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Salon Littéraire | Sophie Reyer :
Insektizid , Romanauszug 1 | 2
Er schlägt die Mappe auf. Guckt in ihre Richtung. Dann zu Boden. Dann wieder in ihre Richtung. Sie weiß nicht recht, wie sie ihn anschauen soll. Zuckt mit den Fussspitzen. Fummelt an den Nagelbetten rum.
Wie geht es ihnen heute.
Seine Mundwinkel wandern kurz nach oben. Lächelversuch. Sie lächelt zurück. Formt die Lippen zum Schnabel. Dann: Aus dem Fenster herausschauen und ins Licht. Beschlagene Scheiben.
Hin und wieder kommen die Erinnerungen, sagt sie irgendwann.
Wie.
Die Hände des Klavierlehres, die nach mir tasten.
Verstehe. Und der Körper.
Ich fühl mich dann, als könnt ich keine Mandarinen essen.
Er sieht zu Boden. Nickt. Presst für einen Moment die Lider gegeneinander.
Manchmal habe ich das Bedürfnis, sie zu füttern.
Sie sieht auf ihre Handgelenke und legt den Kopf leicht in die Schräge.
Womit.
Gehen sie mit mir auf einen Kaffee.
Licht im Nacken. Die Beine überkreuzt. Mit den Augen die Konturen abtasten. Im Außen. Sie sitzt. Nippt an einem Glas Orangensaft, in dem Fruchtfasern schwimmen. Auf dem Nebentisch ein Mann mit Glatzkopf. Die glatte Haut lässt sie aufzucken. Blinzelt sie mit den Augen. Als ob da was wär. Wieder und wieder. Noch einen Schluck. Das brennt im Rachenraum. Der Saft wird groß und schleimig in ihrem Mund. Sie hat Angst, zu ersticken. Die Helligkeit attackiert ihr Genick.
Er tippt sie von hinten an. Sie dreht sich um. Sein Gesicht ist Sonnenbrand und rau. Einzelne Bartstoppeln stechen aus den Wangenbergen. Er berührt ihre Hände. Leicht. Ihr Mund fühlt sich dabei an wie ein Schnabel. Die Kellnerin wackelt vorbei. Bestellt er einen Espresso. Leitungswasser. Lehnt sich zurück. Den Kopf nach unten geneigt. Die Haut unterm Kinn lappt ihm über den Kehlkopf. Ein Nougatfarbener Kropf, denkt sie. Draußen Techno- Beats. Es bauscht den Vorhang auf, der das offene Fenster neben ihnen verhängt.
Die Bewegung hat was Verwaschenes. Verwackeltes. Sagt sie.
Was.
Die Bewegung des Vorhanges.
Er versteht nicht.
Sie sitzt und schaut. Licht im Nacken. Wind im Nacken. An den Schulterblättern. Der linke Arm zittert ihr ein bisschen. Sie beugt den Körper nach Vorne und legt die Handflächen auf den Bauch. Will damit die Nervosität abfangen. Versucht so, sich im Inneren zusammen zu halten. Schweiß an den Handtellern. Er sieht sie nicht an. Schluckt.
Sätze sind zwischen ihnen. Später. Will er den Ring an ihrer linken Hand ertasten. Fingerkuppe trifft Handrückenhaut.
Was ist das.
Filz, sagt sie. Sagt: Ich hätte auch blau sagen können.
Schön.
Finde ich auch.
Und was wollen sie.
Ich hab sie vermisst.
Dafür werden sie nicht bezahlt.
Ihre Blicke weichen einander aus. Irgendwas steckt ihr im Hals. Er schluckt laut. Kneift die Augen langsam zusammen. Ihr Blick ist behaglich, sagt sie. Und: Kater. Dann weiß sie nicht weiter. Trinkt und trinkt. Spreizt dabei den Ring- und Zeigefinger der linken Hand komisch in die Luft. Er schüttet Kaffee in sich hinein. Rollt mit den Augen.
Seine Oberarme sind breit. Die Muskeln wie große Hühnerkeulen, denkt sie. Das Licht wandert. Sie sind still.
Plötzlich greift er sich an das brünette Kopfhaar.
Was.
