ARCHÄOLOGIE DER FUND- SACHEN
Packen wirs an : Es gibt viel zu tun . Zum Beispiel , mit einer systematischen Sichtung der Schachtelwirtschaft zu beginnen : in archivalischer Raffgier hat in|ad|ae|qu|at ganze Corpora von mehr oder minder pittoresken Alltagsspuren angehäuft : Da sind Zufallsfunde wie die Sammlung von Retro- Zündholzbriefchen , die bereits mehrfach kleine Blogstories angeregt haben ( Problem ist , dass wir die betreffende Schachtel derzeit nicht finden ) . Oder das etwa 200 Stück umfassende Postkartenkonvolut , Berge & Städte +- 1920 : ein grosser Plasticsack “Treibgut” aus einer Wiener Altgammelwohnung .
Eine Kiste mit Film- und Fernseh- Stills – Doubletten und Ausschuss eines privaten Filmarchivs und natürlich die Schachtel mit den über Jahre hinweg auf Flohmärkten gesammelten Vintage- Fotografien von Familien und Portraits . Sie ersetzen auf ihre Weise all jene privaten Bilder , welche wir sämtlich entsorgt haben : familiale Erinnerungen , die mit uns aussterben mögen .
Eben sind wir über eine Schachtel gestolpert , welche diverse Schnappschüsse seit 1999 enthält : sie wurden sämtlich mit jener Pseudo- Panorama- Kamera gemacht , deren Abzüge nur einen Streifen eines an und für sich normalen Negativs belichteten , so dass die überbreiten Bilder genau so aussahen wie die beschnittenen Feuilleton- Header der ZEIT . Rund drei Kilogramm äusserst rudimentär beschrifteter – oft aus dem literarischen Leben gegriffener – Szenen .
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ACHERONTAM …
Die Welt der Hinterhäuser ist eine tendenziell introvertierte , dem grell Srassenseitigen fern und nicht selten Residuum für Künstler , die hier erschwingliche Bedingungen hinsichtlich Raum und Stille finden . Um ins solcherart Hinterhäusliche zu gelangen , ist zunächst das Vorderhaus zu durch- und weiters ein mehr oder weniger begrünter oder mit Colonia- Kübeln verstellter Hof zu überqueren .
Ein eher unübliches , vom Ansehen her nobles , in seiner Verdichtung von bewirtschaftbarem Wohnraum allerdings ultrakapitalistisches Zinshaus gibt es an der Josefstädter Strasse im achten Wiener Gemeindebezirk . Hier wurden Ende des 19. jahrhundert die Zugänge zu Vorder- und Hinterhaus entlang einer langen Einfahrt plaziert , welche so weit in die Tiefe führt , dass sich die Anschaffung eines kleinen Rollers zur mehrfach täglichen Übewindung der Langstrecke zum Hinterhaus lohnen würde.
Und obwohl der lange Gang mit Putti und anderen Stuck- Ornamenten aus dem Katalog vielleicht nicht gerade geschmückt , so doch strukturiert wird , stellt sich beim Blick längs dieses – immer leeren – gemauerten Weges eine Art Nahtoderlebnis sein . So ungefähr muss es aussehen , wenn das Leben sich zu einem Tunnell zusammenzieht und keinerlei Ausflüchte mehr nach rechts oder links gestattet . Acheron , Styx oder Lethe müssten an dessen unabsehbarem Ende liegen .
Nur Charon , jener Portier , welcher die Überfahrt über den Totenfluss regelt , ist fort . Man hätte ihm nur allzu gerne ein Sperr- Sechserl in die Hand gedrückt , auf dass er uns ein Türchen zurück ins Leben öffne , aber er ist fort , und nicht nur dieser Portier .
Verschwunden sind auch die von Heimito von Doderer so leidenschaftlich gehassten Hausmeisterinnen . Und es besteht kein Zweifel , dass Doderers “troglodytisches Knollengewächs, das aus der Hüfte hinkte”* als Mythenwesen dem Charon anverwandt ist . Und auch dem Kerberus , dessen Gekläff in diesem weiss getünchten Tunnel schon lange , sehr lange verhallt sein muss .
( * frei zitiert )
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