ER | ICH
ein wenig grösser als lebensgross : er hatte diesen mechanismus schon vor jahren entdeckt , setzte ihn indes nur sehr selten ein , obwohl dieser trick jederzeit und mit grosser wahrscheinlichkeit funktionieren würde . vielleicht war es die furcht , jener Clou und dessen unmittelbare auswirkungen würden sich bei überstrapazierung zu früh abnützen . selten und mit bedacht ins spiel gebracht , stünde der sichere trick allzeit bereit für eine möglicherweise dringend nötige spontanelevation .
er hatte nämlich beobachtet , dass , wenn er von sich nicht in der ersten person singular , sondern in der dritten person dachte , er also als figur des “er” vor seine innere wahrnehmung trat , um ein beträchtliches grösser , handlungsträchtiger und irgendwie gleichzeitig dramatischer und heroischer erschien . als hätte mit hilfe des “er” plötzlich eine spielfigur in händen , mit dessen bigger- than- lifesize alter- ego er viel freier und bewusster umspringen konnte als mit dem ewig defizienten “ich” . in wahrheit war dieses “ich” nichts anderes als ein gitterkäfig , dessen stäbe und begrenzungen ständig seinen blick einschränkten und seine aufbegehrenwollende stimme zum fiesen fiepen beugte . in der rolle des “er” hingegen genoss er den überblick des um etwa eine kopflänge gewachsenen ego und verfügte entsprechend über ein volltönendes organ , mit welchem er – sei es miss- , sei es übermut – kraftvoll ventilierte .
dass die funktionen “er” und “ich” nicht gleichzeitig aktivierbar waren , hatten mannigfaltige selbstversuche über die zeit hinweg ergeben . auch liess sich dieses “ich” , welches ihn unerträglich anödete , nicht einfach aus dem system katapultieren , es verhielt sich wie das überprüfen von “master” und “slave” beim hochfahren seines systems . erst dann war es ihm möglich , die applikation “er” anzusteuern . was er aber , wie gesagt , viel zu selten tat , um den den effekt nicht über gebühr zu beanspruchen und somit zu gefährden .
manchmal hatte er , wenn er den “er”- modus aktivierte , das bild vor augen , wie er als kleinkind mit den cowboy- und indianerfiguren spielte , von welchen je eine jeweils einer packung “linde”- kaffee beigeschlossen gewesen waren ; im vergleich zu anderen spielfiguren immer etwas zu gross geraten , hatten diese monochrom in lichten farben wie rosa , mintgrün oder weiss gehaltenen “linde”-männekens mitten durch die standfläche eine mitunter derart prominente pressnaht , dass selbige die figur auf glatten flächen unaufhaltsam ins wanken , kippen , kurz : zu fall brachten . auf dem kurzfasrigen untergrund der bodenauslegware hingegen konnte man sich den stand der figur buchstäblich zurecht drücken .
es wollte ihm dünken – obwohl das bild nicht wirklich konsequent gedacht war – , als liefe diese pressnaht mitten durch ihn hindurch , um das “er” und “ich” zu trennen und jede standhaltende amalgamierung´beider valenzen zu verhindern . so war er gezwungen , den grössten teil der zeit mit dem “ich” zu humpeln und über kurze , aber erhebende momente mit den schwingen des “er” sich vom schweren boden zu lösen . dabei wurde leise , aber unüberhörbar die saite eines “paradise lost” angespielt . all dies kam ihm in den sinn , als er wieder einmal kurz den “er”- modus hochfuhr , um eventuelle sytem- uploads zu synchonisieren , während die schrumpelnde haut des hastig abgestreiften “ich” achtlos über der lehne seines küchenstuhls hing und auskühlte .
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KLANGAPPARAT
monatsanfang und eine neue release des netlabels broque sind mittlerweile liebgewonnene synonyma . so ist mit november die stimmungsvolle ep “yesterday you said tomorrow” des enorm produktiven komponisten Stefan Tretau ( Home | discogs | MySpace ) erschienen . In zarten minimal tech , -house und -dub gebilden webt Tretau seine sanften klangwaren , deren innere spannung indes ein abrutschen in konturlose chillout- zonen verhindern . was wieder einmal beweist , dass es stärke braucht , um lautend leise zu treten . Click links to listen :
01. ode to cat | 02. just another day | 03. crush and the matters | 04. bouncing with bud | 05. sub severe | 06. duke on the run | 07. zero gravity
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(die dame an den patchcords schaut entsprechend verzweifelt drein bei dem typen): fulminantes charakterbild, so lebensnah dass mehrfache bezüge zu eigenen beobachtungen in mir aufkeimen.
als kulturkonstrukte nehmen sich die individuen vermutlich ziemlich ähnlich aus -