Salon Littéraire | Monika Rinck : Eine Ewigkeit im Hasenwandler [ 4 / 4 ]

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Salon Littéraire | Monika Rinck :
Eine Ewigkeit im Hasenwandler [ 4 / 4 ]

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Vor wenigen Tage war ich aufgefordert im Frankfurter Literaturhaus zu sprechen über “Lob der Offenheit – Feier des Unendlichen”, mit dabei Michaela Melian, moderiert von Ina Hartwig. Es ging um das Fragment, um das Unvollendete. Ich wies darauf hin, dass der “Hasenwandler”1 inzwischen Umgebung einer Fixierung sei, in der der “Hasenhass”2 weitergeschrieben und befragt werde, was ihn als abgeschlossenes Buch quasi untermininiere, aushöhle, aber eben auch befülle, seinen Rand mit Ornamenten ausstaffiere. Hier zeige sich die obsessive Tendenz am Fragmentarischen: etwas nicht gut sein lassen zu können. So dass man das Ganze aus zwei Richtungen angehen könne. Entweder indem man sagt: Es fing an, lange bevor es begonnen hatte. Oder: Es ging immer weiter, nachdem es aufgehört hatte. Oder beides. Wir kennen dies von psychischen Prozessen, und man machte es sich zu einfach, wenn man ganz ausgefuchst behaupten wollte, dass es ausreiche, den Startblock etwas zurück zu setzen und die neue Ziellinie weiter vorne einzuzeichnen. Im Gedächtnis herrscht keine Harmonie – unter keinen Umständen.

“Es ist keineswegs eindeutig, was für uns verfügbar ist: Unter der Vorstellung, dass die Begriffe, so wie wir sie haben, von ihren Inhalten her, Machtkämpfe in uns austragen und wir mit ihnen Machtkämpfe austragen, ist Gedächtnis eine schwierige, eine selbst neurotische oder psychologische Kampfsitutation”, schreibt Wilhelm Schmidt-Biggemann, setzt allerdings im nächsten Absatz damit ein, dass es auch sanfte Sinneseindrücke gebe, Erfahrungen, in denen weder die Dinge Herr über uns werden wollten, noch wir Herr über die Dinge. “Sie kennzeichnen eine Welt- und Geschichtsoffenheit.”3

Am Sonntag der Zungenrede

Dies soll nun die vierte und definitiv die letzte Fortsetzung des Hasenwandlers sein. Es gefällt mir, dass sie am Pfingstsonntag erscheint. Danach möchte ich es wirklich gut sein lassen, ganz gleich wie es ist. Schon in der dritten Folge konnte ich erleichtert eine gewisse Loslösung konstatieren. Das Plumpe, das Plumpe, heiße es endlich gut. Gut. Am Sonntag der Zungenrede, als der Geist über die Jünger kommt, werden sie von Unbeteiligten verspottet: Sie seien voll des süßen Weines. Doch ihr Rausch ist anderer Natur. Der Geist hat ihnen kleine Flämmchen aufgesetzt und sie in eine feurige Sprachtrance versetzt.

1 ElGrecos Pfingsthase

“Laughing is instead of comprehending” – und wie beglückend wäre das, wenn fröhliches Gelächter an die Stelle des Unverständnis treten könnte. Ich erinnere erneut an die parodierte Zeigegeste, die auf etwas weist, was noch weniger verständlich ist als das Gesagte selbst, und glücklich strahlt angesichts jener komischen Sabotage der Operation mit dem Namen: “Don’t tell, show!” Auf der anderen Seite: Es sind diese lustvollen Ersparnisse im Witz – nicht wahr, die ich Ihnen zuteil werden lasse, gerade indem ich sie Ihnen vorenthalte. Die ersparte Motivation, die den optimierenden Ergründungen, den furchtbaren Feedback-Runden fremd bleibt. Etwas, das man partout nicht hineingeben kann, ganz gleich, wie weit man die Aufmerksamkeit zum Irrationalen hin öffnet. Etwas will hier nicht ans Licht und tut nur so als würde es kooperieren. Keine Antwort, ungelöschte Verweigerung, Fortdauer von etwas das nicht nichts ist.

