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Salon Littéraire | Dezső Tandori nach Edgar Allan Poe :
Nevermore
Er war und ist einer der gescheitesten und witzigsten Zeitgenossen , der ungarische Schrifsteller , Poet , Übersetzer und Lebenskünstler Dezső Tandori . Seine Lesungen ( wie aus Startlampe ohne Bahn , Droschl 1994 ) waren im Grunde Performances , während welcher er Blatt um Blatt des mitgebrachten Papiers mit Zeichnungen versah , welche manche Bezüge enthüllten , Gedanken und Philosophische Phänomene oder besser : phänomenologische Philosomene aufzeichneten wie etwa das “Pfaffstätten- Prinzip” im Sinne Wittgensteins1 .
Auch wir konnten bei seiner Lesung Mitte der neunziger Jahre in Wien ein solches Blatt aufzuschnappen . Als Bilderrätsel , das sich selbst erklärt weckt diese graphische Evokation Lust , den Urtext von 1845 bzw. die Übertragung Hans Wollschlägers aus dem Jahr 1966 in voller Länge hier zu platzieren . Wofür ist und wäre der “Salon” sonst da ?
Dezső Tandori : Nevermore – Zeichnung , 1995
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FUSSNOTE
1 – Wir haben uns in|ad|ae|qu|at erlaubt , dieses “Pfaffstätten- Prinzip” in einer Glosse für die Zeitschrift “DU” [ DU 767 , Metrospektive Wien , Juni 2006 ] zu zitieren und scheuen jetzt und hier vor keinem Selbstzitat zurück :
Er hatte es das “Pfaffstätten-Prinzip” genannt . Und damit nicht die auf Weissweinwogen aus der Pfaffstättener Region ins Melancholische schwappende Wiener Weinseligkeit gemeint . Nein, was der kauzige ungarische Poet Dezső Tandori , mit dem “Pfaffstäten-Prinzip” meinte , war Folgendes : So lange ein Pfaffstättener echter Pfaffstättener sei , also schicklich am Platze bleibe , könne er nicht wissen , dass er Pfaffstättener sei . Warum ? – Tout simplement : Weil die Aufschrift “Pfaffstätten” an den Ortstafeln immer nur auf der ortsabgewandten Seite zu lesen ist . Somit sind Ankommende und Durchreisende von dem Eintritt des Zustandes “Pfaffstätten” avisiert , der eigentliche Pfaffstättener aber erblickt immer nur den durchgestrichenen Namen an der Ortsinnenseite der Schilder.
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URTEXT & ÜBERTRAGUNG
[ Eine typografisch angnehmere Gestaltung ist auf der parallel zum Blogeintrag publizierten statischen Seite zu betrachten . ]
E. A. Poe : The Raven , 1845xxxxxxxOnce upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary,Over many a quaint and curious volume of forgotten lore —While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping, As of some one gently rapping, rapping at my chamber door. “‘T is some visitor,” I muttered, “tapping at my chamber door — Only this and nothing more.”Ah, distinctly I remember it was in the bleak December; And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor. Eagerly I wished the morrow; — vainly I had sought to borrow From my books surcease of sorrow — sorrow for the lost Lenore — For the rare and radiant maiden whom the angels named Lenore — Nameless here for evermore.And the silken, sad, uncertain rustling of each purple curtain Thrilled me — filled me with fantastic terrors never felt before; So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating “‘T is some visitor entreating entrance at my chamber door — Some late visitor entreating entrance at my chamber door; — This it is and nothing more.”Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer, “Sir,” said I, “or Madam, truly your forgiveness I implore; But the fact is I was napping, and so gently you came rapping, And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door, That I scarce was sure I heard you” — here I opened wide the door; — Darkness there and nothing more.Deep into that darkness peering, long I stood there wondering, fearing, Doubting, dreaming dreams no mortal ever dared to dream before; But the silence was unbroken, and the darkness gave no token, And the only word there spoken was the whispered word, “Lenore?” This I whispered, and an echo murmured back the word “Lenore!” Merely this and nothing more. Back into the chamber turning, all my soul within me