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Salon Littéraire | Max Czollek :
Druckkammern , Gedichte . ( Verlaghaus Johannes Frank , 2012 )
Mit einer Einleitung von Matthias Fallenstein
Matthias Fallenstein : “mit gänsehaut bespannt / besessen von duschköpfen” . Gedichte von Max Czollek¹
Max Czollek ist 1987 im östlichen Teil Berlins, damals noch Hauptstadt der DDR, geboren. Er besuchte hier seit 1993 die neu gegründete Jüdische Schule, nahm dann an der Freien Universität ein Studium der Politologie auf, das er gegenwärtig in London mit einer Dissertation abschließt, die sich einem theoretischen Thema im Bereich der Antisemitismusforschung widmet. Er verbrachte ein Jahr in den USA, ein weiteres halbes Jahr in Israel.
Der Dichter ist also historisch hinreichend belehrt. Er nimmt den Städten ihre angebliche Lebensfreude im kapitalistischen Glitzerglanz nicht ab, noch glaubt er an die grüne Unschuld ländlicher Idyllen. Überall schaut er sich aufmerksam um, wie einer, der Gefahr wittert. Was er wahrnimmt, sind die Spuren der alle sozialen Verhältnisse mächtig durchdringenden Gewalt. Hausfassaden mit Einschüssen “wie sommersprossen” konnte man in Berlin noch in den neunziger Jahren sogar unweit vom Kurfürstendamm entdecken, der Dichter sieht sie wieder an der Brücke über die Drina, es ist Herbst: “an den bäumen die granatäpfel / leuchtende kinderfäuste”.
Kindliche Angst und pubertäres Entsetzen werden aufwachsen zu Wut und Haß, der Kreislauf der Gewalt dreht sich aus sich selber weiter: “felder reifer kreuze / am straßenrand // hol die saat ein”.
Auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee, weit im Nordosten Berlins, überwuchert Grün die Gräber. Die der hier Bestatteten gedenken wollten, wurden zerstreut oder ermordet: eine verlassene Nekropole, an diesem Ort sind sogar die einst zur Ruhe gelegten Toten ins blanke Nichts entlassen. Der Dichter notiert, wissend, aus welchem Schoß das Nichts kroch: “in allen wipfeln der störton / der vögel”. Er ist “ein altes kind”, das sagt: “es ist so schön hier … ein echter dinosaurierwald”. Und “der wind … schwenkt den farn sagt / kaddish über den knochen / wuchert fremde höher”. Am Strand in Tel Aviv, beim ehemals deutschen Viertel, bemerkt der Dichter, das Schicksal der Vertriebenen im Sinn: “wenn es heiß wird / schaue ich das meer hinab // es gibt hier keine möwen / die heimweh kreischen.”
Drei Beispiele aus einer dicht gewebten Textur von Bildern, in denen die erstickenden Erfahrungen der Kindheit in eine genuin politische Auseinandersetzung geführt werden, weil der Autor sein kindliches, ganz aufmerksames Gesicht und Gehör nicht verloren hat, weil er wahrnimmt, nicht worauf er gestoßen wird im Lärm von Werbung und Warenkonsum, sondern worauf er stößt mit dem Willen, zu begreifen und zu sagen, was war und ist: die endlose Spur der Gewalt.
Der legitime Ort des Begreifens ist für Max Czollek das Gedicht, wo Angst und Entsetzen unverstellt zur Sprache kommen. Seine Diktion ist im Grunde schlicht, und doch kennt der Autor sich in der raffinierten Wortkunst der jüngeren Lyrik bestens aus, so, wenn er die Semantik des einzelnen Wortes vervielfältigt durch mehrfache Bezüge in einer fragmentierten Syntax, und er bricht die sich einstellenden Zusammenhänge noch einmal durch den widerstrebenden Vers. (Ho, ho- /sianna.) Englisch ist für Max Czollek, wie für so viele von den Jüngeren, ein Teil der eigenen Sprache, es fließt, nicht ganz widerstandslos, mit, gestaltet so den synkopischen sound und erinnert daran, daß die Musik auch dieser Generation im englischsprachigen Raum wurzelt. Schön, wie Max Czollek auch die Sprache der Ermordeten, das Jiddische mit seinem eigentümlichen Satzbau, in diesen sound hineinkomponiert: eine unaufdringliche, leise Erinnerung an den Klezmer.
