Andreas Okopenko : Traumbilder | Traumberichte
Rede im Museum auf Abruf , 14, 10. 1999
von Christiane Zintzen
Fast auf den Tag genau – am 4. November – jährt sich heute die Auslieferung jenes Jahrhundertbuches, das Sigmund Freud nach langem Ringen und existenzieller Krise mit der “Traumdeutung ” gelungen war: Ein “wissenschaftliches” Buch und ein literarisches Buch zugleich – nicht nur, was die Formulierkunst betrifft, sondern auch ein Buch, dessen Grösse und Schönheit nur durch die Öffnung des Autors hatte entstehen können.
Weil der Autor sein Ich, seine Träume und Phantasien zum differenzierten Sensorium er-zogen hat, weil er im eigenen “Materiale gegraben” hat und weil er dies nach den Prämissen höchstmöglicher Selbsterforschungsethik vollzogen hat, konnte dieses Werk entstehen.
“Es werden massenhaft neue Träume eingefügt”, schreibt Freud im August 1899 an Wilhelm Fließ und zieht ein Bild aus der Küche heran, um die Zugabe eigener Verletzlichkeiten zu veranschaulichen: “Pour faire une omelette, il faut casser des oeufs.”
Andreas Okopenkos sorgsame und minutiöse “Traumberichte” belegen, wie sehr sich der Autor mit seinem ganzen Wesen “in die Pfanne schlägt” – will meinen : Wie sich der Autor als Instrument, Sensorium und Katalysator für die fremd-eigenen, eigen-fremden Traumvisonen her-gibt. Wie er sich hin-gibt an diese Stimmen, an diese Visionen und an diese Empfindungen. Wie dabei etwas etwas Grösseres entsteht, etwas Drittes jenseits von “nur” Ich und jenseits von “nur” Traum – ein Mobile von Texturen, Literatur am Werk.
So erinnern diese Textsprengsel, -suiten und –spots mit ihrer Zartheit, mit ihrer Fragilität, mit ihrer durchscheinenden und zugleich atmenden Wesenheit weniger an Freuds “zerbrochene” Eier denn an jene sonderbaren, staunenswerten Gebilde, die mein bäuerlicher Grossvater als “Windeier” zu bezeichnen pflegte: Eier, die auf wunderbare Weise ohne Schale, nur in die zartgeäderte, transparente Einhaut gehüllt, zur Welt gekommen sind.
Wenn sich der Schriftsteller Okopenko die eigenen Träume “ausverleibt”, hat das ebenso wenig wie bei Sigmund Freud, mit dem Mitteilungsdrang eines Egomanen zu tun:
Sondern mit einem hellwachen Erkenntnisinteresse, das das Traum-Erleben nicht grundsätzlich vom Wachleben separiert.
“Respekt” wäre ein Wort, welches ich vorschlüge, um Andreas Okopenkos Blick auf die Dinge, auf die Menschen, aber auch auf die Träume zu charakterisieren:
“Re-Spekt”: Die Vorsilbe markiert Distanz – das Stammwort hingegen apperzeptorische Nähe. Zusammengefügt bezeichnet Re-spect eine Haltung, die nicht bestrebt ist, sich das Gegen-Über, das Gegen-Ständliche anzueignen oder gar zu unterwerfen.
Als Schriftsteller ist Okopenko zunächst und – zuletzt! – sein eigenes Instrument, welches er selbst zu stimmen, zu spielen und zu pflegen hat. Er weiss, dass genaue Sprache eine Frage der genauen Wahrnehmung ist und dass präzises Hinsehen hinwiederum als VIA REGIA zum präzisen Denken führt: “ich habe Chemie studiert, und darum kann ich Analysen und Versuchsprotokolle geben, Beobachtungen und Selbstbeobachtungen, möglichst weit entfernt von der Verklärung.”¹
Das Programm der apperzeptiven Akkuratesse und dokumentarischen Disziplin, der “wache[n] Denkarbeit und [des] Schauengehen[s] in real-time Minuziosität”² giesst Andreas Okopenko in den Traumberichten in eine poetische Formel: das “Durchgreifen und Aufäugen der Sachen”.³
Das protokollarische Unternehmen zielt auf Wahr-Heit und Wahr-Nehmung dessen, was der Fluss des Unbewussten an die Ufer des Bewusstseins spült: Schnell und sorgsam ist der Autor zur Stelle, um dieses Treibgut vor dem Versinken und Verschwinden zu bewahren: Denn es sind wertvolle Materialien, die er da birgt, bedeutsame Roh-Stoffe für sein dichterisches Werk. – “Akkumulatoren”⁴ hat er dies einmal genannt.