Nicht beantwortbar, ohne bedrohlich zu sein

Nein, es gibt keine Antwort. “Maßgebend ist jedoch, woran die Unbeantwortbarkeit liegt. Sie erheitert, wenn sie durch eine unausgleichbare Mehrsinnigkeit, durch eine Verschränkung, Überkreuzung, wechselweise Transparenz der Sinnbezüge hervorgerufen ist.4  Diese Struktur macht sie unernst. Hier jedoch, beim Weinen, ergibt sich die Ohnmacht aus einer merkwürdigen Unmittelbarkeit des Ausgeliefertseins an den Schmerz, im Umschwung von Gespanntheit und Gelöstheit und in der Ergriffenheit. ‘Ohnmacht’, so hieß es schon, kann den Anschein erwecken, als wäre nur ein Unvermögen da, gegen eine Gewalt sich aufzulehnen. Das mag in Situationen des körperlichen und seelischen Schmerzes so aussehen. An den Peripetien dagegen, wie Reue, überwältigende Freude, Bekehrung, und an den Formen der Ergriffenheit zeigt sich die Ohnmacht als ein Mangel an Distanz – nicht zum jeweiligen Gefühl, sondern zu dem Gehalt, der mich im Gefühl ausfüllt, hochreißt, erschüttert.”5 Was mag das sein, der Gehalt, der mich im Gefühl ausfüllt, hochreißt, erschüttert, wenn es das Gefühl nicht ist? Ist es dann der Auslöser des Gefühls? Irgendetwas, das dem Gefühl vorausging? Der Erfahrungsinhalt? Wobei Erfahrung ja Medium von beidem, von Innen- und Außenwelt ist. Muss man einfach mehr Abstand gewinnen? Das ist ja das Triftige am Witz: Muss ich, womöglich sogar widerwillig, über ihn lachen, ist die Distanz dahin. So wie mir auch in unpassenden Situationen die Tränen kommen können und sie zu leugnen sinnlos ist. Doch, doch es könnte auch Heuschnupfen sein, eine plötzliche Reaktion aus der Galerie der Allergien.

2 Hasenbrunnen

Bild und Sprachbild

Es verfolgen mich nach wie vor Sprachbilder von Gewalt. Ich lese sie in der Zeitung. Teils diskret formuliert, teils reißerisch. Sie sind immerzu da und ich weiß nicht, wohin ich sie legen sollte, damit sie dort bleiben und stumm sind, eingeebnet im generellen Katalog des Unerträglichen. Damit sie keinen Kontakt aufnehmen, zu dem Ort, wo sich Erschrecken mit Faszination anreichert. Dass sie bewusst bleiben, aber vergleichsweise neutral. Ohne dass Verdrängung ihre Stellwand davorzieht, oder etwas Unbestimmtes wie ein Gewölle einen unbestimmten Abhang herunterrollt. Das geht ja gar nicht. Geht es nicht? Worte finden. Darüber nachdenken, inwiefern Gewalt die Sprache instrumentalisiert. Das Buch ließ sich nicht schreiben. Wir können auch in der Nähe damit beginnen. Bestimmte Denkmuster, die wir mit unmenschlichen Verfassungen und Methoden teilen, schon dort abwehren, wo sie als Spuren auftreten. Wobei: In dieser geringen Dosierung könnten sie ästhetisch von Interesse sein. Nein. Doch. Nein. Und die Abspaltung und Komplettverleugnung ist zuweilen die schlechteste Vorbereitung, um sich Gewalterfahrungen und ihren Fragen zu stellen, die ja nicht aufhören, nur weil ich mich entschlossen habe, sie im Sinne einer ausgedachten und zweifelhaften Psychohygiene nicht mehr wahrzunehmen. Lenk nicht ab, brülle ich mich an. Ich lenke nicht!, entgegne ich. Alle rufen: Das wissen wir. Wissen wir schon lange! Und bringen sich am Fahrbahnrand in Sicherheit. Hinter die Leitplanke springen sie. Wie Häschen.

3 Rotkehlchen

In der vergangenen Nacht (es ist 8 Uhr 22 am 5. Juni), träumte ich, ich fuhr in einem über südamerikanische Pass-Straßen holpernden Bus und zeigte zwei klugen Freunden, die nebeneinander auf der anderen Seite des Gangs saßen, das Buch “Sympathiezauber” von Michael Taussig, ich sagte: “schöner Schutzumschlag” – und wies die beiden auf den langen Satz der gewalttätigen Zusammenhänge hin, der nicht aufhört und immerzu damit weiter macht, Dinge und Menschen an der Gewalt zu beteiligen.6 Man könne nirgends einen Punkt machen. Die fatalen Verbindungen erlaubten dies nicht – blanke Konsequenz. Im Traum konnte ich mich nicht verständlich machen. Oder das Thema wurde bald gewechselt. Ich weiß nicht mehr.

