WAGNER , KOMMENTIERT : PETER WAPNEWSKI ZUM “TRISTAN” | WAGNER, KOMMENTIERT: LORIOT ZUM “RING” | KAMINSKIS “RING”: COMIC UND SAUSE
WAGNER , KOMMENTIERT : PETER WAPNEWSKI ZUM “TRISTAN”
In : NZZ , 7. 6. 201
czz – Peter Wapnewski , der im zurückliegenden Dezember im Alter von 90 Jahren verstorben ist, war einer der prägenden Mediävisten des 20. Jahrhunderts: mit seinen legendären Lesungen mittelalterlicher Epen wie “Parzival” und “Nibelungenlied” führte er die epische Literatur aus dem philologischen Elfenbeinturm heraus und schlug Brücken zwischen Mittelalter und Moderne.
Ein einzigartiges Dokument stellt der “Tristan“-Kommentar dar, den der Gelehrte 2002 für den Sender Freies Berlin (heute rbb) eingespielt hat: Einführungen und Ausführungen zu den historisch-biografischen Hintergründen, zur Werkgeschichte, zu Eigenarten von Text, Instrumentierung und Dramaturgie bis hin zum Nah- und Nachhören einzelner Themen und Motive, allen voran selbstredend der Tristanakkord.
Als musikalisches Exemplum für seinen Kommentar wählte Wapnewski Wilhelm Furtwänglers Einspielung mit dem London Philharmonic Orchestra aus dem Jahr 1952 als “höchsterreichbare Annäherung an einen unerreichbaren Vollkommenheitsgrad”.
Parallel zur “Walküre” und dem “Siegfried” – unter dem unmittelbaren Einfluss einer amour fou zu Mathilde Wesendonck – entstanden, weist Wapnewski dem “Tristan” dramaturgisch, sprachlich und musikalisch eine wesentlich avanciertere Position im Wagnerschen Oeuvre zu als den zeitgleich komponierten Opern. In der Tat dürften auch jazz- gewohnte Ohren von den unerhörten Dynamiken und atonalen Vorwegnahmen sich nicht minder ergriffen fühlen als der Wagnerianer, der die “extatischen Wonneschauer und chromatischen Treibhausdüfte” erkennt und benennt.
Wo der Kommentar sich zur Musik knapp wie 1:3 verhält ist die hohe Kunst zu loben, mit welcher die distinguierte Stimme Wapnewskis im Studio zur Geltung gebracht wird. Trocken und ganz nach vorne gemischt vermag dieser kenntnisreiche – und bei weitem nicht nur kühle – Kommentar, auch hinsichtlich der Klangintensität den Dialog mit der überbordenden Musik aufzunehmen. ( > page )
- Richard Wagner: Tristan und Isolde. In der Einspielung von Wilhelm Furtwängler mit dem London Philharmonic Orchestra, kommentiert von Peter Wapnewski; 6 CD (368 Min.), rbb | Der Hörverlag 2013
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WAGNER, KOMMENTIERT: LORIOT ZUM “RING”
In : NZZ , 7. 6. 201
czz – 1992 uraufgeführt, erfreut sich Vicco von Bülows (alias Loriot, 1923-2011) kommentierende Erzählung der Handlung von Wagners “Ring des Nibelungen” grosser Sympathie: zumal sie in grösstmöglicher Ökonomie die insgesamt 16 Stunden Aufführungsdauer der Tetralogie auf 148 Minuten eindampft.
Der Vorwurf, dass bei einer solchen Komprimierung Wichtiges links liegen bleibt, zielt an dem ebenso humoristischen wie aufklärerischen Projekt weit vorbei, gilt es doch, einige Fingerzeige zur Orientierung in einem mitunter etwas unübersichtlichen Gefüge von Handlungen, Helden und Unholden zu geben.
Loriot präpariert einen gangbaren Weg durch das Unterholz der Leid- und Leitmotive, schiebt allerlei Nebenpersonal mit Grazie vom Set und öffnet den Blick auf das ruppige Rangeln um Rheingold und Zauberring.
