||| KRACAUER : KRIEG ALS KRITIK DER KRISE | ERNST JÜNGER : HOCH- UND DEMUT
KRACAUER : KRIEG ALS KRITIK DER KRISE
NZZ , 6. 9. 2013
Christiane Zintzen – Ist das menschliche Subjekt Herr seiner Handlungen oder ist das Individuum nicht vielmehr Objekt von Apparaten, Administrationen, Konstellationen? – Der grosse Soziologe Siegfried Kracauer (1899-1966) hat mit seinem ersten, 1928 bei S. Fischer veröffentlichten Roman “Ginster” ein erstaunliches Buch hinterlassen, welches des Autors Kunst der phänomenologischen Betrachtung in grelle Ästhetik setzt.
Die Physiognomien von Strassen und Topografien erzählen Szenen aus den Leben “kleiner Leute” vom sogenannten “Ausbruch” des Ersten Weltkrieges bis hin in die bleierne Zeit der Weimarer Republik. Ginster, der 25jährige frisch promovierte Architekt, mag zwar Abstand zum Schlachtfeld zu wahren, kommt indes nicht umhin, der Heimatfront mit patriotischen Bauten zu dienen, einer Granatenfabrik, vor allem aber eines Ehrenfriedhofs für Gefallene, die dort dann im Tode schöner wohnen als je in ihrem Leben.
Mit beizendem Blick führt das Set verknappter Wahrnehmungstableaux aus der Sicht Ginsters durch die schrille Lebenswelt von – durchwegs in den Modus des Passiv gedrängten – Marionetten. Fragmentiert bewegen sich ihre Glieder, deren literarischer Auftritt ganz den Darstellungsweisen des Films nachgebildet sind und Détails gegen Totalen schneidet. Grotesk ist der Aufstand der Dingwelt, deren Objekte sich theatralisch in den Vordergrund drängen, während die Mienen der Menschen Buster-Keaton-mässig versteinern.
Sehr sonderbar ist es um die Schwingungsbögen der Sätze bestellt, die sich – teils im Sperrfeuer changierender Perspektiven, teils in längeren Sequenzen – zu laufenden fliegenden Taktwechseln in beunruhigendem Rhythmus ordnen. Die sonor agile Diktion des Burgschauspielers Michael Rotschopf fängt diese ubiquitäre Unruhe in melodischen Modulierungen auf. Man möchte sich für diesen in seiner neu-sachlichen Hochkomik atemberaubenden Antikriegsroman einige Quäntchen seiner Qualitätszeit nehmen. ( page )
- Siegfried Kracauer: Ginster, Lesung Michael Rotschopf , 4 CD (ca. 300 Minuten), HR | Osterwold Audio 2013
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ERNST JÜNGER : HOCH- UND DEMUT
NZZ , 6. 9. 2013
czz – Die Tonspuren, die Ernst Jünger (1895-1998) hinterlassen hat, liegen nun in einer Edition von knapp 200 Minuten O-Ton vor. Das aus dem Nachlass des Dichters, Philosophen und Entomologen geborgene Material umfasst Reden, Gespräche und Lesungen aus den Jahren 1954 bis 1995. Einer Zeit also, in welcher umstrittene Texte wie Jüngers berüchtigte Schilderungen des 1. Weltkriegs “In Stahlgewittern” (1920) längst historisch sind.
Von Interesse sind daher gerade jene Wandlungen, welche der Autor an seinen Thesen zur Technisierung einer “stolzen Titanenwelt” im Laufe der Zeit vollzog. Der affirmative Kult von Härte und Kälte flackert zwar noch in der “Disziplin” des Naturforschers auf, weicht indes schliesslich dem Plädoyer für ein demütiges Studium der Phänomene. Während Jünger in seiner Rede “Forscher und Liebhaber” die Leidenschaft für die Insektenkunde darlegt, zollt er in einem Auszug der “Subtilen Jagden” 1967 den Forschern Jean-Henri-Fabre und Vladimir Nabokov Reverenz.
Das Werk Alfred Kubins, mit welchem Jünger ein reger Austausch verband, galt ihm als vollendete Blosslegung der “Morbidezza der Dinge”. Wie der Autor zeit seines Lebens das Künstler und Kunstwerk in emphatischen Auffassung verstanden wissen wollte, expliziert seine Rede zum Goethepreis 1982. Wobei die über Jahrzehnte hinweg unvermindert klare Diktion zu bestaunen ist. Als hätte es noch eines Beweises für die surrealen Momente in Jüngers Werk bedurft, führt ein Zwei-Minuten-Schnipsel aus dem Jahr 1995 eine jokose kleine Szene vor, in welcher der 89Jährige Entdecker des LSD, Albert Hofmann, und der 100jährige Ernst Jünger sich über die gemeinsamen Drogenexperimente Anfang der 50er Jahre mokieren. ( page )
- Ernst Jünger: Mein Gegner ist die Sprache. Originaltonaufnahmen 1954-1995 , hg. von Robert Eikmeyer u. Thomas Knoefel, 3 CD (195 Min.), Brigade Commerz 2013
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…. das menschliche Subjekt …. ist grundsätzlich geprägt durch seinen stoffwechsel . da gibt es mannigfaltige ausreden – früher wie heute und morgen – , allerdings ist die ausrede von Apparaten, Administrationen, Konstellationen pseudo .philosophisch , vielleicht auch provokant zu nennen . jedem wesen , erst recht dem sogenannten höher begabten hominiden , liegt es in der eigenen verantwortung , diesen stoffwechsel zu koordinieren & wohl zu gestalten . alle anderen ausreden sind eben ausreden , ob philosophisch gehübscht , literarisch gequält etc etc . heute , also ich spreche über das kultursubstrat nach meer als 2.000 jahren jüdisch .christlichen allmachtstrebens , ist die fragestellung eigentlich : IF YOU ARE NOT PART OF THE SOLUTION , YOU ARE PART OF THE PROBLEM . eine – zumindest für hominide wesen – neue fragestellung , auch in .fragestellung ihrer eigenen spezies , allein die beantwortung ist spannend . vielleicht sollte man gelegentlich noch ältere herren lesen , vielleicht auch wieder goethe & seine gespräche mit herrn eckermann . sehr feine & aktuelle gedanken , zum glück viel zu komplex für ein «hörbuch» ; allein der name ist schon eine zumutung für jeden der tatsächlich schreibt & eben nicht spricht . aber das führt vor dem frühstück doch viel zu weit , sorry .