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Ror Wolf : Frischer Horror

NZZ , 2. 11. 2012

czz audio aktuell blackczz – Surreal, bizarr, grotesk: Es ist ganz gleich, nach welchem Epitheton man hascht, um Ror Wolfs Bildwelten und Weltbilder zu fassen. Mit «Die Vorzüge der Dunkelheit. Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen» hat der künstlerische Universalist sich selbst ein glänzendes Präsent zum 80. Geburtstag geschenkt und seinen Adoranten einen weiteren Grund, diesem Jongleur narrativer Genres auf dessen eigenwillige Expeditionen zu folgen.

Bekannt vor allem durch seine Klang-Collagen aus radiofonen Materialien rund um den Fussball, wendet Wolf die Methode des Cut-up vorgefundener Materialien seit den achtziger Jahren auch im Hinblick auf bildnerische Arbeiten an. Das Pseudonym Raoul Tranchirer ist Programm: Seine mitunter an Max Ernst erinnernden Assemblagen evozieren die Welt der Gentleman-Abenteurer à la Jules Verne.

Ausdrücklich als «Horrorroman» ausgewiesen (dem nicht zufällig der Name «Ror» eingeschrieben ist), spielt «Die Vorzüge der Dunkelheit» ganz bewusst mit trivialliterarischen Mustern, während sein chronisch ebenso wie chronologisch unzuverlässiger Erzähler durch einen ortlos chaotischen Kosmos stolpert. Wo nichts mehr unwahrscheinlich ist und das Absurde als selbstverständlich in Erscheinung tritt, öffnet sich der für Ror Wolf charakteristische Raum des Erzählens als Vorgang ständiger Metamorphose.

Die ebenso liebevolle wie stilsichere Lesart des hörbar wahlverwandten Christian Brückner bringt Ror Wolfs phantasmagorische Prosa auf einen wohltemperierten Punkt zwischen Ironie und Lakonik. ( >>> page )

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James Baldwin : Der Fremde im Dorf

NZZ, 2. 11. 2012

czz audio aktuell whiteczz – Schwer zu sagen, wessen Befremdung die grössere war: die der Bürger von Leukerbad, welche in der vortouristischen Abgeschiedenheit des Winters 1951 zum ersten Mal einem dunkelhäutigen Menschen begegneten, oder diejenige James Baldwins (1924–1987), der aus New York über Paris kommend noch nie eine ethnisch nicht durchmischte Gesellschaft erlebt hatte.

Obwohl man während mehrerer Schreibaufenthalte des wohl bedeutendsten afroamerikanischen Autors im Dorf respektvoll miteinander umging, blieb Baldwin, wie ein 1955 publizierter autobiografischer Essay titelte, «Der Fremde im Dorf». Und es dürfte genau diese «sichtbare» Fremdheit gewesen sein, die (eingebettet in ein Aggregat aus Neugier und Distanz) James Baldwin eher zu ertragen vermochte als die in den USA gesellschaftlich tief wurzelnde Segregation, gegen welche er an der Seite Martin Luther Kings kämpfte.

Im Rückgriff auf Baldwins Text haben sich der aus der Spoken-Word-Szene stammende Michael Stauffer und der aus Leuk gebürtige Rolf Hermann auf Spurensuche begeben, mit Baldwins einstigen Freunden gesprochen und sind mit höchst hörenswerten französischen und walliserdeutschen Materialien zurückgekehrt. Zusammen mit überlieferten amerikanischen «Originaltönen» James Baldwins entsteht ein ebenso reizvolles wie reiches Mosaik der Sprachen, die sämtlich diskret von Synchronsprechern sekundiert werden. Über alle Sprachgrenzen hinweg erklingt die Stimme der Sympathie, welche die Frage des Fremdseins zwar erörtert, dabei jedoch das Verbindende über das Trennende stellt.  ( >>> page )

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The Joyce-Choice

NZZ , 2. 11. 2012

czz audio aktuell blackczz – Kein halbes Jahr nach dem «Bloomsday», jenem von Joyceanern international gefeierten 16. Juni, an welchem der «Ulysses» in Dublin spielt, liegen nun sämtliche Audio-Ausgaben vor, die von Radiosendern und Hörbuch-Produzenten anlässlich des 130. Geburtstages des Autors angekündigt worden waren.

Am spektakulärsten kommt die von Klaus Buhlert für den SWR eingerichtete Hörspielfassung des «Ulysses» daher, welche am «Bloomsday» praktisch in Echtzeit (knapp 22 Stunden nonstop) ausgestrahlt worden ist: ein veritabler Scoop, zumal «Ulysses» siebzig Jahre nach dem Tod des Autors dieses Jahr erstmals frei von Urheberrechtspflichten ist. Was im Medium der Radiofonie flüchtig war und als unumkehrbare Ursendung einzig, verwandelt sich in der praktikablen Handhabbarkeit von CD in einen Klangkontinent, auf welchem jeder Hörer sich spielerisch seine Routen suchen darf und kann. Effektvoll durchwirkt der Komponist und Regisseur Klaus Buhlert diesen Textkosmos mit kammermusikalischen Leitmotiven, wodurch die einzelnen Kapitel des «Ulysses» eine je individuelle Signatur erhalten: Hier zeigt die Inszenierung Mut, nicht nur der Sprache, sondern auch den nonverbalen Klanglichkeiten Raum zu geben.

Der Bayerische Rundfunk ging einen dem SWR ähnlichen Weg, indem man die Prosa der fünfzehn Einzelstorys der «Dubliner» in ein Rollenspiel für mehrere Stimmen übertrug, wobei die Dramatisierung den Porträts und Szenen eine sonst eher versteckte Dynamik gewährt. So dicht und so präsent vernimmt man Joyce selten.

Dank der eben im Kilchberger Sinus-Verlag publizierten Prosa-Einspielung der «Dubliner» – in der rezenten Übertragung von Harald Beck und mit handverlesenen Sprechern wie Ulrich Matthes, Christian Brückner oder Dagmar Menzel – liegen reizvolle Vergleiche der alternativen Übersetzungen nahe. Alle drei Titel glänzen in ungewöhnlich bibliophiler Ausstattung, mit erhellenden Booklet-Texten und historischen Dublin-Karten. Einander ergänzend stiften die Audio-Editionen einen sinnlichen und differenzierten Klangraum, welchen zu durchmessen und auszukosten kein Privileg der Joyce-Experten mehr ist.  ( >>> page )

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