmer Apartment in der Sw. Tomasza. Reise mit Freundin Anna und Freund Fabrizio aus Venedig. Anna kennt die Bräuche der Stadt und wenn sie von der Liebe zur Gestaltung der Krakauer spricht, dann von der Beschäftigung mit Materialien und Farben. Anna liebt Stil. Sie nimmt einen Teller aus dem Schrank. Klaubt eine Papierserviette vom Stapel. Faltet die Serviette zu einem kleinen Quadrat und schneidet mit der Schere kleine gleichschenkelige Dreiecke den Bug. Entfaltet die nun mit Lochmuster verzierte Papierserviette und legt sie auf einen Fleischteller. Wir haben Frischkäse, Butter, Gelbkäse und Schafstopfen, Weintrauben und Kirschtomaten eingekauft. Der Markt erinnerte an den Bauernmarkt in Graz. Anna bricht Brot und ein Stück Schokolade vom Riegel aus der Konditorei. Legt alles auf den Teller und zupft die Papierschichten der Serviette auseinander, damit sie wie Blütenblätter rund um die Käsestücke, Butterflocken und den Topfengupf ragen. Anna richtet den Teller für die Fleischweihe her. Im Kärntnerischen gibt es ebenfalls “Fleischweihe” zu Ostern. Angeblich ein heidnischer Brauch. Angeblich verweigerten Priester in Kärnten die Fleischweihe, wenn sie aus einem Gebiet stammten, wo die Fleischweihe unbekannt ist. In Oberösterreich ist die Fleischweihe zum Beispiel schon unbekannt. Der Osterschinken schmeckt geweiht besser. Das slawische Ritual ist den Kärntnern eingefleischt. Am Karsamstag gibt es in Kärnten den Osterschinken-Anschnitt, in Polen wird erst zum Frühstück am Sonntag genossen. Auf der deutschen Homepage Kärntens wird berichtet, dass der Brauch der Fleischweihe alpen-typisch sei, es ist aber slawisch im Dreiländereck.
Anna packt den angerichteten Teller in die Nylontasche. Wir ziehen uns an, ich auch meine Strickjacke. In Polen ist es frisch. Schlüsselcheck. Darauf die Treppe runter. Alles ungeheuer aufgeräumt und sauber. Vogelgezwitscher und Taubengegurre. Fette Biester, die ungeniert wie auf dem venezianischen Markusplatz nicht aus dem Weg gehen, nicht einmal wegflattern, wenn man nach ihnen tritt.
In der Auslage liegt polnische Lederarbeit, feinst vernäht und mit solider Sohle in gedeckter Farben zu altmodisch anmutenden Schuh geformt. Zwanziger Jahre Style. Der Schuster trägt einen blauen Arbeitsmantel und kommt aus der Werkstatt an den Tresen hervor. Es ist klar, dieser operiert meine Absätze und repariert sie nicht nur. Ich übergebe ihm die Stiefletten.
Es freut mich, dass der Schuster trotz österlichen Ernstes offen hat und seiner Arbeit nachgeht anstatt zu beichten. Auch Boutiquen sind auf. Handel lebt und die Leere des gewohnten Gefühls auf Reisen, nichts verloren zu haben, löst sich in Geschäftigkeit und Alltagsgefühl auf. Der Teller in der Nylontasche kippt. Die kleinen Häppchen unseres Mahles geraten durcheinander und wir schlichten alles neu. Auf dem Marktplatz steht die eingerüstete Fassade der Marktarkaden. Rund um Verkaufsbuden mit Volkstum, Ton und Steingut, Körben und Engeln. Engel sind zum Wahrzeichen von Krakau erklärt. Eine willkürliche, kaufmännisch künstlerische Entscheidung. Jährlich sind Künstler beauftragt ein Engelchen zu gestalten. Die geflügelten Wesen hängen an Schnüren, fliegen, aus Holz, Metall und Lack. Beliebte Sammlerobjekte. Pieroggi werden in der Bude daneben gebraten und etwas weiter weg riecht man schon die stark geknoblauchten Würste.
