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Salon Littéraire | Katharina Riese :
Prelude mit Gegenwind

Ich sehe hinein in menschenleere Zimmer. Die Möbel stehen wie Böcke herum. Die rühren sich nicht. Früher, das weiß man aus Märchen, haben die Teekannen oder Lampen sehr wohl sprechen und sich auch bewegen können. Ich sehe Kästen, Vitrinen, Schreibtische, Teppiche, Luster, Vorhänge, Tapeten, Vasen, Bilder, Aschenbecher, Betten, Porzellanfiguren, Kerzenleuchter, Sitzgarnituren, Bücherkästen und unzählige kleine Gegenstände.
Diese Dinge, am besten mit dem Oberbegriff Hausrat benannt, sind mir sehr vertraut. Alles verharrt artig auf seinen Plätzen und hüllt sich in tiefes Schweigen. Hier in diesen Zimmern scheint niemand zu wohnen. Was für eine gelungene Kommode, möchte ich ausrufen, was für eine gelungene Komödie, möchte ich mich korrigieren. Und, möchte ich diese Wohnung und den dazugehörigen Hausrat fragen, wer hat euch hereingebeten in meinen Kopf, mein Gedächtnis, meine Erinnerung?
Kann sich da jeder hereinstellen in meinem Kopf. Muss mich keiner fragen? Bei wem kann ich mich beschweren? Muss ich Fotos machen? Habe ich einen Film im Apparat? Muss ich die Polizei holen? Die Polizei kann ich vergessen. Was soll ich der Polizei groß sagen? Die Möbel sind gegen meinen Willen in meinen Kopf übersiedelt? Sie halten die Räume widerrechtlich besetzt. Besitzstörung! Ja, wird die Behörde sagen, ja, ja, private Probleme gibt es überall. Da können wir leider nicht helfen.
Ich muss damit alleine fertig werden. Ich setze Menschen in diese Wohnung. Ich setze die Figuren meiner Mutter und meiner Großmutter in den Hausrat. Da herrscht mächtig Gegenwind, aber ich schaffe das. Ich setze Irma und Vilma in die Polstersitzgruppe im Salon. Fesch, elegant und aufgeräumt sitzen sie nun dort. Und mich, die Dreijährige, dazu. Wo setze ich mich hin? Ich sitze auf Vilmas Schoß und lehne mich, völlig verdreht, zu Irma hinüber, sodass auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, auf wessen Schoß ich sitze. Dass ich es überhaupt schaffe, die Sitzgruppe auf die Sitzgruppe zu setzen, verdanke ich einem Foto
Früher, so wurde mir erzählt, waren traditionell jedes Jahr für den Großvater Familienfotos zu Weihnachten angefertigt worden. Der Großvater aber war zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Jahre tot und dem Licht und den Tulpen am Tisch nach zu schließen, war es vermutlich auch nicht vor Weihnachten.
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Katharina Riese – Bio-bibliographie
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Katharina Riese : Vilma heiratet ihre Enkelin . Skizzenbuch – Wien , Sonderzahl Verlag 2010
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Hinweis
Katharina Riese liest Montag den 7. 3. 2011 um 19h aus ”Vilma heiratet ihre Enkelin ” am Textstand Pineapple, Stand 87 | Naschmarkt Wien
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