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ALEXANDER KLUGE : CHRONIK DER KATASTROPHEN

NZZ , 3. 8. 2012

czz audio aktuell blackczz – Kaum ein Naturereignis hat Europa so bewegt wie das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, welches, gefolgt von einer immensen Flutwelle, die einstmals “prächtige Residenz” (Goethe) in Trümmer legte. Was den christlichen Glauben an die Güte Gottes erschütterte und die Ratio der Aufklärung durchkreuzte, war die plötzliche Zerstörung menschlichen Kulturwerks durch “die Natur”. Heute mag “Lissabon”, was das Beben und den Tsunami anbelangt, als Präfiguration der Tragödie von Fukushima erscheinen, mit dem Unterschied freilich, dass hier über die Vernichtung von Siedlungen und Infrastrukturen hinaus die verletzliche Technik des Atomkraftwerks aus dem Lot geriet.

Mit der Textcollage “Die Pranke der Natur (und wir Menschen) – Das Erdbeben von Japan, das die Welt bewegte, und das Zeichen von Tschernobyl” geht Alexander Kluge solchen Katastrophen nach sowie unserem Scheitern bei deren pragmatischer und mentaler Bewältigung. Der GAU von Tschernobyl erscheint als Menetekel für die Verwundbarkeit der auf Nutzung von Naturkräften beruhenden Technik. Dabei klingt das Motiv der Hybris ebenso an wie das Bild des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht zu bändigen vermag. Mit Beispielen aus Geschichte und Gegenwart, Mythologie und Wissenschaft entfaltet Kluge ein weites Spektrum von Assoziationen und Analogien.

Regisseur Karl Bruckmaier, der bereits 2009 Kluges “Chronik der Gefühle ” als Hörspiel inszeniert hat, übersetzt Kluges exemplarische Erzählungen mit mannigfaltigen Mitteln ins Auditive. Neben dem von souveränen Stimmen gesprochenen Wort erklingen genuin akustische Atmosphären. Sei dies der Sound des Zappens durch die Kanäle, wo Nachrichten über Fukushima in babylonischer Sprachverwirrung verlauten, seien dies die apart abstrakten Elektronikkompositionen der japanischen Musikerin Ikue Mori oder die spröden Lieder der als “Gustav” bekannten Eva Jantschitsch: Die höchst eigenständigen Klänge öffnen der Imagination neue Räume, deren Wirkung die Summe der collagierten Teile bei weitem übersteigt. ( > page )

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HANS FALLADA , F. SCOTT FITZGERALD : KRISENROMANE

czz audio aktuell whiteczz – Durch welche menschlichen Niederungen muss hindurch, wer “nach oben” zu kommen bzw. dort zu bleiben trachtet? Zwei Romane, die in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts spielen, fassen die Figur des Emporkömmlings bzw. die Sorgen der “Schönen und Verdammten” aus deren verschiedenen Blickwinkeln trefflich zusammen: Bebildert Hans Fallada in seinem postum erschienenen Roman “Ein Mann will nach oben” (1953) die sich über alle Bindungen hinwegsetzende Skrupellosigkeit, mit welcher ein ehrgeiziger Provinzler “Berlin zu erobern” sucht, so schildert F. Scott Fitzgerald anhand eines (autobiografisch inspirierten) Paars den demonstrativen Prestigekonsum des Geldadels oder jener “feinen Leute”, die der Soziologe Thorstein Veblen als “leisure class” ausgewiesen hat.

Vertrauen Anthony Patch und seine Frau Gloria auf eine Erbschaft in zweistelliger Millionenhöhe, um ihr mondänes Partyleben zu finanzieren, stellt sich heraus, dass der moralinsaure Grossvater seinen Enkel schlankweg enterbt hat. Anthony und Gloria sind unfähig, ihre finanziell prekäre Situation einzusehen und ihren bisherigen Lebensstil aufzugeben. Als letztlich die langwierige Anfechtung des Testaments vor Gericht glückt, sind die ökonomisch geretteten Protagonisten nur mehr Ruinen ihrer selbst.

Gert Heidenreich interpretiert F. Scott Fitzgeralds zweiten Roman in dem vom Autor eingeschriebenen Changieren zwischen ironischer Distanzierung und der quälenden Katalogisierung von Demütigungen. Mit ähnlichem Nachdruck erweckt der Schauspieler Ulrich Noethen Hans Falladas holzschnittartige Figuren zum Leben, so dass der Titelheld trotz aller Gewinne als Verlierer dasteht: Krisenliteratur par excellence. ( > page )

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