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Salon Littéraire | Marjana Gaponenko :
Annuschka – Piotr 1 / 3
Vorbemerkung : Es ist Mitte September 2008, als ich mit der Arbeit am “Guten Satan beginne. Der Teilchenbeschleuniger LHC am Europäischen Kernforschungszentrum bei Gent feiert seinen ersten offiziellen Start. Drei chinesische Taikonauten verlassen den heimatlichen Kosmodrom im Bauch des Raumschiffes Shenzhou, als Boten der dritten chinesischen Weltraummission. Lehman ist pleite, und der Buerger bestellt weiter unbekuemmert Schnitzel mit Pommes Frites. Der EU-Ukraine-Gipfel in Paris ist inzwischen Geschichte; seine Folgen für mein Land und die EU sind genauso verschwommen wie das dritte Kapitel meines ersten Romans, an dem ich mehr zu schreiben versuche als schreibe.
Wäre mir die kleine Insel-Ausgabe des Gilgamesch Epos in dieser Zeit nicht in die Hände gefallen, wäre “Der gute Satan” möglicherweise niemals entstanden. Auch mein Roman “Annuschka Blume” hätte zweifellos andere Wege eingeschlagen. Mit der letzten Seite von “Gilgamesch” war also die Geburt des “Guten Satans” besiegelt, und mein Roman wurde damit auf satanische Kometenbeine gestellt.
Den Satan-Zyklus sowie den später entstandenen Zyklus “Anna/Piotr sehe ich als Begleitlied für mein Prosaprojekt. Der “Gute Satan” selbst wurde als Zwiegespräch konstruiert zwischen dem Menschen und einem Fremden, einem Großen und alles Umfassenden, eben dem “guten” Satan. In den ersten 7 Texten spricht der Satan zum Menschen, in den Texten 8-14 spricht der Mensch zu seinem “Herrn” und “Freund”.
Genauso aufgebaut ist “Anna/Piotr”, wobei die beiden nicht zu einander reden, sondern “geredet” werden, beschworen, besungen zu sein und zu scheinen- mit der Stimme ihrer ergebenen Schöpferin
Marjana Gaponenko
Krakau Juni 2010
Annuschka I
(Schlaflied)
Ein Vorbild ist der Mensch,
er betet mit dem Blick.
Ein Stern tritt scheu hervor
wie Tau an seiner Stirn.
Er betet, und es summt ein Lied
in seinem Mund
von Fischern, Ferne und von Lust.
Er will nichts wollen.
Er betet mit dem Blick,
das Lied summt mit,
es summt so fleißig wie sein Blut
in ihm die Wege geht. Er betet mit dem Blick,
er schüttelt sanft den Kopf. Was soll er tun?
An Fäden gleiten Engel schon herab
Es regnet wohl. In seinen Augen
ein trüber Tag, in seinen Augen nichts,
das etwas sagen will, doch es sagt,
es sagt was er nicht ahnt.
Ein Vorbild ist der Mensch,
er schüttelt seinen Kopf. Was
soll er tun? Er betet mit dem Blick.
so fleißig wie sein Blut in ihm die Wege geht.
Das Lied summt mit. Wie Tau an seiner Stirn der Stern,
er tritt hervor…
Annuschka II
Du erinnerst dich: durchsichtige Stämme der Bäume,
langsames Blut, das da eilt wie ein Blitz;
im Kreis stehen sie alle und singen so leise,
dass der Donner seinem Nest entfällt -
ein Schlag, der nicht eintreffen will.
Es wächst sein Fehlen immer mehr
und weiter nichts.
Du misst das Land von Tag zu Tag
mit Wolken, die du bläst, mit Herden,
die du treibst über die Erde,
die so zärtlich schwankt, dass Berge knien.
“Sie knien vor ihr ob früh oder spät”
Das wusstest du, bevor du auf die Erde kamst
aus einem Berg heraus, aus seiner Brust.
