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Klaus Farnberger, Gerald Simon, Lukas Resetarits, Raoul Schrott u.a.: Fußball-Hörbücher

Lukas Resetarits liest: Beruf Fußballfan
Von Claus Farnberger und Gerald Simon
Spielzeit: 80 Min.
ISBN 3-85485-174-X
EUR 14,90
Wien: Molden Verlag, 2005

Dichter am Ball. 50 neue Fußballgedichte
60 Seiten Booklet mit allen Gedichten
Spielzeit: 89 Min.
ISBN 3-8218-5422-7
EUR 14,95
Produktion: NDR-Kultur
Frankfurt / M.: Eichborn Lido, 2006

Tor, Tor, Tor. Fußballgeschichten
Spielzeit: 56 Min.
ISBN 3-89940-718-0
EUR 9,95
München: Der Hörverlag, 2005

500 Neuerscheinungen zum Thema Fußball kann man in diesem Frühjahr im deutschsprachigen Raum zählen. Wer soll die lesen, fragt man sich als bekennender Literatur- und Fußballfan? Wenn alle diese Bücher zur Vorbereitung auf die am 9. Juni beginnende Fußball-Weltmeisterschaft gelesen werden wollen, dann muss auf jeglichen Live- und Fernsehfußballkonsum und manches andere verzichtet werden. Wer will das schon?

Michael Naumann stellte angesichts der heurigen Fußballbücherlawine (die an den früher in aller Munde gewesenen EU-Butterberg erinnert) in der deutschen "Zeit" die Frage, "ob die Verleger nicht nur die Nerven, sondern auch den Verstand verloren haben" und prophezeit, dass die Verlage "ihre Bücher spätestens nach der Vorrunde wieder einsammeln können". Da mag er wohl Recht behalten. Es wird und wurde über Fußball geschrieben, aber angesichts der Masse der Neuerscheinungen muss man sich schon fragen, ob die Qualität nicht von billigem Kalkül gefoult wurde.

Es gibt die Klassiker, "Fever Pitch" von Arsenal-Fan Nick Hornby etwa, oder Javier Marias gesammelte Fußballglossen "Alle unsere frühen Schlachten", in denen er einem Minnesänger gleich seine Liebe zu Real Madrid besingt. Ihm gleich getan hat es Konkurrent Manuel Vázquez Montalbán, der über Kochen ebenso leidenschaftlich schreibt wie über seinen FC Barcelona. Thomas Brussigs "Helden wie wir" führt in die psychologischen Untiefen eines DDR-Fußballtrainers, Julian Barnes ist in sein Pseudonym Dan Kavanagh geschlüpft, um seinen schwulen Torwart Duffy in einen hartherzlichen Fußballkrimi zu schicken. Warum also 500 neue Bücher, wo es doch Altbewährtes gibt?

Zweifellos hat sich der Fußball in den letzten Jahren verändert: Er wurde gesellschaftsfähig, er ist nicht mehr der Sport der Arbeiterklasse (auch weil die zunehmend verschwindet), er wurde kapitalisiert und vermarktet, gleichzeitig und paradoxerweise aber auch intellektualisiert. In den Kiosken tummeln sich neben den traditionellen Sportzeitungen mit feiner Feder geschriebene Fußballintellektuellenmagazine. Der österreichische "Ballesterer" und die deutschen "11 Freunde" waren die ersten, die Fußball mit Geist und Witz als ästhetisches und soziologisches Phänomen beschrieben, Magazine wie "Rund" oder "Anstoß" sind nachgefolgt. Der Fußballintellektuelle kommt endlich zu seinem Recht und hat seinen Patz in der Fangemeinde gefunden.
Auch der Hörbuchmarkt bietet Ballesterisches, ich schlage vor, wir nähern uns den Hörbüchern mit der skeptischen Vorsicht des Manndeckers.

