Salon Littéraire | Maria Seisenbacher : Die Wölfin

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die wölfin goto

Illustration : Hermann Niklas aka goto

Salon Littéraire | Maria Seisenbacher :

Die Wölfin

eine Wölfin kommt immer zwischen die Augen. eine blinde Wölfin stirbt. ohne Augen hat sie kein einsehen. sie teilt mit Menschen, was sie nicht müsste. der Sieg liegt in ihren Pupillen. beweglich, aus- und zusammenziehend bewegt er sich auf feuchten Untergrund. das Leben liegt in den Augen der Wölfin. der Tod liegt in den Pupillen der Wölfin. der Zwischenraum der beiden bildet die Spalte in der zusammenläuft, was auseinanderläuft: die Welt.

in den Augen der Wöflin liegt die Welt. in ihren Kniekehlen begräbt sie ihre Mütter und Väter. sie legt sich auf Böden, die weitab von ihr zu Hause sind. ihre Kinder trägt sie zwischen Pfote und Schulter. nur in Nächten mit Vollmond löst sie diese von ihrem Platz und lässt sie laufen. bei Dämmerung sammelt sie alle wieder ein. eine Wölfin hat keine Kinder auf Zeit. eine Wölfin hat die Zeit zum Kind.

in den Augen der Wölfin geht die Zeit gewonnen, die von Menschen verloren geht. Zeit kostet Leben und Leben kostet Zeit. die Wölfin rechnet fernab von mathematischen Skalen. sie zieht ihre Kreise in dunklen Schächten der Buchstaben und Schriftzeichen. sie geht nie in ihnen verloren. die Wölfin ist der Zeit vorraus. nicht nur der unsrigen. die innere Uhr ist längst zu Grunde gegangen. sie liegt neben der Zahl, die kein Wort findet.

Rot ist die Farbe der Wölfin. bei genauen hinsehen wird Rom in Rot ertränkt und mit ihr alle Erzählungen. das Fell der Wölfin lässt sich nicht beschreiben. in aus Papier gewickelten Bäumen übersteht sie der Wahrheit aus dem Mund. der Körper einer Wölfin lässt sich nicht festschreiben. dort wo Schmerz liegt ist die Wölfin zu finden. dort wo die Wölfin zu finden ist weicht der Schmerz. Rot ist wie Grün und Blau die Farbe der Wölfin. in den Augen der Wölfin finden sich keine Farben.

der Freund der Wölfin ist der Basilisk. er rettet die in die Tiefe gesunkenen Körper. deren Seelen überlässt er den anderen, die er nicht kennt. die Wölfin und der Basilisk sehen einander nie. ihre Gemeinsamkeit ist ihre Unterscheidung. wenn der Basilisk über das Wasser läuft um zu retten was sinkt, entdeckt die Wölfin seine Fußspuren. wenn die Wölfin gegen Osten zieht, riecht der Basilisk ihre Fährte. ihre Verbundenheit ist ihre Trennung. der Mensch war ihnen nie Begriff.

an den Tagen der großen Feste verschwindet die Wölfin im Wort. jede Anbetung, die in den Mund genommen wird kostet der Wölfin ein Leben. die Buchstaben der Wölfin können in der Spiegelung der Vertikalen und Drehung eines Halbkreises den gleichen Namen ergeben. die Wölfin hat keinen Namen. die Wölfin hat kein Bild. sie zeigt nur ihr Gegenüber. die Wölfin hat sich, so wie wir uns selber nie gesehen.

es gibt Winkel, die wir nicht sehen können. sie liegen in den Augen anderer. die Wölfin kennt den Weg aus den Wollsäcken und wieder zurück. unter ihnen fließt Wasser aus den Augen der Gnome. es zeichnet ein Land das nie sein wird und immer war. je mehr es uns entschwindet, desto größer wird es werden. wenn wir blind sind, sehen wir das Tor, aber keinen Weg. nur wenige Einige erfahren die Überquerung, die auf Glück basiert. alle Wege im Leben liegen im Glück, nur unsere Augen liegen schief.

auf den Wollsäcken kommt die Wölfin zu liegen. im Schlaf zählt sie die Schichten und hört die Stimmen der Restlinge. es hat nichts mit einem Vater zu tun. es baut nichts auf einer Mutter auf. es hat seine Wurzeln im Gewünsch und im Entstehen einer Geschichte, die ohne uns war. wir haben kurze Beine, schmale Hände und wenig Arm. unsere Schritte reichen für wenig und alles in einem Zug. die Wölfin hat alles und nimmt nichts, sie zeichnet sich aus mit dem was sie abzeichnet. sie geht ohne uns. sie lebt ohne uns.

die Wölfin ist die Sehnsucht zu Sein was wir immer schon waren. sie legt keine Wege und zeigt einen Himmel ohne Boden. wir haben sie immer im Wort. sie steckt zwischen unseren Sätzen und wenn wir Schweigen hören wir das Knacken der Beichstriche. wir sind der Wölfin Fremde, wie Heimat und heimatfremde Körbe. sie ist nicht “Wie”, nicht “Anders” und auch nicht “So wie”. die Wölfin ist Gewohnheit in ständiger Veränderung unserer Position. wir drehen und bewegen sich in ihrer Verankerung der Bewegung.

auf das Rauschen der Bäume legt die Wöflin ein Wort. es wird verweht, getragen, zerrissen und verschmäht. nur der Gnom nimmt die Fetzen und setzt sie in Stein. er greift nach der Liebe zwischen den Seiten und gibt uns davon. Hässlich ist der Gnom und klein. wir bücken uns nicht und lassen ihn unter unserem Kinn verschwinden. auf den Fußsohlen des Gnoms wachsen Kristalle. die Wölfin weiß darum und hebt die schützende Hand.

die Wölfin bringt den Lichteinfall der Kindheit zurück. in kleinsten Wüsten treffen wir die Unendlichkeit des Bildes im Arm. die Kalkflecken am blendenden Weiß nehmen uns kurz vor dem Absinken mit. die Wölfin ist der Geruch der ersten Jahre im Leben. die Wölfin ist das Wort der ersten Leben im Jahr. wir wühlen im Gestern, finden das Heute und überblenden das Morgen. die Wolfin zieht dazwischen hindurch. sie nimmt nichts mit sich und treibt nichts fort.

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Maria Seisenbacher ( bio- bibliografie )

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