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PHILIPP ROTH : ABGRÜNDIGES FAMILIENIDYLL | JOSEPH ROTH : EPOCHALE VERKLÄRUNG

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PHILIPP ROTH : ABGRÜNDIGES FAMILIENIDYLL

ED NZZ , 1. 11. 2013

czz audio aktuell blackczz – Wo schon der Titel ein “Amerikanisches Idyll” beschwört, darf man getrost annehmen, dass dem Personal des Romans ganz schön die Hölle heiss gemacht wird. Dies umso mehr, als mit Philip Roth ( Jg. 1933), dem Langzeitkandidaten für den Literaturnobelpreis, kein Freund einfacher Kompromisse am Wort ist.

Wenn sein 1997 erschienener Roman “American Pastoral ” den unaufhaltsamen sozialen Aufstieg der jüdischen Community in Newark kartografiert, liegt die Verwirklichung des “American Dream” auf dem Wege von Fleiss und Industrie durchaus im Rahmen des Möglichen. Der dies erzählt, ist der Schriftsteller Nathan Zuckerman, Roths autobiografisch durchzogenes und wohlbekanntes literarisches Alter Ego, das immer dort zur Stelle ist, wenn es um Grundlegendes im Verhältnis zwischen Autor und Werk geht. Konkret muss sich Zuckerman dabei vorführen lassen, wie er die Situation seines “Helden” – einem ehemaligen Schulkameraden – masslos verkennt, indem er sich von Äusserlichkeiten leiten lässt.

Die katastrophale Wirklichkeit hinter den Attributen von Erfolg und Establishment liegt in der Radikalität, mit welcher die nachfolgende Generation die Werte der Eltern negiert: Wo die wohlumhegte Tochter im Zuge der Proteste gegen den Vietnamkrieg zur Bombenlegerin wird und zivile Opfer in Kauf nimmt, spottet Meredith all den Prämissen, die ihren Vater geprägt hatten: Engagement und Empathie definieren den klassischen Liberalen, der angesichts seiner in den Untergrund abgetauchten “Merry” hart an die Grenzen ziviler Logik gerät. So selbstgerecht sich die junge Frau trägt, so aggressiv agitiert sie gegen den Vater, der vergeblich versucht, mittels rationaler Argumente durchzudringen.

Mit hörbarer Lust führt Christian Brückner die aussichtslosen Wortwechsel vor und hält dabei Fiktion und Metafiktion in ständiger Schwebe.

 siehe auch ( Sammelrezension ) :

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JOSEPH ROTH : EPOCHALE VERKLÄRUNG

ED NZZ, 1. 11. 2013

czz_audio_aktuell_white-20.pngczz – Seine fein tarierten Reportagen wiesen den Journalisten Joseph Roth (1894-1929) als genauen Beobachter aus. Der aus dem ostgalizischen Brody stammende Wahlwiener und spätere Exilant in Paris kannte die Zeichen und er wusste sie ausdrücklich zu deuten. Um 1900 war die Donau-Monarchie zu mürbe geworden, um die zentripetalen Kräfte zu bändigen. Die Tragödie, die mit dem Tod des Altkaisers Franz Joseph I. am 21. November 1916 ihren Lauf nahm, zersprengte mit der Herausbildung der Sukzessorstaaten die vitale Personenfreizügigkeit in Mitteleuropa.

Die ungeheuerliche Implosion des habsburgischen 52- Millionen- Reichs auf die knapp zwei Millionen umfassende Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt brachte schmerzlich zu Bewusstsein, dass es der Republik an Hinterland fehlte. Wo das “Wesen Österreichs”, so Joseph Roth, nie “Zentrum” war, sondern sein Ingenium aus den diversen Peripherien bezog, hinterliess der erste Weltkrieg mannigfaltige Phantomschmerzen.

Hatte Roth mit seinem Roman “Radetzkymarsch” (1932) den Zerfall der Monarchie anhand dreier Generationen der Familie Trotta gestaltet, zeigt der nach der Grablege der Habsburger benannte Roman “Kapuzinergruft” 1938 die politische und ideelle Unbehaustheit, die, so Roth, mehr oder weniger direkt zum Finis Austriae am 12. März 1938 führte.

Mehr Stimmungsbild denn Handlung, wird die Hörspielversion stilsicher von den kammermusikalischen Kompositionen des Saxophonisten und Klarinettisten Max Nagl getragen: Im ständigem Switch zwischen Motiven der Kaiserhymne und dekadenter Salonmusik ist passgenau Platz für elegische Reminiszenzen, wodurch die mit Burgschauspielern besetzten Sprechrollen weitgehend ohne artifizielle Austriazismen auskommen. Wo die Musik das expressive Moment in Thema und Variation instrumentiert, bleiben den Sprechern die leiseren Töne zwischen “Nimmermehr” und “Nochnicht”.

siehe auch (  Sammelrezension  ) :

  • Roth , Doderer : Kakanien – elegisch bis szenisch
    • Joseph Roth : Radetzkymarsch , Lesung Michael Heltau ( diogenes 2008  )
    • Joseph Roth : Die Kapuzinergruft, Lesung Peter Matic ( diogenes 2007 )
    • Heimito von Doderer : Die Strudlhofstiege , Hörspiel ( ORF / NDR / DHV 2007 )

 

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