Nicht zufällig begegnen wir in den Traumberichten einigen Bausteinen zu sog. “Lockergedichten” – “Gedichte, die wie aus einem Schnelldrucker ins Bewusstsein brachen”, und derentwelche nun unter dem Titel “Affenzucker” bei Deuticke erschienen sind.
In den Traumberichten ist der Träumer Okopenko Akteur und Beobachter zugleich, Protokollant und Gegenstand. Cartesianisch formuliert: Körper (res extensa) und Intelligibler Geist (res cogitans) in unzwiespältiger Personalunion:
Es sieht sein Sein und sieht Sich Sehen mit jenem Doppelblick, den Okopenko in dem Text “Steiler Weg und Paßanstand” beschreibt:
Sie prüft mein Gesicht, schon reicht sie ihn (den Pass) mir zurück, zieht ihn dann aber plötzlich an sich, schaut mich noch einmal an und sagt: Das Bild ist nicht in Ordnung, Sie haben darauf ganz normale Augen, in Wirklichkeit aber sehen Sie mit beiden Augen nicht gleichzeitig, sondern hintereinander.⁵
Dieser “Hintereinander”-Blick der beiden Augen bezeichnet nicht nur plausibel das poetisch/protokollarische Programm der “Traumberichte”. Dieser Blick schlägt auch eine Brücke zur bildenden Kunst, wo – wie in den kubistischen Entwürfen – das zeitlich Sukzessive in ein räumliches/ flächiges Nebeneinander übersetzbar wird.
Auch lassen sich an Okopenkos “Fluiden” und in seinen “Schabernackzimmern”⁶ wunderbare Studien zu jenen Mechanismen der Traumarbeit anstellen, welche Sigmund Freud ja als mit der Dichtung und Poesie engverwandt beschrieben hat: Verdichtung, Verschiebung, Verkehrung, Mischbildung, Sprachspiel und Bilderrätsel.
“dingliebend und zugleich dingbewusst”⁷ drehen sich diese so sorgsam und sachte be-schriebenen Träume um Sprach-Szenen, Schlagwörter, Gedichtzeilen, Worteinfälle (etwa das “Moder-Restaurant”, wo “Moder-Speisen” offeriert werden). Dann wiederum sind es sprachlose Bilder wie der folgende “Halbschlaf-Clip”: “Eine gelbe Schlange, um eine violette Traube herumgewickelt. Dann Auswicklungsvorgang.”⁸
Dies bliebe freilich “nur” ein Traum, wäre da nicht Okopenkos geschmeidige Sprache, die sich – ohne je aufzutrumpfen, ohne sich in den Vordergrund zu spielen und ohne sich um Gefälligkeiten aller Art zu kümmern – mit sanfter Entschlossenheit, mit leisem Insistieren an das Geträumte anschmiegt: Eine Sprache, die sich gebildet und ausgebildet hat in grosser Sparsamkeit, in inniger Melodik und im Einbeziehen dessen, was zwischen den Wörtern liegt.
“Ich meine also”, hatte Sigmund Freud seine “Traumdeutung” beschlossen, “man gibt die Träume frei.”⁹ Hören wir in diesem Sinne Andreas Okopenkos Traumberichte – als – mit Okopenko formuliert –
“Träume zum Angewöhnen”.
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ENDNOTEN
¹ – Okopenko , Meine Wege zum Schriftsteller, 9
² – Okopenko , Traumberichte , 68
³ – Okopenko , Traumberichte , 60
⁴ – Okopenko , Aufgefordert, ein Gedicht zu erläutern , 31
⁵ – Okopenko , Traumberichte , 31
⁶ – Okopenko , Traumberichte , 31
⁷ – Okopenko , Meine Wege zum Schriftsteller, 15
⁸ – Okopenko , Traumberichte , 39
⁹ – Freud , Traumdeutung , 587
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HINWEIS
Andreas Okopenko : Traumberichte – Linz & Wien , Blattwerk, 1998
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RELATED
- Andreas Okopenko – Vom Schreiben lesen : Das essayistische Werk ( NZZ )
- Andreas Okopenko : “Kindernazi” und “Affenzucker – Rezension ( kolik )
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