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TOLSTOI ALS ROMANCIER UND DIARIST

czz icon listening white smczz. – “Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.” Der berühmte erste Satz aus Tolstois “Anna Karenina” zeigt, wie zeitgemäss manche Klassiker bleiben. Zum 100. Todestag des Autors legt die Deutsche Grammophon einige Tolstoiana wieder auf. Mit “Anna Karenina” ist die minuziöse Studie einer gesellschaftlich geächteten Liebe in einer mutigen NDR-Produktion 19 Stunden lang zu vernehmen; die unter dem anspielungsreichen Titel “Krieg und Frieden” auf zwei CD edierten Auszüge aus den Tagebüchern von Sofja Andrejewna und Lew Nikolajewitsch hätte man gerne etwas umfänglicher gehört.

Zeigt die 1877 erschienene “Anna Karenina” die Wunden und Wenden einer in die Isolation gedrängten “Amour fou” im Fiktiven, erweisen sich die faktischen Tagebücher der Eheleute als nicht minder dramatisch. Im Zuge ihrer fast fünfzig Jahre währenden Verbindung gaben sie einander die je eigenen Tagebücher zu lesen. Auf diese Weise konnte sich im Kleid subjektiver Reflexion Klage oder Kritik unumwunden formulieren. Diese radikalsten aller “adressierten” Beziehungstagebücher stellten eine kommunikative “Nebenspur” zum praktisch gelebten und an Konfrontationen nicht eben armen Alltag dar.

Aus dem Quellgebiet dieses “verschränkten” Diarismus dürfte wohl auch die empathische Darstellung der subjektiven Logiken und Leiden der Protagonisten in “Anna Karenina” sich speisen. Die Tagebuch-Zitate ergeben indirekt manchen Kommentar zu der 16 CD umfassenden “Anna Karenina“, womit sich die Aktualität des Grossromans bestätigt, wenn nicht mehrt. ( NZZ , 1. 10. 2010 )

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BUKOWSKI IN GENRESICHEREM SOUND

czz icon listening black smczz – Den “dirty old man” der amerikanischen Literatur sozusagen ins Wohnzimmertaugliche einzuschmuggeln, ist das nicht geringe Verdienst eines Unterfangens, Texte des 1920 im rheinischen Andernach geborenen und 1994 in Los Angeles verstorbenen Charles Bukowski in musikalischer Einbettung zu präsentieren. Der Mannheimer Musiker und Produzent Steffen Wessbecher hat ausgesuchte Poesie und Prosa in den bewährten Übertragungen Carl Weissners vertont und arrangiert.

Indem die Auswahl auf die schrillsten Kulissen verzichtet und auf jene Texte setzt, die auch mit den bürgerlichen Lese- und Lebenserfahrungen einigermassen kompatibel sind, liegt mit “Ein Maulwurf im Karton” eine Sammlung von oft ironisch gebrochenen, mitunter durchaus ohrwurmtauglichen Szenen vor. Sie handeln meist von Suff und Sucht als Wohl und Wehe dessen, dem die Schokoladenseite des amerikanischen Traumes unerreichbar bleibt.

In lakonischen Sätzen, düsteren Genreszenen und bitterer Ironie manifestiert sich, wie durch Krankheit, Alter und Tod das dysfunktionale Individuum in den Ritzen einer auf Gesundheit, Aufstieg und Anstand gerichteten Gesellschaft verschwindet. Auf ebendiese Genrehaftigkeit setzen die klugen Arrangements, mit welchen Steffen Wessbecher den Ton angibt: von jazzigen und elektronisch atmosphärischen Akkorden über scheinbar unbeschwerte Funk- und Latin-Tracks bis hin zur munteren Ska-Anmutung, die dem häuslichen Geraunze eine bös-fröhliche Note gibt.

Mitreissend rezitiert, skandiert und konterkariert von einem äusserst animierten Gerd Wameling, ist das Kunststück gelungen, Menschliches und Allzumenschliches in abwechslungsreicher Dichte und wirkungsvoller Stille zu formulieren. ( NZZ , 1. 10. 2010 )

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ULRICH BECHER : EXIL IM SPRACHWITZ

czz icon listening white smczz – Heimgekehrt aus dem amerikanischen Exil, arbeitete Ulrich Becher (1910–1990) bis in die sechziger Jahre an einem eminent sprachmächtigen Werk mit Bezug auf autobiografische Motive. Ebenso tragisch wie gewitzt und verschmitzt skizziert Bechers Roman “Murmeljagd” ein grimmiges Tableau der Nazizeit, das 1969 erstmals bei Rowohlt erschien. Wirklich gezündet hat allerdings erst die 700 Seiten starke Neuveröffentlichung im Vorjahr bei Schöffling.

Die Sprachwut und -wucht der “Murmeljagd” legt eine akustische Fassung nahe, die mittlerweile in einer rund 30-stündigen dramatisch-drastischen Lesung greifbar ist. Dabei erweist sich die Besetzung mit dem Sprechkünstler Wolfram Berger einerseits als virtuos und wirkungsvoll, bleibt anderseits in manchem problematisch. Vordergründig handelt Bechers Buch “nur” von vier Wochen im Leben des Wiener Journalisten Albert Trebla, der im Frühjahr 1938 über die Alpen ins Schweizer Exil flieht.

Allerdings verfährt der zu thematischen Ab- und sprachlichen Ausschweifungen neigende Autor notorisch nonlinear. Anhand der Typen und Originale, denen Trebla begegnet, wechseln Rückblenden, Zeitdiagnosen und Verfolgungswahn des Flüchtlings, wobei die Figuren in lustvoll gestalteten “Sprachkostümen” auftreten. Vom Alt- und Offiziers-Wienerischen über joviales Preussentum und wortkarge Älpler bis hin zum Italienischen und zum Rumantsch. Gelobt sei die Verve, mit der Berger sich in die verschiedenen Sprachformen wirft. Allerdings outriert er dabei mitunter derart, dass der Roman hinter der einzelnen Szene verschwindet. Dem Witz der Dialoge, dem Reiz der Dialekte, aber auch dem Anspruch eines Gesellschaftstableaus vermögen solche Übertreibungen freilich nichts anzuhaben. ( NZZ , 1. 10. 2010 )

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KLANGAPPARAT

Pünktlich wie die Eieruhr liefert unser Lieblings- Netlabel broque Feines zu Montasbeginn : mit den acht Tracks der neuen Release “windspiel” des Dresdener czz-hoerempfehlungElektronikers alec troniq wird diesmal das ep- Format weit überschritten , aber man wolte keine der subtil ins Werk gesetzten Pretiosen missen . Es ist als hätte man es mit acht Mikrokosmen zu tun , deren verschmitzte Feinheiten stets überraschen und erquicken . Wobei die zarten Texturen auch mit rhythmischen Finessen glänzen . Einfach superfein .

CLICK LINKS TO LISTEN : 01. n’aschi | 02. doldrums | 03. williwaw ( feat. miss confused ) | 04. farou | 05. dimmerföhn | 06. brisa ( feat. da_face ) | 07. sahel | 08. jimmycane | zip- file

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