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Joseph Roth: Reportagen & Feuilletons

Gelesen von Elisabeth Orth und Cornelius Obonya
2 CDs, ca. 137 Min.
ISBN: 3-901846-51-4
Wien: ORF Radio Österreich 1, 2004

Ein Hörbuch, das nicht die wunderbaren Romane und Erzählungen, sondern journalistische Arbeiten des großen Autors Joseph Roth enthält? Da regt sich sofort Skepsis: Steckt hier nicht vielleicht einfach nur kommerzielles Kalkül, das Geschäft mit einem bekannten Namen dahinter? Und taugen Roths "Reportagen und Feuilletons" überhaupt für dieses Medium? Die erste Frage mag offen bleiben, die zweite kann beantwortet werden: Ja, sie taugen, und wie! Das hat einerseits damit zu tun, dass der Roth'sche Journalismus an der Grenze zur Poesie, zur Dichtung angesiedelt ist und es nicht ums Tagesgeschäft, sondern um allgemein gültige Wahrheiten geht. Zum anderen erfassen die beiden Sprecher, Elisabeth Orth und ihr Sohn Cornelius Obonya, das Wesentliche, die Essenz der Artikel zumeist hervorragend, treffen den Ton, ohne zu überspielen. Nur bei der Gliederung des Hörbuches scheint die ansonsten glückliche Hand der Redaktion versagt zu haben. Die Zuordnung der Texte zu den, wie es im Booklet heißt, als "thematischer Faden" fungierenden "geographischen Stationen in Roths Leben" ("Wien", "Berlin", "Auf Reisen" und "Paris") ist fragwürdig, die nicht-chronologische Anordnung der Texte zu diesen Stationen für den Hörer bisweilen verwirrend und nicht nachvollziehbar. Wenden wir deshalb unsere Aufmerksamkeit von der Gesamtstruktur lieber einigen der 19 Artikel zu.

"Die Insel der Unseligen" (1919), als Roths erster Artikel ausgewiesen, ist eine bemerkenswerte Annäherung an die psychiatrische Klinik Steinhof. Unter Vorwegnahme einer Reihe von Topoi der vor allem in den 1960er und 70er Jahren boomenden psychopathologischen Literatur erfasst Roth intuitiv das Besondere des Ortes und die Grundfrage, die er stellt. Das Besondere zeigt sich vor allem in den Porträts einzelner Patienten, wie jenem mit dem sprechenden Namen Regelrecht. Dieser interviewt sich selbst(ironisch) zur Lage Deutsch-Österreichsund was er sagt, klingt nicht weniger verrückt als vieles, was Politiker des 20. Jahrhunderts von sich gegeben haben. Womit wir bei der Grundfrage sind, die sich aus Orten wie Steinhof ergibt: Sind die Verrückten möglicherweise gar nicht in, sondern außerhalb der Anstalt? Roth formuliert diese Möglichkeit über eine Aufforderung Regelrechts: "Berichten Sie dem Irrenhaus, das sich 'Welt' nennt, und für das Sie schreiben, dass ich, Dr. Theodosius Regelrecht, keineswegs gesinnt bin, zurückzukehren. Ich bin nicht irrsinnig." Und in Anbetracht dieser Grundfrage bleibt Roth am Ende seines Artikels auch unentschieden, es ob sich bei Steinhof um "die Insel der Unseligen oder - Seligen" handelt. In "Proletarisierung der Häuser" (1919) gibt Roth einer Melancholie über 'die' neuen Häuser Raum, die aus "Papiermaché" und "keine Physiognomien, nur Nummern" seien. Es greife "der Militarismus der Häuser" um sich, sogar die reichen alten Häuser würden arm gemacht. Dieser vordergründige Kulturkonservatismus geht nun aber mit einer Problematisierung der voranschreitenden Armut einher, die Roth mit dem titelgebenden Schlagwort von der "Proletarisierung der Häuser", die in einem Hausen in "Erdhöhlen" ihre fragwürdige Vollendung finden könnte, zu fassen versucht. Ein Gegenort zu diesem Wohnalptraum könnte "Das Cafe der elften Muse" (1923), ein in der Praterstraße gelegenes "Artistencafé", sein. Doch auch hier ist hinter der Fassade keine Substanz. Die Bauchredner, Jongleure und Clowns, die "Liliputaner" und "Frauen ohne Unterleib" haben es sich zwar im kleinen Café ihres Daseins, in der Orthodoxie des Unorthodoxen eingerichtet, sehnen sich aber nach der unerreichbaren weiten Welt.