Mein Geld liegt zu Hause.
Er beugt sich leicht Vornüber. Die Stirne hat er in seiner Handfläche abgelegt. Schluckt wieder. Starrt auf die Tischplatte.
Ich lade sie ein.
Sicher.
Ja.
Ich kanns ihnen zurückgeben. Abends. Wenn wir einander abends wiedersehen wollen.
Nein.
Ist das nicht korrekt.
Nehmen sie die Einladung an, Herr Psychotherapeut.
Ein Lächeln flackert kurz auf in seinem Gesicht.
Sie schweigen.
Zuerst war Schilf. Peitschende Bewegung. Irgendwas röhrt. Schilf. Sticht in den stahlblauen Himmel. Ritzt Schnitte in die Fussohlen. Krusten die Kerben zu. Immer wieder. Sommerlang. Das Kind tastet mit den Fingern nach den verklebten Wunden. Kletzelt die Hautplättchen herunter.
Schilf. Yellow is the colour of my true loves hair, singt der Vater. Es bricht die gertenschlanken Halme ab. Ein Knacken. Der Himmel ist kalt. Als hätte ihn wer hingemalt, denkt das Kind. Einheitsblau. Der Sommer schmeckt nach Staubpartikel in Bröckchen schlucken. Wie die Halme aneinander rasseln. Ein Wind kommt auf, dass dem Kind die Haare an die Lippen dreschen und in den Mundecken kleben bleiben. Der Vater tritt das Schilf zu Boden. Es richtet sich wieder auf, ein Stück weit. Die Sonne drückt dem Kind gegen die Lider. Irgendwo schreckt ein Fasan auf. Fetzen in der Luft. Luftfigur, denkt das Kind.
Oder auch: Das Gartenhäuschen der Großmutter. Zusammengestückelt aus Halmen. Das Kind hockt auf dem aufklappbaren Sessel und zupft am Schilf rum. Löst einzelne semmelblonde Stäbe aus den Wänden des Hauses. Wie oft kann man die brechen. Wie schmecken die Sommer. Heiser sind die Sommer. Sie knacken, denkt das Kind.
Einmal kommt einer, der sagt er wär der Großvater.
Du machst das kaputt sagt er, sein Mund ist eine breite doppellippige Öffnung, rau und angeschwollen.
Das Haus gehört nicht dir, antwortet das Kind.
Alles, was deiner Großmutter gehört, gehört auch mir.
Das Kind schluckt und ruckelt rum. Springt dann von der Bank und auf die festen rosigen Füße. Die Sohlen im Gras umherschleifen. Keinen Blick mehr ins Gesicht des Großvaters werfen. Seine klaffenden Falten in den Stirnhöhlen, um Augen und Mund. Die Bewegung des Lippenleckens und wie er die Zunge nach außen baumeln lässt. Die Augen des Großvaters sind winzig und verkniffen. Sind Punkte in der Mitte tiefer Furchen, die er in nervösen Bewegungen auf und zu drückt.
Schilf. In den Rock der Mutter schlüpfen, der sich in der Drehbewegung entfaltet wie eine Blüte. Hinter dem Rücken des Kindes rasen Blitze. Durchzuckt ein Gewitter in Leuchtadern den Himmel. Die Freundin knipst das Kind. Es streckst die Arme in die Höhe, legt den Kopf in die Schräge. Haar in der Luft. Irgendwann klebt das Foto in seinem Album.
Das Kind. Das Kind und die Kerbtiere. Das Kind krebst hinterm Haus rum. Ist das ein wuchender Garten. Schilf. Torfiger Boden. Das Kind reißt Mohnblumen aus und zerfetzt sie mit den Händen. Es hat ein leeres Honigglas ausgewaschen, mit dem streift es durchs kniehohe, dürre Gras. Geht auf die Suche. Atmet schnell dabei. Japst hin und wieder. Die hellen Haare des Kindes werden von einem Haarreifen gehalten. Eine Locke lappt dem Kind ins Gesicht. Manchmal nimmt das Kind den Harreifen ab, beißt an seinen Rändern. Schiebt ihn dann wieder an die Stirne. Lässt die scharfen Zacken zwischen die Strähnen fahren. Wie das auf die Kopfhaut des Kindes drückt. Ein Kratzen in der Schädelgegend.
