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VOLKER WEIDERMANN: EXISTENZEN IM EXIL

NZZ , 6. 6. 2014

czz audio aktuell whiteWie wohl wäre die Emigration deutschsprachiger Autoren verlaufen ohne die Seebäder wie Sanary-sur-Mer oder Pacific Palisades? Womöglich war es just das splendide Dekorum, hinter dessen anonymen Oberflächen sich ein toter Winkel auftat, wo die sonst Ortlosen einander finden konnten.

In diesem Kontext rekonstruiert Volker Weidermann auf Basis von Tagebüchern und Briefen die einmalige intellektuelle und personelle Konstellation, wie sie im Sommer 1936 für einige Wochen am Strand von Ostende zusammenfindet: Hermann Kesten, Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun und Egon Erwin Kisch sind sämtlich Emigranten, deren Schicksal in wenigen Jahren besiegelt sein wird.

In besonderem Masse gilt dies für Stefan Zweig und Joseph Roth, die in Weidermanns anekdotischer Darstellung als Gegensatzpaar eingeführt werden: Hier Joseph Roth, Jude aus dem tiefsten Galizien, Alkoholiker und gefährdete Existenz, dort Stefan Zweig aus grossbürgerlich assimilierter Familie, arrivierter Autor und Stimme der Vernunft. Seine finanziellen Zuwendungen an den jüngeren Freund stürzen diesen nicht selten in trotzige Wut, da er keine Alternative hat als den Part des “Nehmers” zu geben. Wie das Ostender Beziehungstableau eindrücklich dokumentiert, zählen Dichterfreundschaften zur höheren Äquilibristik.

Die Einspielung mit Ulrich Noethen lässt die Episoden bewusst ein wenig en passant erklingen, als hätte man sie bei einem Spaziergang entlang der Uferpromenade zufällig aus verwehenden Gesprächen erhascht. Die akustische Ausgestaltung der in schöne Sprache gefassten Szenen liefert unüberhörbar jenen “Stefan Zweig-Sound”, wie er speziell dem Leser der “Sternstunden der Menschheit” nach der Lektüre nicht mehr aus dem Ohr will. In diesem Duktus organisiert Volker Weidermann die Ostende- Episoden als Serie emblematischer Szenen aus den Schicksalsstunden der Emigration.

Volker Weidermann: Ostende 1936. Sommer der Freundschaft. Lesung Ulrich Noethen; 3 CD (256 Min.), NDR / Der Audioverlag 2014

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ULRICH TUKUR : ZWISCHEN WIRKLICHKEITEN

NZZ , 6. 6. 2014
czz_audio_aktuell_black-30.pngMit seinen feintarierten literarischen Kabinettstücken gibt sich der vielfach ausgezeichnete Theater- und Filmschauspieler Ulrich Tukur als Adept der romantischen Universalpoesie zu erkennen und als Geistesverwandter der Fantastik E. T. A. Hoffmanns.

In seinem jüngsten Prosastück “Die Spieluhr” ist es dem Autor darum zu tun, Art und Anzahl künstlicher und künstlerischer Parallelwelten als unabsehbar darzustellen: etwa so, wie zwei einander reflektierende Spiegel einen infiniten Raum suggerieren.

Indem er Reales fiktionalisiert und Fiktives sozusagen “realisiert”, setzt Tukur eine Dynamik in Gang, die – wie die kleine Tänzerin auf einer metaphysischen Spieluhr – in ein schwindelerregendes Kreisen und Kreiseln gerät, welches den Erzähler so leicht nicht mehr freizugeben bereit ist. Den faktischen Hintergrund dieser “Novelle nach einer wahren Begebenheit” liefert Martin Provosts Filmbiographie der Malerin Séraphine Louis (1864-1942), als deren Fürsprecher und Förderer Ulrich Tukur auftritt.

Erzählt aus der Ich-Perspektive des Schauspielers, verwischt die Novelle konsequent die Grenzen zwischen Autor, Darsteller und jenem fantastischem Double dem während der Dreharbeiten allerlei Rausch- und Rätselhaftes vor Augen tritt. Satz für Satz, Szene für Szene widersagt die Novelle dem rational “Realen” und lässt ihren Protagonisten – den Erzähler – in Parallelwelten stürzen, wo Kunst und Bild, Musik und Gesang in betörender Schönheit präsent sind.

Indes lässt sich Tukurs kunstvoll gefügtes Prosastück auch als Reflexion medialer Potenziale lesen: konfrontiert mit dem Vorsätzlichen und Nachträglichen von Druck und Schrift erscheint der audiovisuelle Rausch als ständig erneuertes Jetzt. Dazu passt, dass Ulrich Tukurs grazile Prosa – von seiner singenden Stimme intoniert – ihren idealen Ort nicht auf dem Papier findet, sondern in jenem auditiven Raum, den das Hörbuch gewährt.

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