"Beruf Fußballfan. Eine Passion" heißt das erste Werk, Untertitel: "Literarische Doppelpässe". Die sich da zupassen, sind Claus Farnberger und Gerald Simon, gelesen werden ihre Texte von Lukas Resetarits. Nicht unoriginell weisen die beiden nach, dass Fußballfan-Sein ein Beruf neben dem Job ist, der einen gut und gerne 40 Stunden pro Woche beschäftigt und beileibe kein leichter Beruf ist: Es gibt weder Pensionsberechtigung noch Arbeitsschutz, kein Gehalt, aber einen Lohn: den Erfolg. Hoch anzurechnen ist beiden, dass sie den von Fußballhassern als "dumpfes, biertrinkendes Massenwesen" wahrgenommenen Fan soziologisch verdienstvoll in 11 Typen unterteilen. Im Fußballstadion, dem Biotop der Gesellschaft, tummelt sich der treue Fan, es gibt den Besserwisser und den Misanthropen, den Lässigen und den Säufer, für den der Fußballplatz eine Art erweiterter Heuriger ist. Dazu unterscheiden sie den Wettbesessenen vom Intellektuellen, den einsamen Anschlusssuchenden vom Opportunisten, der seine Vereinsfarben wechselt wie seine Unterwäsche und sich daher einen Rattenschwanz an Meistertiteln erschlichen hat. Die letzten beiden Kategorien: der Fan eines Einzelspielers und der verhasste Pseudofan in Gestalt von Politikern, Versicherungsvertretern und Gebrauchtwagenverkäufern.

Simon und Farnberger sprechen über das Verhältnis von Sex und Fußball, erzählen vom kürzlich verstorbenen nordirischen Fußballidol Kevin Keegan, für den ein Tor schöner als ein Orgasmus war, sie reflektieren über die Fußballkost in den Stadien, versuchen dabei dem ewigen Rätsel "Schaumbecher" auf die Schliche zu kommen und gelangen schließlich zur Diagnose, dass Fußballfan zu sein (besonders in Österreich) eine masochistische Angelegenheit ist, entpuppt sie sich doch als "unaufhörliche Leidensgeschichte persönlicher Rückschläge".

"Beruf Fußballfan" hat viel mehr Höhen als Tiefen, die beiden Akteure können mit ihren Tricks und Finten einige schöne Tore erzielen. Ihre Doppelpässe sind aber weniger literarischer Art (wie im Untertitel angekündigt) als kabarettistischer. Manche, denen der grassierende Dorfer-Hader-Düringer-Schmäh schon auf die Nerven geht, werden Farnbergers und Simons Ausführungen manchmal vielleicht nur halblustig finden. Schade und ärgerlich ist, dass Lukas Resetarits uninspiriert und hölzern sich durchs 80 Minuten dauernde Spiel quält und die Doppelpässe der Autoren oft nicht aufzunehmen versteht. Beim nächsten Spiel sollte er auf der Ersatzbank bleiben!

Zum zweiten Spiel: Trainer Raoul Schrott hat eine 50-köpfige Autorenmannschaft zusammengestellt, um über die schönste Nebensache der Welt zu schreiben: Dichtung kickt! 50 Gedichte versammelt die vorliegende Hörbuchanthologie "Dichter am Ball", erschienen sind die lyrischen Ergüsse in der deutschen Wochenzeitung "die Zeit", zu hören waren sie im NDR. Reizend ist, dass die Autoren ihre Fußball-Gedichte selbst vortragen. Runter die Brille, ran an den Ball!

Manche Dichter haben in den "Arenen aus Pisse und Zement" (Raoul Schrott) nichts anzufangen gewusst, einfachste Pässe misslangen, arme Ginka Steinwachs, armer Michael Lentz! Viele aber liefen am runden Leder zur Höchstform auf, auch Uwe Kolbe, der offen bekennt: "Ich bin ein Dichter von der alten Art, / romantisch, hab vom Fußball keinen Dunst.", seine Hilflosigkeit aber in ein wunderbares Gedicht umzumünzen versteht. Wolf Wondratschek schreibt eine Hymne auf Georg Schwarzenbeck (der war in den 1970ern ein schnörkellos spielender, ruppiger Verteidiger bei Bayern München): "Zwei Beine, ohne Interesse an Genialität, / vereinfachter Mechanismus, nichts Brasilianisches." Steffen Jacobs vergleicht Fußball mit Pornografie: "Es ist wie Porno: Statt im Bett zu schwitzen, / betätigt man sich lieber als Voyeur."
Interessant, wie die Dichterinnen mit dem Sujet umgehen. Mit der "Freude schöner Fußballfunken" (Lutz Rathenow) haben sie in der Mehrzahl wenig am Hut, die männliche Fußballherrschaftskampfsprache interessiert sie, manche von ihnen verfügen aber auch über den "anderen" Blick: "Was sagst du zu dem Neuen? Die Frisur, die Wangenknochen? / Ich finde, bringen tut's der Arsch. Wenn er sich bückt. / wenn er den Ball hinlegt. Moment. Die Nudeln kochen.", schreibt etwa Evelyn Schlag.
Fußballer sind bekannt dafür (Achtung, Vorurteil!), dass sie rhetorisch nichts draufhaben. Klaus Modicks Gedicht "Das Zen des Fußballs" schlachtet solche sprachlichen Unfälle aus und gibt ihnen den philosophischen Dreh: "Denn siehe: Die plötzliche Erleuchtung / ist tautologisch und rund wie der Ball. / 'Es lag an der geistigen Frische, / dass wir geistig frischer waren', / lehrte der geistig frische Stefan Effenberg / und fügte hinzu: 'Das habe ich verbal gesagt.'"
Michael Buselmeier: "Ein gutes Fußballspiel ist wie ein gutes Gedicht, / sagtest du immer, eine Mannschaft ohne Abenteurer / ist wie ein Land ohne Poesie. WIR SIND NOCH DA". Damit möchten wir Hörbuch zwei befriedigt schließen und zufrieden feststellen: Zum Gedicht taugt er auch, der Ball.

