DER DISKRETE CHARME DES ERIK SATIE
NZZ , 3. 12. 2010
Stand am Beginn seiner Wirkung als weithin wahrgenommener Komponist das Ballett “Parade”, das 1917 mit Sergei Djagilew (Tanz), Picasso (Bühne, Kostüme) und Cocteau (Buch) zu einem höchst erfolgreichen Skandal geriet, blieb Erik Satie (1866–1925) in Werk und Leben einer der Leisen.
Mit konzeptgemäss kargen Kompositionen für Piano – wie die berückenden “Gymnopédies” oder die 840-mal zu wiederholenden “Vexations” – gab Erik Satie dem orchestral rauschhaften Wagnerismus ein bewusst auf neue Schlichtheit zielendes Contra. Damit überzeugte er nicht nur Zeitgenossen wie Claude Debussy, sondern nahm einiges von dem vorweg, was John Cage ein halbes Jahrhundert später erdachte.
Notorisch sind die kauzigen Kurztexte, die sich teils in den Partituren, teils auf unzähligen Zettelchen fanden. Eine erfreuliche Audio-Edition stellt Saties Satiren den Kompositionen zur Seite, vermischt indes beide Ausdrucksformen bewusst nicht, um die “pureté” beider zu wahren. Mit Dietmar Mues ist eine diskrete Stimme am Werk, die die Ironie von Bemerkungen über das Gewicht von Tönen, die Musikalität bei Tieren sowie über den “Tagesablauf des Musikers” eher andeutet denn ausspielt. Im Rahmen eines auf die Minute festgelegten Programms wird dem Künstler die tägliche “Inspiration” gleich zweimal zuteil: zunächst von 10 Uhr 23 bis 11 Uhr 47, dann zwischen 15 Uhr 12 und 16 Uhr 07.
Sind neben den Texten die von Steffen Schleiermacher eingespielten Kompositionen für Piano zu vernehmen (“Gnossiennes”, “Vexations”), erklingen zu lärmender Letzt ausgerechnet die dezidiert für Piano solo komponierten “Gymnopédies” in Vollbesetzung des Babelsberger Filmorchesters. Ein Grund mehr, sich Saties Plädoyer für das Einfache, Klare und Leise anzuschliessen.
- Erik Satie: Worte und Musik – Lesung Dietmar Mues, Piano Steffen Schleiermacher – 1 CD (73.30 Min.), Hörbuchedition Words & Music 2010, www.words-and-music.de ( … mehr )
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THOMAS MANN: AUS DER WERKSTATT DES “ZAUBERERS”
NZZ , 3. 12. 2010
Tief ins Laboratorium eines literarischen Lebens blicken lassen die Tagebücher Thomas Manns. Die erhalten gebliebenen Diarien beginnen 1918 im Nachkriegschaos und enden 1921 in den Wirren der Weimarer Republik, führen zwischen 1933 und 1955 ins schweizerische, französische und amerikanische Exil, um mit der Rückkehr des Nobelpreisträgers in die Schweiz zu enden.
Ohne Beschönigung verzeichnen die Journale alltägliche Verrichtungen, geben Rechenschaft über das Text-Tagespensum und notieren Rituale wie das der sakrosankten Mittagsruhe bzw. den “Bermer “Ärger” über “Störung” derselben durch die Sprösslinge. Überhaupt bleiben die Tagebücher auffällig frei von poetologischer Reflexion, bieten dahingegen ein reiches Verzeichnis körperlicher und seelischer Störungen”;
Schliesslich obliegt der “Zauberer” hier jener Parallelwelt, in welcher er seine nach aussen hin sublimierte Knabenliebe bewusst zelebriert. Die 10 CD umfassende Audio-Edition, die der profunde Mann-Kenner Hermann Kurzke zusammengestellt und durch ein gediegenes Feature ergänzt hat, glänzt in der wohltemperierten Lesung Hanns Zischlers.
In diesem Kontext ist es aufschlussreich, den Habitus der “öffentlichen Figur” Thomas Mann anhand eines “Wunschkonzerts” für den Süddeutschen Rundfunk zu studieren. Manns innige Beziehung zur Musik erscheint – neben dem “Doktor Faustus» – in den Tagebüchern in Form von häuslichen Schallplattenkonzerten. In der 1954 eingespielten Radiosendung beeindruckt Thomas Mann mit einer penibel vorbereiteten Dramaturgie aus Werkzitaten und einer kanonischen Musikauswahl, welche den «Lohengrin» ebenso berücksichtigt wie die «Leonoren-Ouvertüre», sich indes schliesslich zu den Liedkomponisten Schubert und Schumann bekennt.
- Thomas Mann: Die Tagebücher – Lesung: Hanns Zischler. Auswahl und Feature von Hermann Kurzke, 12 CD (945 Min.). – Thomas Mann: Mein Wunschkonzert, Süddeutscher Rundfunk 1954, 1 CD (57 Min.), beide: Der Hörverlag 2010 ( … mehr )
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ESTHER DISCHEREIT: AKUSTISCHES DENKMAL
NZZ, 3. 12. 2010
Dem überall enger werdenden öffentlichen Raum dankt sich eine körperlose Form des Denkmals, wie sie seit einigen Jahren zu beobachten ist. Nenne man es “akustisches Denkmal” oder “Klanginstallation”: die Klang-Kunstwerke laden wie ehemals das Denkmal aus Stein und Eisen ein, zu verweilen und seine Gedanken mit dem Gehörten schweifen zu lassen.
Ein solches auf Dauer eingerichtetes “Klangmal” an die Shoah hat die Schriftstellerin Esther Dischereit zusammen mit dem Wiener Avantgarde-Komponisten Dieter Kaufmann für die münsterländische Stadt Dülmen erstellt, wo es am Eichengrün-Platz tagsüber aus zwei Lautsprechern ertönt. Die Erinnerungsschnipsel, welche Dischereit aus den städtischen Archiven gezogen hat, nennen die Namen von Opfern und Tätern und gehen einigen poetisch-assoziativen Gedankengängen nach.
Im Wechsel mit Kaufmanns Musik geben diese dokumentarisch-poetischen Spuren ein diskretes Klangbild ab, das ganz ohne Anschuldigungen oder das Mantra des «Nie wieder» auskommt. Dieter Kaufmanns Kurz- und Kürzeststücke zitieren in eindrucksvoller Weise das vielfältige Repertoire des klassischen, neuen und elektronischen musikalischen Vokabulars – als gälte es, jedem der zu Tode Gekommenen einen unverwechselbaren Tribut zu zollen. Dies alles ist auf zwei CD dokumentiert, und Dischereits Texte in deutscher und englischer Sprache sind in einem typografisch exquisiten Büchlein bestens aufgehoben. Am berührendsten trifft den profanen Hörer indes jene Stimme, welche anhand von jüdischen Kochrezepten den Alltag und die hohen Feste eines Jahres insinuiert.
- Vor den hohen Feiertagen gab es ein Flüstern und ein Rascheln im Haus – Text: Esther Dischereit, Musik: Dieter Kaufmann. 2 CD (79 Minuten), AvivA 2009 ( … mehr )
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