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herbert j. wimmer © : foto und titelmotiv ( click to XL )
Salon Littéraire | herbert j. wimmer :
membran . roman . gespräch .
Verleger Dieter Bandhauer und Autor herbert j. wimmer¹
d.b.: für deinen neuen roman hast du den titel MEMBRAN gewählt, der anders als frühere deiner titel (wie zeitpfeil oder offenes schloss) auch wie eine gattungsbezeichnung, also wie ein untertitel anmutet. kannst du meiner vermutung bzw. behauptung etwas abgewinnen?
h.j.w.: MEMBRAN ist schon ein titel (und als solcher auch eine gattungsbezeichnung). in erster linie hat membran von anfang an als passwort funktioniert, als zugangscode zu einem bildervorrat, der mit durchlässigkeit, weitergabe, schwingungsverhalten etc., all diesen biologischen, physikalischen, psychologischen, kunst- und lebenspraktischen wie erzählformativen metaphern und metonymien zu tun hat.
von hier nach da und zurück fliessen die inhalte, ordnungen, schwingen die begriffe, in den einzelnen texten, zwischen den textkonvoluten. biografisches und autobiografisches lagert sich ein in fiktionales, adressen haben ihre spezifische gravitation, ihre spezifische erzählung, auch ihre ganz eigenen erzählweisen: der autor arbeitet sich durch während er von der gegenwart seines entstehenden textes durchgearbeitet wird. [ ... ]
d.b.: das wort MEMBRAN kommt in deinem text mehrmals vor, in unterschiedlichen zusammenhängen, aber dieser satz scheint mir zentral zu sein: “die membran produziert text, membran ist text, membran ist gegenwart, gegenwart von text, text als gegenwart, die vergangenheit produziert (in der immer neuen wiederkehr des immer neuen).” ist TEXT für dich ein medium des gegenwärtigen, der vielleicht vergangenes aufzeichnet, festhält, aber bei der lektüre geradezu zwingend gegenwärtig ist bzw. bleibt?
h.j.w.: gegenwart ist immer – kunst, und die kunst der gegenwart ist die autobiografie als kunst: die auto-ikonografie, die biografische (selbst-)installation bzw. selbst-aufstellung, der konzeptionalismus der “art of states”, der als roman perennierend gegenwart herstellt, in erinnerung hält. “art of states” verstehe ich allgemein als “kunst der zustände”, spezifischer als “kunst der bewusstseinszustände” – und diese kunst ist “state of art”, also auf der höhe der zeit, was ja in keiner gegenwart schaden kann, wenn mans ist. die gegenwart voller erinnerungen ist (eine) membran, die erinnerungen voller gegenwart sind (eine) membran. [ ... ]
d.b.: du sagst “gegenwart ist immer” und nach einem gedankenstrich fügst du das wort “kunst” an. ich verstehe diesen satz als doppelsatz: gegenwart ist immer und gegenwart ist immer kunst. jetzt kann man aber auch sagen, der mensch ist nicht gegenwartsfähig, sondern lebt in der vergangenheit und in der zukunft, aber nie jetzt. kann man kunst als sehnsucht verstehen, die zeit anzuhalten, aus zeit, wenn schon nicht raum, so zumindest eine textfläche zu machen, einen text also, der keiner chronologie mehr unterworfen ist? [ ... ]
h.j.w.: das ist nicht mein denken. der mensch (wenn wir schon so allgemein werden) ist für alles und zu allem fähig – und mehr als gegenwart haben wir nicht.
es geht nicht darum, die zeit anzuhalten, sondern den augenblick in all seiner komplexität zu erfassen, dabei/dafür ist jede art von kunst ein guter weg, ein gutes mittel, eine gute methode (aber nicht die einzige, siehe wissenschaft, meditation etc.).
lässt man sich ein auf die erfahrung und wiedergabe der komplexität des augenblicks, so kann das schon ein ganzes leben anhalten; nur die zeit hält dabei nicht an – und ich habe auch keine sehnsucht danach, die zeit (in oder durch meine arbeit) anzuhalten (damit möchte ich keine zeit verlieren). [ ... ] im übrigen versuche ich mich weiterhin an heinz von försters einsicht zu halten: man steigt nicht einmal einmal in denselben fluss (d.h. man sieht und erlebt nie dasselbe) – und an seine maxime: handle (schreibe, produziere) stets so, dass die anzahl der möglichkeiten wächst.
d.b.: dein buch ist streng aufgebaut: 25 als “KONVOLUTE” bezeichnete kapitel, nach dem lateinischen alphabet von A bis Z geordnet, aber ohne E; jedes konvolut ist in 25 von 01 bis 25 durchnummerierte, unterschiedlich lange, meist aber kürzer gehaltene abschnitte gegliedert; jedes konvolut enthält gewissermaßen an der schnittstelle, z.b. das F-konvolut an 5. oder das M-konvolut an 12. stelle, ein zitat von elfriede gerstl. der letzte satz von MEMBRAN ist also notwendigerweise von gerstl: “reflexion kennt kein pardon”. ist diese form der erinnerungsarbeit [ ... ] während des schreibens am text entstanden oder war sie sogar der ausgangspunkt für dieses projekt? und: warum hast du das E und nicht einen anderen buchstaben ausgespart?