“Zugleich”, so Michael Taussig an anderer Stelle, “wuchs mein Empfinden dafür, wie das Schreiben über Gewalt die Gewalt meist noch verschlimmert. Meine … Theorie lautet, dass Geschichten über Terror und Extremsituationen in hohem Maße die Realität zu gestalten vermögen (zu einem guten Teil durch Ungewissheit), indem sie eine Kette von Erzählern durchlaufen. Die Aufgabe des Erzählers, der diese Kette durchbrechen möchte, bestand also meiner Ansicht nach darin, mit einer eigenen Geschichte hervorzutreten, die sich bewusst als ‘vorletzte’, ‘penultimative’ versteht – soll heißen: die Tatsache anerkennt, dass bald eine andere Geschichte an ihre Stelle treten wird und dass die eigene deshalb unter Spannung steht; dass die eigene, wie man hofft, auf Dauer vor der letzten zu liegen kommt – mit ihrem Versprechen, den Strom von der Gewalt ab- und zu ihrer Heilung hinzulenken.”7

4 Hasenbrunnen

Das Selberreden der geronnenen Prozesse

Wenn sich das Brot in der Nacht ein Messer macht, wie in der Fibel “Hasenhass” auf einer Doppelseite beschrieben, dann ist das Unheimliche in das Vertraute eingezogen. Nacht, Brot, Messer. Vielerorts Normalität, doch nicht bei mir zuhaus in Moabit, demnach also imaginär. So wachte ich vor mehreren Monaten mitten in der Nacht auf, der Traum hatte ein enormes Loch in mich gerissen. Mein Körper suggerierte mir große Angst, die aus dem Reale in Richtung des Bewusstseins drängte. Das sind meine Oberschenkel, dachte ich. Es müssen meine sein. Ich richtete mich auf und ging taumelnd in die Küche. Dort machte sich das Brot ein Messer. Vertrackte Kombinatorik meiner eigenen Sicherheit. Hierzulande. Nichts wird passieren. Das Brot prüfte die Klinge, die so scharf war, dass das Licht sich an ihr blitzend in zwei Hälften teilte. Wir singen: Was macht, was macht, was macht das Brot in der Nacht? Wir kennen die Antwort inzwischen sehr gut: Es macht sich ein Messer. Schnell löschte ich das Licht. (Schnell löschte ich das Ich. Ein Satz wie aus dem Erlebnisaufsatz einer Viertklässlerin. Wir werden später noch Gelegenheit haben, das Ich poetisch zu vernichten.)

5 Silence Internet

Ich verstehe wirklich nicht, was hier vor sich geht, jenseits des Wunsches nach verfremdenden Vergleichsgrößen. Den ich wiederum sehr gut verstehe. Es ist ja so, dass das Unheimliche immerzu eine Rolle spielt. Selbst im Aufeinandertreffen von heimlich und unheimlich, in der bekannten Dialektik von Verbergen und Aufdecken. Auch das am Hasenhass Verblutete gehört dazu. Unheimlich ist zudem die übermäßige Liebe. Gibt es die? Ja. Aber warum? Tue nicht zu viel von Dir in das Fremde hinein. Lass das Fremde selber reden. Dann reißt es dich auch nicht fort, wenn es geht. “Ein Kunstwerk wird zum Bild dadurch, dass die in ihm zur Objektivität geronnenen Prozesse selber reden”, schreibt Helmut Draxler irgendwo. Das könnte auch unheimlich sein.

Die Aggression der Zerbrechlichen

Sie kennen schon die Gefahr des Aufgehens ohne Grenzen? Was bewirtschafte ich, frage ich. Und antworte mir mit einem Zitat, das nicht passt. Wirklich nicht. Am unteren Rand notiert: Land Ausbeutung Produktivmachung Wirtschaft Essen gehen Kannibalisierung Stall Kannibalisierung Stall. Am oberen Rand notiert: Stecker ziehen an dem die unsterblichen Menschen hängen, schreien, sie über die Kacheln stoßen. Es ist nicht richtig. Ich habe den ganzen Zusammenhang vergessen. Sowieso hatte ich in einer Attacke von Hellsicht, respektive Verblendung etwas ganz anderes angekündigt: schamanischen Realismus, nämlich. Nun darauf müssen Sie noch ein wenig warten.