Der Natur des Vorhabens entsprechend, fokussieren sich Kommentar und Klangbeispiele auf gesangliche Szenen, während das Orchestrale als wenig handlungstragend ausgeblendet wird.
Mit erstaunlich heller und fast etwas verhaltener Stimme treibt Loriot die Handlung voran und rückt dabei nicht selten manchen Aspekte in Alltagsnähe des 20. Jahrhunderts (Walküren als berittene Eliteeinheit), übersetzt sie in geläufige Jargons (pubertäres Aufbegehren Siegfrieds) und rückt speziell die Götterwelt in bürgerliche Rähmchen (Wotan unter Frickas Pantoffel). Nicht zuletzt wird der wenig erhebende Mutwille der Götter mit der Kaste der “oberen Zehntausend” identifiziert (Walhall als eitler Protzbau).
Womit generell die Männer in den kritischen Fokus geraten: seien es mystische Rituale des “male bonding” (Siegfrieds Blutsbrüderschaft mit Gunther) oder brutale Taktlosigkeiten à la “Gunther, deinem Weib ist übel” (Götterdämmerung). Der Erzähler indes bleibt jeder Moquerie über Wagners stabreimende Text-Kaskaden oder über dessen Ausflüge in die Lautpoesie freundlich fern, wie der Humorist sich überhaupt in keinster Weise auf Kosten Wagners sein Mütchen zu kühlen trachtet. ( > page )
- Richard Wagner: Der Ring. Einspielung von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern 1967ff, begleitend kommentiert von Loriot ; 2 CD (148 Min.), Deutsche Grammophon 2013
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KAMINSKIS “RING”: COMIC UND SAUSE
NZZ , 7. 6. 2013
czz – Ganz schön was los ist in dem “Ring”, den der – meist mit dem Attribut des “Stimmwunders” versehene – Sprecher Stefan Kaminski in seinen Live-Hörspielen anrichtet. Unter Ausnutzung seines stupenden Stimmpotenzials zwischen Bassbösem und schrillem Gewimmer übernimmt der Extremsprecher nicht nur sämtliche Rollen, sondern bietet diese im Rahmen einer wuchtigen Soundshow auch gleich konsekutiv in fliegenden Wechseln dar.
Auf Grundlage des ziemlich frei remixten und um möglichst viele Stabreime erweiterten Textes werden Rollen gross, wo es Vokalpotenzial auszuspielen gilt, während die Gelegenheiten für gemässigtere Klangcharaktere in dieser Darbietung eher schütter gesät sind. Unter dezibeldröhnender Begleitung von Pauken und Bass, Synthi-Crescendi und illustrativem Schlagwerk verwandelt der grölende, gurgelnde, geifernde, gellende Stimmkünstler Wagners Vorlagen in klangfarbenpralle Comics – und dies nicht selten mit anarchischem Witz.
Mögen Richard Wagners unter Umständen wabernde Wortfügungen selbstredend herrliches Material für schurkige Ansagen und grelle Repliken abgeben, wird Wagners Musik ausser in naheliegenden Zitaten (Walkürenritt) praktisch nicht touchiert.
Im Übrigen mixt man die Episoden um die mythische Clique aus Göttern und Helden, Riesen und Zwergen, Hexen und Feen munter zusammen mit Features aus der populären “Fantasy”-Welt.
Wer hier also eine etwaige Karikierung des visionären Klangkünstlers beklagen wollte, sässe partout auf dem falschen Rheindampfer. Ganz im Gegenteil bekräftigen die in ihrer Faktur doch recht übersichtlichen Register von Kaminski & Co. die unerreichbare Genialität des Meisters vom Grünen Hügel. ( > page )
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Stefan Kaminski “on air”: Richard Wagners “Ring des Nibelungen”, 4 CD (307 Min.). GoyaLit 2013
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