h.j.w.: der ausgangspunkt für MEMBRAN lag im jahr 2002, in der zeit des abschliessens von zeitpfeil, roman. ein zeitlang wollte ich ein parallel geführtes schreibprojekt betreiben: einerseits eine folge kurzer sogenannter “drehtexte” (daraus ist dann das kühlzack & flexer-aggregat entstanden) und einen neuen roman, für den ich den arbeitstitel MEMBRAN bereits hatte. nun bin ich bald draufgekommen, dass ich mich für ein projekt entscheiden musste, beides gleichzeitig konnte ich nicht schreiben, das hätte sich zu stark behindert. [ ... ] von anfang an sollte bildende kunst, installationsformen, concept-artiges ein schwerpunkt von MEMBRAN sein, einiges dazu hatte ich bereits 2004 – 2006 geschrieben, noch ohne zu wissen, in welcher form und abfolge diese kapitel in die endfassung integriert werden.
gegen ende 2011 tauchte die vorstellung eines magischen quadrats aus 25 mal 25 teilen auf, das ergab eine gesamtzahl von 625. noch immer aber wusste ich nicht, wie ich elfriede in dieses buch hineinnehmen sollte – als zitate ihrer sätze, das war mir schon klar, aber die anordnung musste eine eigene erzählung ergeben.
25 : 25 – magisches quadrat
elfriede geht nun durch mein buch hindurch (ein gedanke, den sie immer charmant gefunden hatte [ ... ]: stellt man sich den roman einfach als räumliche installation aus 625 quadratisch angeordneten texten vor, bewegt sich elfriede diagonal mit ihren texten durch meinen text, das buch beginnt mit ihr und endet mit ihr, sie ist also wie eine redewendung (sagt) durchgehend präsent.
gleichsam als sprachdenkmal einer lücke für die lücke, die ihr tod in meinem leben hinterlassen hat, habe ich mich entschlossen, die 25 kapitel (= konvolute) mit den buchstaben des alfabets zu benennen – um den buchstaben e (= elfriede) wegzulassen zu können; so ist elfriede auf vielfache weise im text als text und erinnerung anwesend. abgesehen davon will ich nicht ausschliessen, dass auch referenzlichkeiten zu george perecs e-vermeidung in seinem la disparition / anton voyls fortgang erscheinen können.
“konvolute” heissen die kapitel deshalb, weil sie bündeln, was an schriftstücken, erzählungen, deskriptionen zu einzelnen themen bzw. gravitationsfeldern zu schreiben war: anna oppermanns sprach-räumliche historisations-installationen etwa, die biennale von venedig, franz ringels “sprachspieler”-porträt, traum-erzählungen oder eben trauerarbeit, erinnerungs-wuste und zitat-komplexe. [ ... ]
d.b.: [ ... ] fordert ein text, der aus vielen texten besteht und einem magischen-quadrat-konstruktionsplan folgt, auch ein avanciertes rezeptionsverhalten? wie aber liest man einen text nicht-chronologisch und überlässt den lesevorgang trotzdem nicht dem zufall? gibt es von dir eine vorstellung oder eine empfehlung, wie ein leser, eine leserin MEMBRAN lesen soll, kann …?
h.j.w.: den zufall der rezeption kann ja wohl keine konstruktion und auch keine erzählform ausschliessen. jeder leser / jede leserin macht mit meinem buch, was er oder sie will und wozu er oder sie imstande ist. wenn im vorgang des lesens von MEMBRAN positive zustände sich einstellen (erheiterung, offenheit, sprachvergnügen, nachdenklichkeit etc.), dann bin ich sehr damit einverstanden. abgesehen davon liest und schaut jeder nach seinen lese- und sehgewohnheiten. die ideale leserin / der ideale leser von MEMBRAN lässt sich auf das buch ein, liest es mal von vorn bis hinten durch und geniesst die erfahrung von differenz und kontinuität, von schnitten und von überraschenden zusammenhängen, von zeitbrüchen und zeitschleifen, vom ineinandergreifen und auseinanderdriften unterschiedlicher erzählmuster und bewusstseinszustände; er oder sie lässt zu, dass sich in seinem oder ihrem bewusstsein die ganze durchlässigkeit dieses augenblicks eines membran-bewusstseins sprachmaterialisiert. [...]
¹ – herbert j. wimmer : membran . roman . wien , sonderzahl 2013 , S. 219 – 230
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Hinweis :
herbert j. wimmer liest aus “membran . roman“ , Elisabeth von Samsonow führt ein und ein Gespräch mit dem Autor – Literarisches Quartier Alte Schmiede , 1010 Wien – Mittwoch , 24. 4. 2013 , 19 H
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herbert j. wimmer ( Bio – Bibliographie )
Bisher auf in|ad|ae|qu|at ( u. a. ) :
- mittelkärtchen [ TEXTANSICHTSKARTEN ( 7 ) ]
- TEXTANSICHTSKARTEN ( 8 )
- immer ein anfang – in memoriam wendelin schmidt-dengler ( 12. 9. 2008 )
- SWITCHEN IM TEXTKONTINUUM – erinnerungsskizzen zu lieblingsbüchern : JELINEK – ABISH | LAEDERACH – RÜHM ( 2008 )
- KÜHLZACK & FLEXER – Im Schwellenwirtshaus
- DAS KRAFTWERK DER KÜNSTE : GERHARD RÜHM - zu : GERHARD RÜHM – GESAMMELTE WERKE , parthas verlag , berlin
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- Tableau de Texte | Franz Schuh über herbert j. wimmer : Grüner Anker . 99 Gedichte
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