Die Bäuerin in der reich mit Blumen bestickten, bunten Jacke und dem weiten Rock, schneidet ein Stück Wurst für unsren Fleisch-Teller ab. Dazu schenkt sie uns ein Zweiglein Immergrün. Ein Osterlamm aus Teig und ein eine Mazurek, ein äußerst stark gesüßtes Küchlein mit Schokolade überzogen und Nüssen verziert, gehört auch zur traditionellen Fleischweihen-Ausstattung.
Wenn wir die Nylontasche schwenken, steigen die Düfte der Wurst heraus. Am Fuße des Wawel sind die Bilder vom Massaker der Russen an polnischen Offizieren in Katyn aufgespannt. Jarosław Kaczyński wird sich nach Smolensk begeben.
In der Kathedrale im Mittelgang zwischen den Bankreihen, steht eine langgestreckte Tafel, auf der die Osterkörbe der Krakauer abgestellt werden. Auch unser Tellerchen wird nun aus der Nylontasche genommen und sichtbar zwischen Weidenruten präsentiert. Dann nehmen wir Platz in den vorderen Bankreihen. Neben mir haucht die Kälte eines Steinsarkophargs in dem der Jagellionenkönig seit 1347 liegt. Nur wenige Zentimeter trennen unsere zeitlich so weit auseinander liegende existentielle Materialität voneinander. Sehr erstaunt, dass mir diese Nähe eines Toten keinen Schauer über den Rücken treibt. Die Gläubigen benahmen sich ringsum wie ich es aus Kirchen kenne. Langweilen sie sich, wie ich mich in der prächtigen Ausstattung der Wawelkathedrale und der kalten Luft. Wunsch positiv zu beeindrucken, deshalb ein Gesicht machen, das nichts preisgibt von den Gedanken?
Dann kommt der Priester. Er propagiert Nächstenliebe propagiert, wünscht dass wir das Essen mit den Habenichtsen auf der Welt teilen, anstatt Rüstungen produzieren. Das klingt nach einem Appell für die Menschenrechte.
Polen kommt im Bericht von Amnesty International nicht gut weg. Lech Kacynski trat 2006 für die Reinstallierung der Todesstrafe ein. Die Geheimgefängnisse im Sperregebiet der Masuren und der Gebrauch des Militärflughafens Szymani brachten Polen in Verruf und Verdacht, gegen die Menschenrechte massiv zu verstoßen. Unter Mitwisserschaft des Geheimdienst- und Justizministers der Regierung unter Jaroslaw Kaczynski, Partei “Recht und Gerechtigkeit” von Herbst 2005 bis Herbst 2007 an der Macht. Seit Januar 2008 ermittelt die polnische Staatsanwaltschaft auf Antrag von Premier Donald Tusk zu den Geheimgefängnissen.
Weiters geht hervor, dass Rassismus in Verbindung mit anderen Kriminellen Taten nicht berücksichtigt wird und daher zu leichten Schuldsprüchen der Täter führt.
The Eurpean Committee for the Prevention of Torture stellte fest, dass Vorwürfe der Misshandlung durch die Polizei gegenüber jugendlich Straffälligen und Prostituierten und Roma nicht ernstgenommen und verfolgt würden.
Gewalt gegen Frauen wird verharmlost und totgeschwiegen, oder Täter milde bestraft. Eine unabhängige Einrichtung zur Beobachtung und Einforderung der Gleichbehandlung und Gleichstellung der Geschlechter besteht seit 2005 nicht mehr. Flüchtlinge und Asylbewerber werden in inadequaten Auffanglagern gehalten. Schlecht ausgebildetes Personal, keine oder zu wenig Dolmetscher, schlechte bis gar keine medizinische Betreuung stellen die Rahmenbedingungen für mißglückte EU Flüchtlingspolitik klar. Die Betreuung von psychisch erkrankten oftmals mehrfach traumatisierter Flüchtlinge ist nicht einmal angeboten.
