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||| GAYOT DE PITAVAL : KRIMINELLE FÄLLE | MAXIMILIAN SCHÖNHERR : EIN SPIONAGEPROZESS IN DER DDR | JACK LONDON : WOLFSWILD

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GAYOT DE PITAVAL : KRIMINELLE FÄLLE

ED NZZ , 7. 2. 2014

czz audio aktuell blackMit seinen “Causes célèbres et intéressantes” – “Berühmte und interessante Rechtsfälle mit den dazugehörenden Urteilen” – hat der französische Jurist und Schriftsteller François Gayot de Pitaval (1673 – 1743) eine neue literarische Gattung eingeführt.

Zwar gab es auch vor dem Erscheinen seiner zwanzigbändigen Sammlung durchaus Dokumentationen von Fallgeschichten, doch waren diese als Fachlektüre für Juristen gedacht. Der Name Pitaval verselbstständigte sich und dient noch heute als Begriff für Rekonstruktionen von Rechtsfällen.

Das Neue an Gayot de Pitavals Darstellung ging über das Studium von Gerichtsakten weit hinaus. Indem der Autor sein Augenmerk auf das Milieu und die Psychologie der Figuren richtete, tastete er sich an die Quelle der kriminellen Energien heran, wobei offen bleibt, inwieweit Projektion und Phantasie das Faktische überformten.

Die von Gerd Wameling und Dagmar Menzel mit distanzierter Empathie intonierten Fälle der Marquise von Brinvillier und der Marquise von Gange garantieren eine nachgerade kathartische Spannung, wobei in beiden Fällen sich die Habgier mit kalter Kalkulation aller möglichen Gifte bedient. Wie zuvor liefert der Kilchberger Sinus-Verlag zur exzellenten Lesung ein umfangreiches Buch mit den vollständigen Texten nebst einem belesenen und anregenden Essay des Herausgebers Albert Bolliger. Zweifellos wäre hier ein Preis für besondere verlegerische Leistungen angebracht.

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MAXIMILIAN SCHÖNHERR : FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN . EIN SPIONAGEPROZESS IN DER DDR

ED : NZZ , 7. 2. 2014

Das Gerichtssaaldrama zählt zu den faszinierendsten Genres, das in Film und Literatur oft eine Sprachschlacht inszeniert. Wo aber – sei es in Ton, Film oder Text – ein reales Verfahren dokumentiert wird, gewährt das Material nicht selten decouvrierende Einblicke in die Machinationen parteiischer Gerichtsbarkeit.

Solcherart dokumentiert ein von MfS-Offizieren angefertigter Ton-Mitschnitt ausgesuchter Situationen des 1955 in Ostberlin angestrengten Spionageprozesses gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz. Von der Verhandlung, welche an einem einzigen Tag Verhöre und Beweisaufnahme, Plädoyers und Urteil durchpeitschte, sind etwa 320 Minuten als Tondokument überliefert.

Maximilian Schönherr hat die Szenen für sein Feature so ausgesucht, dass sich Erläuterungen weitgehend erübrigen. Aus den Verhören geht hervor, dass Barczatis in ihrer Funktion als leitende Mitarbeiterin im Büro des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl Dokumente zu vermeintlich journalistischen Zwecken an ihren Lebensgefährten Laurenz weitergab. Dass Laurenz seit 1952 als Informant für die westdeutsche “Organisation Gehlen” – dem Vorläufer des BND – aktiv gewesen war, schien die Freundin nicht zu wissen.

Mürbe von den Verhören während der sechsmonatigen Untersuchungshaft spulen die Angeklagten im Gerichtssaal ihre Schuldbekenntnisse ab, sind allerdings vernehmlich entsetzt, als der Staatsanwalt für beide die Todesstrafe fordert. Die für den WDR produzierte O-Ton-Inszenierung war 2012 Sieger des (Basler) Featurepreises und wurde soeben als “Bestes Sachhörbuch” mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2014 ausgezeichnet. Zu Recht.

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JACK LONDON : WOLFSWILD

ED : NZZ , 7. 2. 2014

homo homini lupus“: Dass der Mensch dem Menschen ein grausamer Wolf sein könne, hatte der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes in seiner Schrift “Elementa philosophica de cive” (1642) angemerkt. Der Wolf galt dem Philosophen als grimmiges Exempel einer nicht durch einen “contrat social” abgefederten Gemeinschaft, welche das Recht des Stärkeren ohne viel Federlesens durchsetzt. In der Tat dürfte die Gesellschaft, die der Abenteurer, Reporter und Schriftsteller Jack London im Zuge des frenetischen “Gold Rush” um 1900 zwischen Klondike und Yukon antraf, nach einer durchaus wölfischen Beissordnung geregelt worden sein.

Mit “The Call of the Wild” (1903) und “Wolfsblut” (“White Fang“, 1906) legte Jack London zwei einflussreiche Romane vor, welche symmetrisch die Auswilderung eines Haushundes bzw. die Domestikation eines Wolfes darstellen. Beide Male ist dem ständigen Oszillieren des Verhaltens zwischen “Wildnis” und “Zivilisation” eine Unruhe eingeschrieben, die in der Relativität der aufeinander bezogenen Begriffe liegt. Hunde, die wölfisch werden oder Wölfe, denen man hündische Gefügigkeit einbläut, vollziehen ständig eine Art Güterabwägung zwischen “wildem” Reflex und erlerntem Verhalten.

Wobei sich Jack London einer anthropozentrisch-”einfühlenden” Erzählweise bedient, wie sie auch heute noch (etwa in Tierfilmen) kurrent ist. Mit einer Neueinspielung der jüngsten Übersetzung dieses faszinierenden Werks liefert der Sprecher Johannes Steck eine distinkt frische Fährte, der zu folgen sich auch im Hinblick auf die menschliche Species lohnt.

Jack London :

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