In der dritten Halbzeit stehen Fußballgeschichten auf dem Programm. "Tor, Tor, Tor" lautet der zutreffende und damit überhaupt nicht zu kritisierende Titel des Hörbuchs, das zehn Fußballgeschichten versammelt. Elke Heidenreich erzählt von ihrer Jugend im Ruhrpott, zu dem Fußball gehört wie der Walzer zu Wien. Obwohl der Fußball in ihrer Familie immer präsent war, konnte sie sich nicht für ihn erwärmen, im Gegenteil, empfand ihn als Rivalen, etwa wenn sie als Studentin samstags um sechs zu Hause anrief und niemand mit ihr sprechen wollte, weil Fußball lief. Sie blieb das Mädchen im Abseits, weil es das Abseits nicht verstand.
Der oben erwähnte Javier Marias ist mit einer Glosse über Nationalhymnen vertreten - aber er hat Besseres geschrieben. Keto von Waberer fragt sich in ihrem Text "Iltisse in der Brunft" zu Recht, warum bei Männern, sobald es um Fußball geht, die Urinstinkte geweckt werden. Zwei Fußball-Klassiker dürfen in keiner ernstzunehmenden Fußballanthologie fehlen: Die "Legende vom Fußballplatz", die zart von der Himmelfahrt eines kleinen Jungen erzählt und Karl Valentins grotesker "Fußball-Länderkampf".

Kluges hat Christoph Biermann zur Psychologie des Fußballfans zu sagen, etwa wenn er von seinem ersten Stadionbesuch erzählt, den er "wie eine zweite Geburt empfand." Das Schöne am Fußball ist, dass er "die Persönlichkeit in Beschlag nimmt" und völlig den Kopf leert: "Radikal und komplett. Das war es, was mir damals so gut gefiel und heute immer noch. Für 90 Minuten gibt es kein Grübeln, keine Gedanken, die über das Spiel hinausgehen ..." Das Denken wird schlicht und man gerät in eine wunderbare Balance von Gelöstheit und völliger Anspannung." Die Überraschung des Hörbuchs ist aber der wehmütige, ehrliche Text: "Das war eine Einheit: Westfalia Herne, mein Vater und ich." Darin erzählt der Schauspieler Joachim Krol von seiner Jugend in der Nachkriegszeit, von den Stadionbesuchen mit seinem geliebten Vater, von den gemeinsamen Ritualen. Er zeichnet den Niedergang seines Lieblingsklubs Westfalia Herne nach, der zugleich mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet einherging und mit dem Verfall seines alternden Vaters. Berührend schön und sehr weise!

Man muss keine 500 Fußballbücher verschlungen haben, um fit für die WM zu sein, diese drei Hörbücher genügen. Und dann wird die Weltmeisterschaft endlich angepfiffen werden, aus zigtausendfacher Kehle wird es "Jetzt geht's los!" erschallen, Tore werden fallen und Sieger wird es geben, Tränen und Wut und neue Helden: Stoff für viele neue Fußballgeschichten. Hauptsache Fußball.

Peter Landerl
10. April 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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