Du erinnerst dich: ein Bienenschwarm
- die Zeit, die schnitt dir einen Leib,
der Atem floss golden in dich,
alles was war, als war es gar nicht,
als wäre das Wahre das was nie war.
Du sagst: “Nur davor geh´ ich in die Knie”,
und du kniest, und du sinkst …
Annuschka III
An diesem Morgen wird nicht aufgewacht.
Durchs Tor schwebst du als Traum von dir.
Dich selbst siehst du dem Wald zueilen.
Er breitet seine Arme aus und öffnet weit das Aug.
Du rollst dorthin als Glanz, was du nicht siehst.
Du sagst: ich singe leis im Traum!
Dein Wort, das du nicht sprichst …
Ist es der Rauch, der über Dächer steigt?
Ist es die Wärme, die aus Häusern rinnt?
Du weißt es nicht …
Geh wandern, Annuschka moja,
von Baum zu Baum, die alle gläsern sind.
Umarmst du sie – verdunkelt sich ihr Saft
zur Farbe deines Leibs. Lässt du sie los -
verbleichen sie. Und gehst du weiter,
da lichtet sich der Wald zum Teich,
in dem du schwimmst. Ein Fisch streift dich,
ein trauriges Juwel, mit dem du tanzt,
bis dir die Luft ausgeht. Ein letzter Blick,
und schon haucht er in dich sein Leben ein
im Kuss, der blendend schmeckt.
An diesem Morgen wachst du auf.
Du schwebst durchs Tor an Hütten vorbei.
Die Frauen am Fenster bekreuzigen sich,
und die Kinder treten heraus. Es ist,
als stünde in Flammen dein Leib,
als kämest du aus dem Eis.
Annuschka IV
Vater, streife du diesen Schmerz von mir ab:
den Gedanken zu sein, weil ich in dir träume.
Ich legte mich hin, sank in die Erde und sang:
“Oh du Flammender, sag,
ob du brennst, ob du tanzt,
ob du dich zerreißt
in seidene Fetzen.
Was löscht sie?
Welch eine Macht?
Sie fressen sich selbst,
ohne sich zu verschlingen.”
Vater, mein Köcher und Pfeil …
sie sind weg, doch mein Ring,
er rollt übers Feld, über mich,
die Grasspitzen berührend.
Sprich jetzt: “Halte ihn auf!
Durchbohre sein goldenes Sein,
das klirrende Luft ist! Annuschka, lauf!
Anna, steh auf!” Lass mich dich hören,
am Beben der Erde erkennen.
Und ich komme zurück,
durch die Blumen,
durch die Tropfen des Taus,
durch das Harz.
Sprich, und ich springe selbst durch den Ring,
als dich nie gesehenes Auge,
lösche das Untilgbare aus,
das dich vor mir birgt.
Annuschka V
Tritt ans Fenster, Annuschka, Liebe,
ans noch unbeschlagene Glas!
Lass das Tuch dir entgleiten vom Leib,
in die Ferne rasen, unter die Erde sinken,
die Hölle anzünden, die so leer ist, so kalt -
dein Tüchlein – eine bemusterte Flamme.
Annuschka, nackt musst du sein, wenn du weinst.
Dass du lachst, ist der Stimme verborgen,
die nachts dich bewacht,
dich von Zweigen anschaut:
durch die Tropfen, die blinzelnd fallen,
mehrfach dein Bild in die Erde gehaucht.
Es wird weder minder noch mehr,
auch vom Schauen, das so sanft, so stark ist,
dass eine Stimme entsteht im Raum.
Sie beginnt sich zu drehen,
das Dunkle zu Licht zu zermahlen.
Anna, du stehst und du eilst, es ist Nacht.
Da sie blendet, schließt du die Augen,
und tanzt, weil du lachst, deine Tränen ableckend.
Und dein Tuch kann nicht fallen.
Und es gleitet Tropfen für Tropfen herab.
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Hinweis
Marjana Gaponenkos Roman “Annuschka Blume” erscheint September 2010 im Residenz Verlag .
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