Das Kind sucht im Gestrüpp nach den Gliederfüßern. Da sitzt eine Heuschrecke auf einem der dottergelben Glöckchen der Königskerze. Das Kind öffnet langsam den Deckel des Honigglases. Lässt es unter die Blüte der Pflanze gleiten. Zwickt dann schnell das gelbe Glöcken ab, mit dem Rand des Deckels. Die Blüte mitsamt der Heuschrecke fällt in das Glas. Schnell: Deckel aufs Glas. Zuschrauben.
Die Fühler der Heuschrecke zucken. Das Kind setzt sich auf die ziegelsteinerne Treppe hinterm Haustor. Streckt die knubbeligen, braungebrannten Beine aus. Das Glas fest in den Händen. Presst es immer wieder an seinen Bauch. Die Sonne sticht dem Kind ins Gesicht, in den Nacken. Sticht die fleischigen Schultern. Es blinzelt. Schluckt sich den Mund trocken. Namen schießen dem Kind ins Hirn. Hat es die in seinen Büchern angestrichen.
Das Kind presst die Nase ans Glas. Beobachtet den Sechsfüßer. Die Pupillen sausen dem Kind schnell hin und her. Es betrachtet zuerst Kopf, dann Thorax und Hinterleib des Tieres. Das Tier zuckt mit den Fühlern, den Füßchen, drei zu jeder Seite. Zackig irgendwie, diese Beinchen, denkt das Kind. Zählt die Segmente des Chitinpanzers. Schluckt wieder. Kopf in den Nacken legen. Die Hitze drückt. Dann kramt das Kind in der Hosentasche. Findet die Pinzette. Spreizt sie auf mit der rechten Hand. Zitternde Finger. Schweiß unter den Achseln. Das Kind lutscht im Mund rum mit der Zunge. Zieht ein bisschen Rotz auf und öffnet dann langsam den Deckel. Schiebt seine zitternde Hand in das Honigglas. Und wieder: Die Pinzette aufspreizen. Das Kind lässt die zwei Metallteile an eines der Beinchen der Heuschrecke wandern. Zwickt dann zu. Reißt das Bein aus, das dünne abgeknickte Spießchen. Dann das nächste. Schnell. Und weiter. Das Kind keucht. Und weiter. Mit offenem Mund, lascher Zunge.
Später: Die Segmente. Das Kind zählt die grünen Platten des Insekts. Plättchen an Rücken, Bauch, an den Flanken. Rupft dann die Bauchplatte aus. Sind da Häutchen zwischendrin, dehnbar. Intersegmentalhäute, sagt das Kind. Da zuckt ihm was zwischen den Beinen. Es tastet sich behutsam voran. Lüpft die Hose. Lässt die Hand die beiden Lappen zerteilen. In der Mitte ein bewegliches Häutchen. Das Kind kletzelt rum. Langsam. Den Mund immer noch offen. Bewegt es die schwitzigen schweißigen Hände an der Scheide. Wetzt. Wetzt schneller. Wird das mehr. Wird heller. Das Kind atmet höher. Es atmet breit. Im Mund sammelt sich Schleim. Es wirft den Kopf in den Nacken, hebt die Beine in die Höhe. Tupft auf den Punkt, der gut tut. Mit der Fingerkuppe. Sanft und immer wieder. Geht das noch weiter. Weiter. Geht nicht mehr weiter jetzt, denkt das Kind. Kann aber nicht aufhören. Kann nur schlucken. Ribbelt rum. Hebt die Beinchen wieder in die Höhe. Ob das aufhört. Nein. Jetzt nicht. Jetzt: Ja. Nein. Ja. Weiter. Geht das noch weiter. Weiterweiter. Bis es das Kind durchzuckt. Es ruckt. Die Füße, die in Snoopy- Schlapfen stecken, schnellen zurück auf den Boden. Dem Kind bebts zwischen den Beinen. Dreht sich. Hell. Das Kind kann nicht mehr schlucken.
Das Kind zieht die Hand aus der Hose.
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Sophie Reyer ( Bio – Bibliographie )
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