Max Czolleks Gedichte haben eine ursprünglich jugendliche Kraft, sie gehen aufs Ganze und bleiben, “mit gänsehaut bespannt / besessen von duschköpfen”, konkret bei der Sache, sie kennen die Namen und verschonen keinen, auch nicht den Dichter selbst. Man hört den Schrei, wenn er schreibt. An einigen Stellen kommt die Sprache dieser Gedichte dem expressionistischen Gestus spürbar nahe. Aber sie ist niemals und nirgends bloßes Gebrüll: es sind noch Lieder zu singen, wenn auch gerade die garstigen, die dem Mut der Verzweiflung entspringen.
Ich stelle mir einen sehr alt gewordenen Theodor Kramer vor, dem, nachdem er beschlossen hat, selbst nicht mehr zu schreiben, die Gedichte Max Czolleks in die Hand fallen. Vielleicht würde er anfangs noch ein paar Zweifel hegen. Zu groß der Abstand der Generationen. Abbrechen würde er die Lektüre aber nicht, die Genauigkeit der Bilder würde ihn fesseln. Und spätestens auf Seite 73 (warum, kann man sich fragen, fehlen jetzt plötzlich die Seitenzahlen?), wenn kurz vor dem Ende des Buches Moyshe Leyb Halpern auftritt, der jiddische Dichter, der “in die städte gekommen” ist, nach Wien und New York, um “als fremder sich auftrieb zu / suchen”, Moyshe Leyb Halpern, “grün und glücklos durch / den boden einer flasche” blickend, “moyshe leyb / den rauschen macht / die angst im glas”: spätestens hier würde der uralte Dichter vielleicht vor sich hinmurmeln: ja, wenn ich jung wäre… Gras, auseinandergeschrieben. Die Spur liegt frei, sie ist untrüglich. Nichts, nichts ist verloren.
¹ - Aus dem Essay zu “Druckkammern” . In : Zwischenwelt . Zeitschrift der Theodor Kramer- Gesellschaft, Jg. 30 , H.1 , S. 58
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Max Czollek : Druckkammern ( Auszüge )
hast dir den schädel gespalten
eine palme hineingepflanzt
schwenkst jedes neujahr
die paarhufige hoffnung
mit gänsehaut bespannt
besessen von duschköpfen
geht ein jahrhundert durch
die fünf säulen deiner hand
stehst dort koffer armunter
stift in der offenen anderen
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brücke über die drina
auf einer fahrt ist es
herbst geworden
in wischegrad
die häuser tragen
einschüsse wie sommersprossen
felder reifer kreuze
am straßenrand
hol die saat ein
wer jetzt allein ist
weckt erinnerung
in gläser ein dreht wachs
um isolationsdrähte
an den bäumen die granatäpfel
leuchtende kinderfäuste
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friedhof weißensee
in allen wipfeln der störton
der vögel es ist so schön
hier sagt ein altes kind
ein echter dinosaurierwald
der gärtner lädt seine
plastikkanne nach geht
steine gießen wenn der
die zum blühen bringt
dahinter liegt eine im
leinen hat sich das aleph
von der stirn gewischt
wird mittags begraben
der wind stellt sich auf
schwenkt den farn sagt
kaddish über den knochen
wuchert fremde höher
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מושבה הגרמנית
ich frage mich ob diese stadt
so urlaubsgefühl und upfuck
in mein reimschema passt
immer dabei : immer daneben
der frühling liegt in den wehen
ich brauche fast nichts
zum leben bloß einen teller
holz und kein brot auf
dem tisch dort zuckersand
im bett ein paar schuppen
die mir der traum gewetzt
will sagen: ich war ganz wund
gerieben von eichen / denke
in tüchern wenn es heiß wird
schaue ich das meer hinab
es gibt hier keine möwen
die heimweh kreischen
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fun der mame loyschen (Auszug)
“where trouble melts like lemondrops
high above the chimney tops
thats where you’ll find me”
(E. Y. Harburg, Somewhere over the Rainbow)
halpern
das ist moyshe leyb
in die städte gekommen
als fremder sich auftrieb zu
suchen das eigene gewicht
zu spülen gegen ostwinde
sitzt er zwischen kaminen
betrachtet schornsteinfeger
grün und glücklos durch
den boden einer flasche
das ist moyshe leyb
den rauschen macht
die angst im glas
sutzkever
oder chagall hat davon
gewusst als er blaue kühe
fliegen ließ mit der übrigen
farbe das publikum malte
ein zerfiedeltes negativ
so einer wie dieser
besingt noch welt
im offenen sarg
die feder verhakt
mit der letzten fuge
glattstein
hast dich los gemacht
zurück in das ghetto
aufgänge gesucht
deine frühen gesichter:
freunde bergen-belsen
grubenheber schmuggler
macht euch aus der luft
glattstein grüßt aus den träumen
einer geendikten sprache
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Max Czollek ( Bio – Bibliographie )
Matthias Fallenstein ( Biographie )
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