Beschäftigen wir uns vorerst mit der Aggression der Zerbrechlichen – der Impuls ist enorm. Die Wirkung gering. Die Anerkennung des Impulses lässt sich immerhin in eine Pointe einbauen. Ich erinnere an den Witz vom Wellensittich, der nicht weiß, wie groß er ist. Immerzu bereit zum Angriff. Es kann der Witz auch den Starken von innen aushöhlen, womit das Gelächter der anderen in seinem hohlgewordenen Leib eine Resonanz findet, siehst du die Risse? Ich sehe die Risse. Das wird nicht gelingen. Das ist nicht gesagt.

In der S-Bahn nach Bad Humbug

Von hier aus wollte ich irgendwie zum Bikini-Trio kommen. Das Bikini-Trio war anfangs für den Hasenhass vorgesehen, ist aber herausgefallen. Ich bin sicher, es gibt ihn schon, den Witz, auf dem diese Zeichnung beruht. Erwartbar. Ja. Nein! Es ist ja eine wahre Geschichte, die sich nach einer anderen Frankfurter Romantik-Konferenz, welche mich leeren Blicks zurückließ, in der Stadtbahn von Frankfurt nach Bad Humbug ergeben hatte. Mit den Koffern auf dem Weg in die Therme. An sich eine ausgezeichnete Idee. Die Badekleidung musste allerdings noch erworben werden. Da in Bad Humbug nur reiche Leute die Straßen pflastern, kostete der allergünstigste und mithin komplett untragbare Bikini im Raubkatzendessin schon 110 Euro! Ein Irrsinn! Wenn man sich das Ding hätte teilen können… ja dann. Aber wie müsste Badekleidung aussehen, damit man sie sich teilen kann? Nein, nein, nein, das ist nicht Bondage – das ist ein Gruppenbikini. Und das Untenstehende ist das Bikinitrio.

6 bikinitrio

Eine, die am rechten Rand, kommt schon ins Kippen. Wir planschten, machten Handstand im Wasser. Das war eine große Freude. Wir gingen auf den Händen, spitzten die Füße, streckten die klappernden Beine zum Himmel, und kippten dann im warmen Wasser um.

Ein Frage der Dosierung

Dämonisches Denken. Magisches Denken – ein animistischer Witz. Bruno Latour, nach seiner Haltung gegenüber der Magie gefragt, antwortete: “Was die Magie betrifft, so glaube ich ohnehin nichts von dem, was ich über Magie lesen, weil Magie vollständig in dem Schatten der Vorstellung steht, dass es etwas außerhalb der Magie geben könnte. Und das wäre? Etwas ohne Transformationen des Handlungsvermögen, ohne Hybride, ohne gestische Verwicklungen ins Zuhandene?”8 Aber was soll das heißen? Erst einmal halten wir fest, dass das Außerhalb auf einer Entscheidung, wenn nicht gar Abspaltung beruht, so Latour. Und dass traditionsgemäß auch gerne das ein oder andere Mittel zur Hand genommen wird. Das Gestische wiederum muss ich dem Moment überlassen, das wehrt sich gegen Archivierung. Und das Zuhandene wäre dann eben das, was in diesem unwiederruflichen Moment zur Hand ist. Eigentlich recht klar, insgesamt.

7 Frage der Dosierung

Wie aufgedreht verfolgten die mythischen Gestalten ihr Schicksal, das ihnen die Ingenieure von Delphi im Voraus berechnet hatten. Die Burleske (auf der Freilichtbühne), von kräuterigem Rauch umwedelt, schlägt hier wie dort die Türen zu und reißt hier wie dort die Türen auf. Ein Regisseur von Türen, sei er, nicht von Menschen – sagte die Garbo über den Lubitsch. Ja, aber ein sehr guter Regisseur von Türen, wohindurch dann schließlich auch die Menschen treten. Dies könnte ein Zug des schamanischen Realismus sein: Auf die jeweilige Tür genauso zu achten wie auf den oder die, der durch sie hineintritt, hinaustritt. Mit Pegasos an seiner Seite: Bellerophon. Ein kleines Stückchen Blei, unscheinbar und doch am Ende die Rettung. Hier trägt sich die Frage der Dosierung vor, da tritt jemand aus einer sehr eigenartigen Höhle ans Licht. Stützt sich auf Überkopfhöhe ab, mit dem rechten Arm. Anhaftung von oben beugt sich herab und äugt. Das Publikum gerät in Trance. O stimmloses Johlen. Das gehemmteste Wogen. Der große unbesehen passierende Moment.