Das der Lebensstation "Berlin" zugeordnete, aber im "Pariser Tagblatt" publizierte "Das Dritte Reich, die Filiale der Hölle auf Erden" (1934) ist eine Anklage der deutschen Presse unter Reichspropagandaminister Goebbels. Roth stellt in diesem Artikel fest, dass es noch nie in der Weltgeschichte einen Mörder gegeben habe, der "seine blutigen Hände in so viel Druckerschwärze gewaschen hätte". Beeindruckend ist neben der Schärfe und Scharfsichtigkeit des Textes selbst auch die Interpretation von Elisabeth Orth, deren intensive Präsenz das Vorgetragene auf bedrückende, alarmierende Weise in die Gegenwart holt. In "Ein düsteres Kapitel" (1925) wiederum durchleuchtet Roth am Fallbeispiel des Fleischhauers Eduard Trautmann, der wegen eines Justizirrtums von 1911 bis 1922 für einen nie begangenen Mord im Gefängnis saß und beinahe hingerichtet worden wäre, den "grausamen und komplizierten Mechanismus der Gerechtigkeit". Roth legt den Finger auf die offene Wunde der Willkür und Voreingenommenheit der Rechtsprechung und verurteilt die Uneinsichtigkeit des Staates gegenüber dem von ihm verursachten Unrecht.

"Unter Tag" (1927) ist mit fast 20 Minuten Laufzeit der längste Text des Hörbuchs. Joseph Roth kokettiert in dieser Kohlengruben-Reportage beständig mit "mythischen Assoziationen", mit der Todesmetaphorik des Fahrens in die Unterwelt, des Gleitens in den Hades, der Rückkehr zum Schoß der Mutter Erde. Jede Station des zurückgelegten Weges wird zur Steigerung der Spannung verwendet: "Über mir 600 Meter Erde und jeder einzelne Millimeter von den 600 Metern drückt auf meinen Kopf. Die hölzernen Balken, die das Gewölbe stützen, geben fast sichtbar dem Druck nach", heißt es und Cornelius Obonya liest diese Sätze schicksalsschwer und wie von der Ahnung einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe bedrückt. Jedoch dienen das in Stellung gebrachte Metaphernarsenal und der dramatische Spannungsbogen nicht nur der Unterhaltung der Leser, sondern vor allem der Kritik an den niedrigen Löhnen, die den Grubenarbeitern bezahlt werden. Das Fazit ist heute noch gültig: "Wenn die Rentabilität wichtig ist, kann die Humanität nicht bestehen."

Die im Pariser Exil verfassten Artikel unterscheiden sich deutlich von den vorangegangenen, die Stimmung ist düsterer, kämpferische und verzweifelte Töne wechseln sich ab, gehen ineinander über. In "Rast angesichts der Zerstörung" (1938) sieht Roth den Abriss des Pariser Hotels, in dem er 16 Jahre lang abgestiegen ist, als Metapher für seine (mit vielen anderen geteilte) Lebenssituation: "Man verliert eine Heimat nach der anderen." "Der Feind aller Völker" (1939) macht die Gleichgültigkeit als den wahren "Feind aller Völker" aus. Als Lektüreanleitung, um im journalistischen Floskelwald und "Phrasensumpf" (Karl Kraus) die "Wahrheit" herauslesen zu können, ist "Leitfaden für Zeitungsleser Anno 1939" (1939) gedacht. Roths Ratschlag: Man solle nur noch den Fragesätzen trauen. Elisabeth Orth liest diesen Text mit einer beklemmenden Müdigkeit, die an die damalige Verfassung des alkohol-kranken Autors gemahnt. In seinem letzten Artikel, bevor er 44-jährig an den Folgen einer Lungenentzündung starb, "Die Eiche Goethes in Buchenwald" (1939), berichtet Roth schließlich von jener Eiche auf dem Gebiet des KZ Buchenwald, bei der sich Goethe mit Frau von Stein traf. Doch nutzt er dieses Beispiel nicht für eine Gegenüberstellung des Goethe'schen mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Nein, lange vor Hannah Arendt erkennt er darin vielmehr die sprichwörtlich gewordene Banalität des Bösen: "Die Symbolik ist niemals so billig gewesen wie heutzutage."

Stilistisch brillant und über den konkreten Anlassfall, den Zeitbezug hinausgehend sind Joseph Roths "Reportagen & Feuilletons" bis heute ein Maßstab dafür, was Journalismus leisten kann. Elisabeth Orths und Cornelius Obonyas Interpretationen werden der Qualität der Texte gerecht und gelingen nahezu ausnahmslos. Über den misslungenen Aufbau des Hörbuches kann man angesichts seiner Vorzüge hinwegsehen. Man sollte es trotzdem kaufen.

Gerald Lind
17. November 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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