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besprechungen #548 bis #551 / NZZ, Juli 2014: naturgemäss laterales zum 1. weltkrieg

 

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Ernst Jünger: Tangente zum TodNZZ, 4. 7. 2014

czz audio aktuell blackczz – Eine der ersten literarischen Kriegsberichte von Rang erschien 1920 mit Ernst Jüngers “In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stosstruppführers“. Der originale Untertitel ging bei den vielfachen Umschriften des Werks irgendwann verloren, sodass der Text seither wie ein Roman rezipiert wird.

Damit sind Fehllektüren und Kurzschlüsse programmiert und mit ihnen die stereotype Kritik, welche unablässig die Glorifikation von Gewalt und Männlichkeit anprangert.

Jünger, der als Leutnant mit seinem Regiment an die “hot spots” der Westfront beordert wurde (Schlacht an der Somme, Dritte Flandernschlacht 1917, Schlacht um Cambrai 1917), berichtet in seinem Kriegstagebuch aufs Genaueste von den Umständen militärischer Operationen, von persönlichen Wahrnehmungen und Beobachtungen innerhalb wie ausserhalb des Grabens: die ubiquitären Bombentrichter, die verbrannte Erde zwischen den Fronten und überall die von Granaten und Schrapnells förmlich zerfetzten Körper von Soldaten der feindlichen, aber auch der eigenen Seite. Nach Jünger war es keine Seltenheit, dass die Infanterie auf eigene Leute zielte: und dies nicht nur, wenn eine Operation die Orientierung verlor.

Die Art, wie der Chronist manches Gefecht wie einen Rausch beschrieb, präfiguriert des Dichters spätere Experimente mit Drogen aller Art. Der Krieg mit seiner Tangente zur metaphysischen Instanz des Todes ist für Jünger ein Zustand, kein Ort. Angesichts dieser Extremwerte tut der Schauspieler Tom Schilling gut daran, seine jugendliche Stimme auf Distanz zu halten.

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Erich Maria Remarque: der “erstorbene” KriegNZZ, 4. 7. 2014

czz audio aktuell whiteczz – Angeblich das meistgedruckte Buch nach der Bibel, soll Erich Maria Remarques 1929 erschienener Roman “Im Westen nichts Neues” eine Gesamtauflage von 20 Millionen (in 50 Sprachen) erreicht haben.

Fraglos hat der zeitweilige Werbetexter den Krieg als Katastrophe der Katastrophen effektvoll inszeniert. Der autobiografischer Gestus des Romans ist allerdings trügerisch: Remarque hatte – anders als sein fiktives Alter Ego – mitnichten bis Kriegsende an der Front ausgeharrt, sondern schmeckte nur wenige Wochen die Gräben, bevor er den Dienst in der Schreibstube eines Armee-Hospitals antrat.

Manche Episode des Romans dürfte von Fallgeschichten dortiger Patienten inspiriert worden sein. Die unzähligen, von der Walze der Front überrollten Leiber zeugen davon, dass dieser alle Kategorien sprengende Krieg weniger erlebt denn “erstorben” wurde.

Nirgends aber wird das Leid der Kreatur so offenbar wie in jener Szene, welche vom unsäglichen “Schreien” angeschossener Pferde erzählt. Ihre Unschuld mag derjenigen junger Rekruten gleichen; Aller Dignität beraubt, wälzen sie sich verendend in Schlamm und Kot und Blut.

Einzig die Kameradschaft, gibt der Roman zu verstehen, vermag die Würde des Einzelnen zu retten. Im Resonanzraum von August Diehls berückend phrasierender Stimme glaubt man dies gern.

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Karl Kraus: «Letzte Tage» in SchräglageNZZ, 4. 7. 2014

czz audio aktuell blackczz – Zweihundertzwanzig Szenen, ein halbes Tausend Protagonisten, fünf Akte, die von fünf Kriegsjahren handeln: Die Extremwerte des Weltkriegs parierte der Wiener Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Sprach- und Kulturkritiker Karl Kraus mit einem Extremwerk, der in Umfang, Dichte und Sprache exzessiven szenischen Collage «Die letzten Tage der Menschheit».

Entstanden zwischen 1915 und 1918/19, setzt das Panoptikum verschiedenster Schau-, Sprech- und Gemeinplätze einen Exorzismus ins Werk, welcher die Phrase – als korrumpierte Sprache ein Effekt korrumpierten Bewusstseins – durch deren dokumentarisch-satirische Spiegelung auszutreiben trachtet.

Wenn nun der Musiker und Produzent aparter literarisch-musikalischer Arrangements, Peter Rosmanith, und der ebenso markante wie vielseitige Schauspieler Erwin Steinhauer sich der «Letzten Tage» annehmen, ist Aufhorchen angesagt.

Zumal Steinhauer, der solo sämtliche Rollen übernimmt, über ein staunenswertes Stimmen- und Typenregister verfügt. Vom groben regionalen Zungenschlag «aus der anheimelnden Niederung der grausigsten Dialekte» (Kraus) über salbadernde Pfaffen, näselnde Hofräte und betuliche Beamte bis hin zum eher ordinären Militär bleibt die barbarische Jovialität der Preussen der brutalen österreichischen Gemütlichkeit wenig schuldig.

Die musikalischen Entr’actes variieren Motive wie die Kaiserhymne in bewusst schrägen Arrangements, die neben den gepfefferten Texten geradezu putzig anmuten.

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Weltkrieg, erzähltNZZ, 4. 7. 2014

czczz audio aktuell whitez – Wie jede Erzählung ist auch die auditive Darstellung mit der Frage konfrontiert, wie ein simultan an verschiedenen Orten spielendes Geschehen in ein lineares Format zu übersetzen sei. Dies gilt ganz besonders für eine so disparate Materie wie den Ersten Weltkrieg.

Einen überzeugenden Coup liefern Christian Blees und Frank Eckhardt, die entlang der Zeitachse einzelne Kapitel anlegen (“Das Jahr 1917″). Solcherart in übersichtliche Zeiträume tranchiert, können synchrone Ereignisse quasi herausgezoomt werden. Die Kommentare ausgesuchter Fachleute für deutsche, französische, englische und russische Geschichte fördern den Erkenntnisgewinn durch multiperspektivische Positionen. -

Wolfram Wessels geht in seinem klassischen Feature weniger analytisch, sondern dokumentarisch vor, indem er die O-Töne in den Vordergrund rückt und diese von einem Sprecher kommentieren lässt. Deutlich fokussiert die Klangcollage auf Ansprachen politischer Protagonisten (Wilhelm II, Paul von Hindenburg, Woodrow Wilson). Die ernsten Reden auf höchstem politischem Niveau werden reizvoll von zeitgenössischen Schlagern konterkariert.

Schade, dass in diesem Kontext kein Platz dafür bleibt, auf die Nöte der Zivilisten an der “Heimatfront” einzugehen. Was indes beide Produktionen nobilitiert, ist der Verzicht auf die Zuspielung von Schlachtenlärm: selbiger ist, täglich aktuell, in diversen TV-Kanälen gratis zu haben.

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