Andere Gefahren

Die Gefahren, die von den Gefährdeten ausgehen – das ist ein zentrales Motiv in der Erläuterung des Hasenhass. Es handelt sich, wie schon mehrfach vermerkt, um den Hass des Hasen. Nicht um unseren Hass auf den Hasen, den wir uns sowieso nicht leisten können. Es müsste nicht einmal ein Hase sein. Jedes unterlegene Wesen könnte in dieser Systematik an seine Stelle treten. Damit lege ich keinen Vergleich nahe. Ich sage nur, dass es geht. Dies ist keine Dialektik. Das bleibt so. Wir alle kooperieren mit dem 1000-fachen Mord. Dazu genügt es schon ein Mensch zu sein. Denn als Menschen tun wir das. “Ich nicht!” Nein, sicherlich, Du nicht. Daran kann man gut und gerne straucheln. Noch mehr Experten treten hinzu. Was tun sie? Sie schwadronieren, schwadronieren.

8 Noch mehr Experten

Wir alle befinden uns zueinander in einer Beziehung bis der Kopf knallt. “Die Kunst Experten zu widersprechen”9 , hieß vor vielen Jahren eine Festschrift für Urs Jaeggi. Die ist leider gerade nicht hier, wo ich bin, sondern in Moabit. Sonst könnte ich verschlüssigen, warum ich sie hier erwähne. So kann ich es leider nicht.

Gezielte Ignoranz und ein sehr starker Arm dienen der Verdrängung der Welt, damit ich meine Sensibilität jung und frisch bewahren kann, sagen manche Leute. Doch worauf kann sich meine Sensibilität dann beziehen? Doch keinesfalls auf die Ausblendung. Mein Kopf knallt relativ häufig. Und ich bin wie paralysiert. Lesen wir also erneut den Aufsatz über Abwehr, Chaos und katastrophisches Gelächter.10 Oder Danica Vukicevics Buch mit Gedichten mit dem Titel: Schamanin.11 Oder Hart Crane: Die Brücke. The Bridge. Ein Gedicht.12 Oder die Poetik von Marlene Streeruwitz.13

9 praxis geniessen

Womit ich nach wie vor Glücksgefühle verbinde, wäre die poetische Vernichtung des Ichs: Nur wie soll ichs anstellen? Vielleicht dass daraus eine selbstlose Praxis des Genießens erwüchse, es ist ja klar: ich genieße nicht mich im Sinne des Ichs, sondern etwas anderes, das sich der Prüfung durch die Agenten der Ich-Werdung nicht aussetzen muss. Und bewege mich dennoch im Raum. Im hellen Licht. Bin weder ängstlich noch panisch noch voller Sorge. Vielen Menschen weiche ich aus. Anderen nicht. Also: werden wir noch heute das Ich poetisch vernichten? Es ist ja schon weich, weich wie aufgetaute Beeren.

Wirksam werden im Gedächtnis

Etwas tritt weltoffen aus dem Gedächtnis hervor. Es ist sehr hell. Ich habe Geld, es sind Dollars. Ich kaufe Tomaten, Bier, Salz, Öl und Brot, in einem Laden im Souterrain, über dem ein 42-stöckiges Hochhaus thront. Ich spüre etwas. Das Licht ist so hell, dass es die Inhalte löscht. Ich bin auf der Seite des Hasen. Ich würde für ihn hassen. Ich hülle ihn in meine Sympathie. Er atmet in so schnellen Intervallen, dass ich, mit meinem maßvolles Schnaufen, ihn voraussichtlich überleben werde. Und die großen Schildkröten uns alle. Aus dem Fenster schauend, sah ich das Seeufer und spürte innerlich das aneinander krachende Eis als umtriebe es meine inneren Organe. Ich war sehr dankbar. Dafür nicht zu frieren. Manche Felsen wandern, andere Felsen singen. Es könnte ja sein, dass das Irrlichternde des Witzes auch die Gesellschaft nach seinem Verklingen in größerer Dunkelheit zurücklässt. Ist es das? Ist das schon der Witz? Ich lange hindurch. Ich greife es an. Ich habe nichts mehr zu tun.