Das Gespräch mit einer Therapeuten des Vereins heymat in Wien, das sich mit traumatisierten Flüchtlingen befasst, läßt die Gräuel denen Tschteschenen zu entfliehen vermögen nicht denken, doch die Notwendigkeit von psychosozialen Einrichtung als Lebensmittel erkennen.
Die Hälfte der Flüchtlingskinder besuchen keine Schulen in Polen.
Personen mit “tolerated stay” permits sind vom Gesundheitswesen ausgeschlossen und dürfen an keinen Integrationsprogrammen teilnehmen.
Der Priester taucht eine Art Keule ins Weihwasser. Zieht sie heraus und besprengt zu polnischen Gebeten die Gläubigen. Weihwassertropfen landen in meinem Gesicht. Das Prickeln auf der Wange löst die Reminiszenz aufkeimender Lebenslust aus, wenn die Wassertemepratur des Wörtersees zum Schwimmen einlud.
Die Lebenslust braute sich für Anna in der Kirche aus den unterirdischen Kraftströmen unter unseren Kirchenbänken zusammen. Der Wawel sei für seine Energiequellen bekannt. Es gäbe im Schloss Nischen, wo man sich für Minuten hineinstellen könne, und positiv aufladen könne. Messbare gute Laune überströme das Gemüt, sogar die Umgebung des Sarges des Jagelloniers sende Radioaktivität, die mich erquickte.
Krakau strahlt im katholischen Ostern. Auch in Kazimierz, der ehemaligen Nachbarstadt Krakaus, dem ehemals jüdischen Viertel, das nun durch Immobilieninvestitionen aufgewertet ist, viele jüdische Restaurants und Szenelokale, Synagogen und jüdische Namen für Straßen bietet. Führungen zu den Drehorten von Schindlers List werden abgehalten.
Der Besuch eines Klezmer-Konzerts im Galizischen Museum beschert mir den Erwerb des Buches über Galizien von Martin Pollack. Aus Zeitnot mußte ich unser persönliches Treffen in Österreich absagen. Nun also, sein Buch in den Händen haltend, blättere ich in Galizien. Martin Pollack kennt meinen Polenlandstrich und hat ihn literarisch längst erfasst. Auf meiner Reise von Wien nach Polen las ich sein Buch mit dem Titel “Der Tote im Bunker“. Es handelt von einem ermordeten, nationalsozialistischen Verbrecher. Dieser Mann war Martin Pollacks Vater.
Während ich diese Zeilen niederschreibe, weht draußen stürmischer Wind. Die Recherche mit der Google-Such-Maschine nach den derzeitigen Umständen der Flüchtlingssituation in Polen bleibt unbefriedigend. Erfahre nur wieder von baracken-artigen Unterkünften in entlegenen Landstrichen. Der tote Lech Kascinsky hatte den Lissabonner Vertrag der EU boykottiert, er war es, der katholische Identität in der europäischen Verfassung festlegen wollte. Was eine Regression in mittelalterliche Zeiten bedeutete, Verklärung statt fortgesetzte Aufklärung. Nun liegt er auf dem Wawel. Ummantelt von Herdentrauer und gefolgt von Demonstranten, die ihm kein Ehrengrab unter den Königen auf dem Wawel zollen. Der Flug nach Katyn hat gräßlicherweise Leben von Überlebenden des Massakers der Sowiets an polnischen Offizieren gekostet. In der New York Times schreibt Olga Tokarczuk:
I am sick of building our common identity around funeral marches and failed uprisings. I dream of Poland becoming a modern society that is defined not by the crippling nature of history, but by our individual achievements, a sense of our own self-worth and ideas for the future.
Fleischweihe Krakau April 2010, Vorgeschmack
Palmbuschen aus Trockenblumen und Stroh
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Viel zu unbewusst ist einem das was im direkten Nachbarland vor sich geht und das finde ich ziemlich traurig. Weil es eben mir auch so geht das ich einfach viel zu wenig weis. Deswegen bin ich immer Dankbar für solche Artikel. Vielen Dank. Liebe Grüße