burning, Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter, Then this ebony bird beguiling my sad fancy into smiling, Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly, But the Raven, sitting lonely on the placid bust, spoke only Startled at the stillness broken by reply so aptly spoken, But the Raven still beguiling sad fancy into smiling, This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer “Prophet!” said I, “thing of evil! — prophet still, if bird or devil! — “Prophet!” said I, “thing of evil! — prophet still, if bird or devil! “Be that word our sign of parting, bird or fiend!” I shrieked, upstarting — And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting |
Der Rabe , Hans Wollschläger , 1966xEinst, um eine Mittnacht graulich, da ich trübe sann und traulichmüde über manchem alten Folio lang vergess’ner Lehr’ –da der Schlaf schon kam gekrochen, scholl auf einmal leis ein Pochen, gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte, von der Türe her. “‘s ist Besuch wohl”, murrt’ ich, “was da pocht so knöchern zu mir her – das allein — nichts weiter mehr.”Ah, ich kann’s genau bestimmen: im Dezember war’s, dem grimmen, und der Kohlen matt Verglimmen schuf ein Geisterlicht so leer. Brünstig wünscht’ ich mir den Morgen; — hatt’ umsonst versucht zu borgen von den Büchern Trost dem Sorgen, ob Lenor’ wohl selig wär’ – ob Lenor’, die ich verloren, bei den Engeln selig wär’ – bei den Engeln — hier nicht mehr.Und das seidig triste Drängen in den purpurnen Behängen füllt’, durchwühlt’ mich mit Beengen, wie ich’s nie gefühlt vorher; also daß ich den wie tollen Herzensschlag mußt’ wiederholen: “‘s ist Besuch nur, der ohn’ Grollen mahnt, daß Einlaß er begehr’ – nur ein später Gast, der friedlich mahnt, daß Einlaß er begehr’; – ja, nur das — nichts weiter mehr.”Augenblicklich schwand mein Bangen, und so sprach ich unbefangen: “Gleich, mein Herr — gleich, meine Dame — um Vergebung bitt’ ich sehr; just ein Nickerchen ich machte, und Ihr Klopfen klang so sachte, daß ich kaum davon erwachte, sachte von der Türe her – doch nun tretet ein!” — und damit riß weit auf die Tür ich — leer! Dunkel dort — nichts weiter mehr.Tief ins Dunkel späht’ ich lange, zweifelnd, wieder seltsam bange, Träume träumend, wie kein sterblich Hirn sie träumte je vorher; doch die Stille gab kein Zeichen; nur ein Wort ließ hin sie streichen durch die Nacht, das mich erbleichen ließ: das Wort “Lenor’?” so schwer – selber sprach ich’s, und ein Echo murmelte’s zurück so schwer: nur “Lenor’!” — nichts weiter mehr.Da ich nun zurück mich wandte und mein Herz wie Feuer brannte, hört’ ich abermals ein Pochen, etwas lauter denn vorher. “Ah, gewiß”, so sprach ich bitter, “liegt’s an meinem Fenstergitter; Schaden tat ihm das Gewitter jüngst — ja, so ich’s mir erklär’; – schweig denn still, mein Herze, laß mich nachsehn, daß ich’s mir erklär’: – ‘s ist der Wind — nichts weiter mehr!” Auf warf ich das Fenstergatter, als herein mit viel Geflatter Doch dies ebenholzne Wesen ließ mein Bangen rasch genesen, Staunend hört’ dies rauhe Klingen ich dem Schnabel sich entringen, Doch der droben einsam ragte und dies eine Wort nur sagte, Einen Augenblick erblassend ob der Antwort, die so passend, Doch was Trübes ich auch dachte, dieses Tier mich lächeln machte, Dieses zu erraten, saß ich wortlos vor dem Tier, doch fraß sich Da auf einmal füllten Düfte, dünkt’ mich, weihrauchgleich die Lüfte, “Ah, du prophezeist ohn’ Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel – “Ah! dann nimm den letzten Zweifel, Höllenbrut — ob Tier, ob Teufel! “Sei denn dies Dein Abschiedszeichen”, schrie ich, “Unhold ohnegleichen! Und der Rabe rührt’ sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer |
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QUELLE
Edgar Allan Poe : Der Rabe . Amerikanisch und deutsch . Aus dem Amerikanischen von Hans Wollschläger . Mit dem Essay “Die Methode der Komposition” von Edgar Allan Poe in der Übersetzung von Ursula Wernicke . Nachwort von E. Y. Meyer . Holzschnitte von d’Aragues – Insel Bücherei 1006, 1982ff
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