10 Pfingsten

Das war die VIERTE und LETZTE LIEFERUNG : SCHÖNE PFINGSTEN!

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1 – Dies ist die vierte Folge, die vorangegangen drei sind sonntagsweise hier erschienen.
2 – Bei dem Hasenhass handelt es sich um eine Fibel mit 47 Bildern, die im Dezember im Verlag Peter Engstler erschienen ist. Sie beschäftigt sich mit vielen Spielarten des Witzes, die sie weniger beschreiben als hinstellen will. Wenn Sie Peter Engstler anschreiben, schickt er Ihnen die Fibel für 12 Euro.
3 – Wilhelm Schmidt-Biggemann: Schläft ein Lied in allen Dingen. Zur Topik einer poetischen Welt, in: Der Prokurist, Nummer 6, 1991 , Seite 11f
4 – Diese Beschreibung ist beinahe eine poetologische, nicht wahr. Sie könnte auf Gedichte, die ich gerne lesen würde, zutreffen.
5 – Helmuth Plessner: Lachen und Weinen, in Ausdruck und menschliche Natur. Frankfurt am Mai n 2003. Seite 365
6 – “Die Banden werden immer mehr, und die Tür wird aufgehebelt von den tough guys mit ihren Brecheisen, um den Fernsehapparat zu stehlen und dem schlafenden Kind die sneakers von den Füßen zu reißen; mit dem bazuco fühlst du dich so gut, die Haut kribbelt und du glaubst zu schweben, während die Polizei, die sich sonst nie zeigt, und die örtlichen Todesschwadronen Süchtige, Transvestiten und Schwule zur Strecke bringen und töten – die desechables, Verächtlichen, ‘die zum Wegwerfen’ – , deren Leichen von den Pritschen der Pickups geworfen werden und die man verdreht und verrenkt in den Zuckerrohrfeldern findet, die im Besitz von nur 22 Familien sind, Felder, die wie der Ozean von der einen Seite des Tales zur anderen wogen, während die Gezeiten dich beim Klang echter indianischer Flötenmusik aufnehmen und das Geheul kokainschnüffelnder Hunde im Mondschein dich zum Goldmuseum des Banco de la Republica willkommen heißt.” Michael Taussig: Mein Kokainmuseum., in Sympathiezauber. Übersetzt von Horst Brühmann. Konstanz 2013. Seite 246
7 – Michael Taussig: Schreiben an vorletzter Stelle, in: Sympathiezauber. Übersetzt von Horst Brühmann. Konstanz 2013. Seite 10
8 – Bruno Latour und Anselm Franke: Engel ohne Flügel. Ein Gespräch, in: Animismus, hg. von Albers und Franke. Zürich 2012. Seite 108
9 – Avanti Dilettanti – Über die Kunst, Experten zu widersprechen. Urs Jaeggi zum 60. Geburtstag. Berlin 1992.
10 – Klaus Heinrich: dämonen beschwören – katastrophen auslachen. Basel, Frankfurt am Main 2013
11 – Danica Vukicevic: Schamanin. Serbisch-Deutsch. Übersetzt von Matthias Jakob. Klagenfurt 2014.
12 – Hart Crane: Die Brücke. The Bridge. Ein Gedicht. Aus dem amerikanischen Englisch und kommentiert von Ute Eisinger. Salzburg und Wien 2004.
13 – Marlene Streeruwitz: Poetik. Frankfurt am Main 2014.

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HINWEIS :

Monika Rincks “HASENHASS . Eine Fibel in 47 Bildern mit Illustrationen von Monika Rinck ” ist Dezember 2013 im Verlag Peter Engstler erschienen. Monika Rincks ständig erweitertes BEGRIFFSSTUDIO steht rund um die Uhr zur erbaulichen Besichtigung. Derzeit ist MonikaRinck Stadtschreiberin von Tübingen .

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